Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn erhob, die Krisis herbeiführen konnten. Eine solche Entlassung durch das
Hosmarschallamt, in einem Schreiben von fünf Zeilen, war der natürliche Lohn
für einen Mann, der nur ein Fürstendiener und nicht ein Staatsangehöriger
und nicht ein Staasdiener hatte sein wollen, um keine Verpflichtung ge¬
gen die Gesetze des Staates zu haben. So zog der greise Mann in
die Fremde, und ganz Deutschland war ihm eine Fremde; nirgend mehr hatte
er ein Heimathrecht. Vier Fürsten hat er durch fünfzig Jahre gedient und
von keinem hat er sich Dank erworben. Seine Vermögensverhältnisse sind
vollständig zerrüttet, sogar die nöthigen Subststcnzmittel scheinen zweifelhaft ge¬
worden zu sein. Er wanderte nach der Ostsee zu einer geliebten Tochter, die
Tochter hält ihn von allem Verkehr mit Menschen ab und verhindert ihn, in
das nahe Seebad zu gehen. Sie fürchtet für ihren alten Vater persönliche
Mißhandlung durch die Badegäste. Er zieht nach Leipzig, nach acht Tagen
kündigt ihm der Hauswirth die Wohnung, weil er über den Charakter seines
Miethers sehr Ungünstiges gehört habe. Er geht nach Halle, von einem
treuen Diener begleitet; während er diesem seine Vertheidigungsschrift dictirt,
überfällt den Diener die Cholera und er stirbt. -- Das ist das unfruchtbare,
verfehlte Leben eines Mannes, den sein eitles Herz und sein ungeordneter
Thätigkeitstrieb, ein oft leidenschaftlich bewegtes Gemüth und eigensinniges
Festhalten an falscher Doctrin vernichtet haben. Er ist nicht der Märtyrer
eines unbegreiflichen Schicksals, welches finstere Wetterwolken über seinem
schuldlosen Haupte entlud, sondern wenn irgendwo, ist bei seinem Leben er¬
sichtlich, wie die Strafe dem Unrecht auf dem Fuße folgt. Und wenn etwas
auffallend ist in seinem Leben, auffallend, aber nicht unerhört, so ist es der
Umstand, daß sein Geschick ihn so betroffen hat, weil er nicht der Schlech¬
teste unter Seinesgleichen war. So verschroben auch seine politischen
Ansichten sind, so willkürlich und gewaltthätig sein Wollen, so ist doch noch
zu viel deutsches Gemüth in ihm, als daß er seinem Princip gleichmäßig und
willenlos hätte dienen können. Bürgerlich war seine Gutherzigkeit, welche
durch seine falschen Grundsätze nicht verdorben werden konnte, bürgerlich das
Behagen, mit dem er sich seine Umgebung durch phantastische Farben auszu¬
malen wußte, bürgerlich sein Eigensinn und sein übergroßer Amtseifer und
leider sehr bürgerlich die Eitelkeit, mit welcher sein Herz das suchte, was vor¬
nehm und fürstlich war. Und als ein Opfer dieser Eigenschaften ist er gefallen-




ihn erhob, die Krisis herbeiführen konnten. Eine solche Entlassung durch das
Hosmarschallamt, in einem Schreiben von fünf Zeilen, war der natürliche Lohn
für einen Mann, der nur ein Fürstendiener und nicht ein Staatsangehöriger
und nicht ein Staasdiener hatte sein wollen, um keine Verpflichtung ge¬
gen die Gesetze des Staates zu haben. So zog der greise Mann in
die Fremde, und ganz Deutschland war ihm eine Fremde; nirgend mehr hatte
er ein Heimathrecht. Vier Fürsten hat er durch fünfzig Jahre gedient und
von keinem hat er sich Dank erworben. Seine Vermögensverhältnisse sind
vollständig zerrüttet, sogar die nöthigen Subststcnzmittel scheinen zweifelhaft ge¬
worden zu sein. Er wanderte nach der Ostsee zu einer geliebten Tochter, die
Tochter hält ihn von allem Verkehr mit Menschen ab und verhindert ihn, in
das nahe Seebad zu gehen. Sie fürchtet für ihren alten Vater persönliche
Mißhandlung durch die Badegäste. Er zieht nach Leipzig, nach acht Tagen
kündigt ihm der Hauswirth die Wohnung, weil er über den Charakter seines
Miethers sehr Ungünstiges gehört habe. Er geht nach Halle, von einem
treuen Diener begleitet; während er diesem seine Vertheidigungsschrift dictirt,
überfällt den Diener die Cholera und er stirbt. — Das ist das unfruchtbare,
verfehlte Leben eines Mannes, den sein eitles Herz und sein ungeordneter
Thätigkeitstrieb, ein oft leidenschaftlich bewegtes Gemüth und eigensinniges
Festhalten an falscher Doctrin vernichtet haben. Er ist nicht der Märtyrer
eines unbegreiflichen Schicksals, welches finstere Wetterwolken über seinem
schuldlosen Haupte entlud, sondern wenn irgendwo, ist bei seinem Leben er¬
sichtlich, wie die Strafe dem Unrecht auf dem Fuße folgt. Und wenn etwas
auffallend ist in seinem Leben, auffallend, aber nicht unerhört, so ist es der
Umstand, daß sein Geschick ihn so betroffen hat, weil er nicht der Schlech¬
teste unter Seinesgleichen war. So verschroben auch seine politischen
Ansichten sind, so willkürlich und gewaltthätig sein Wollen, so ist doch noch
zu viel deutsches Gemüth in ihm, als daß er seinem Princip gleichmäßig und
willenlos hätte dienen können. Bürgerlich war seine Gutherzigkeit, welche
durch seine falschen Grundsätze nicht verdorben werden konnte, bürgerlich das
Behagen, mit dem er sich seine Umgebung durch phantastische Farben auszu¬
malen wußte, bürgerlich sein Eigensinn und sein übergroßer Amtseifer und
leider sehr bürgerlich die Eitelkeit, mit welcher sein Herz das suchte, was vor¬
nehm und fürstlich war. Und als ein Opfer dieser Eigenschaften ist er gefallen-




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100710"/>
          <p xml:id="ID_716" prev="#ID_715"> ihn erhob, die Krisis herbeiführen konnten. Eine solche Entlassung durch das<lb/>
Hosmarschallamt, in einem Schreiben von fünf Zeilen, war der natürliche Lohn<lb/>
für einen Mann, der nur ein Fürstendiener und nicht ein Staatsangehöriger<lb/>
und nicht ein Staasdiener hatte sein wollen, um keine Verpflichtung ge¬<lb/>
gen die Gesetze des Staates zu haben. So zog der greise Mann in<lb/>
die Fremde, und ganz Deutschland war ihm eine Fremde; nirgend mehr hatte<lb/>
er ein Heimathrecht. Vier Fürsten hat er durch fünfzig Jahre gedient und<lb/>
von keinem hat er sich Dank erworben. Seine Vermögensverhältnisse sind<lb/>
vollständig zerrüttet, sogar die nöthigen Subststcnzmittel scheinen zweifelhaft ge¬<lb/>
worden zu sein. Er wanderte nach der Ostsee zu einer geliebten Tochter, die<lb/>
Tochter hält ihn von allem Verkehr mit Menschen ab und verhindert ihn, in<lb/>
das nahe Seebad zu gehen. Sie fürchtet für ihren alten Vater persönliche<lb/>
Mißhandlung durch die Badegäste. Er zieht nach Leipzig, nach acht Tagen<lb/>
kündigt ihm der Hauswirth die Wohnung, weil er über den Charakter seines<lb/>
Miethers sehr Ungünstiges gehört habe. Er geht nach Halle, von einem<lb/>
treuen Diener begleitet; während er diesem seine Vertheidigungsschrift dictirt,<lb/>
überfällt den Diener die Cholera und er stirbt. &#x2014; Das ist das unfruchtbare,<lb/>
verfehlte Leben eines Mannes, den sein eitles Herz und sein ungeordneter<lb/>
Thätigkeitstrieb, ein oft leidenschaftlich bewegtes Gemüth und eigensinniges<lb/>
Festhalten an falscher Doctrin vernichtet haben. Er ist nicht der Märtyrer<lb/>
eines unbegreiflichen Schicksals, welches finstere Wetterwolken über seinem<lb/>
schuldlosen Haupte entlud, sondern wenn irgendwo, ist bei seinem Leben er¬<lb/>
sichtlich, wie die Strafe dem Unrecht auf dem Fuße folgt. Und wenn etwas<lb/>
auffallend ist in seinem Leben, auffallend, aber nicht unerhört, so ist es der<lb/>
Umstand, daß sein Geschick ihn so betroffen hat, weil er nicht der Schlech¬<lb/>
teste unter Seinesgleichen war. So verschroben auch seine politischen<lb/>
Ansichten sind, so willkürlich und gewaltthätig sein Wollen, so ist doch noch<lb/>
zu viel deutsches Gemüth in ihm, als daß er seinem Princip gleichmäßig und<lb/>
willenlos hätte dienen können. Bürgerlich war seine Gutherzigkeit, welche<lb/>
durch seine falschen Grundsätze nicht verdorben werden konnte, bürgerlich das<lb/>
Behagen, mit dem er sich seine Umgebung durch phantastische Farben auszu¬<lb/>
malen wußte, bürgerlich sein Eigensinn und sein übergroßer Amtseifer und<lb/>
leider sehr bürgerlich die Eitelkeit, mit welcher sein Herz das suchte, was vor¬<lb/>
nehm und fürstlich war. Und als ein Opfer dieser Eigenschaften ist er gefallen-</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] ihn erhob, die Krisis herbeiführen konnten. Eine solche Entlassung durch das Hosmarschallamt, in einem Schreiben von fünf Zeilen, war der natürliche Lohn für einen Mann, der nur ein Fürstendiener und nicht ein Staatsangehöriger und nicht ein Staasdiener hatte sein wollen, um keine Verpflichtung ge¬ gen die Gesetze des Staates zu haben. So zog der greise Mann in die Fremde, und ganz Deutschland war ihm eine Fremde; nirgend mehr hatte er ein Heimathrecht. Vier Fürsten hat er durch fünfzig Jahre gedient und von keinem hat er sich Dank erworben. Seine Vermögensverhältnisse sind vollständig zerrüttet, sogar die nöthigen Subststcnzmittel scheinen zweifelhaft ge¬ worden zu sein. Er wanderte nach der Ostsee zu einer geliebten Tochter, die Tochter hält ihn von allem Verkehr mit Menschen ab und verhindert ihn, in das nahe Seebad zu gehen. Sie fürchtet für ihren alten Vater persönliche Mißhandlung durch die Badegäste. Er zieht nach Leipzig, nach acht Tagen kündigt ihm der Hauswirth die Wohnung, weil er über den Charakter seines Miethers sehr Ungünstiges gehört habe. Er geht nach Halle, von einem treuen Diener begleitet; während er diesem seine Vertheidigungsschrift dictirt, überfällt den Diener die Cholera und er stirbt. — Das ist das unfruchtbare, verfehlte Leben eines Mannes, den sein eitles Herz und sein ungeordneter Thätigkeitstrieb, ein oft leidenschaftlich bewegtes Gemüth und eigensinniges Festhalten an falscher Doctrin vernichtet haben. Er ist nicht der Märtyrer eines unbegreiflichen Schicksals, welches finstere Wetterwolken über seinem schuldlosen Haupte entlud, sondern wenn irgendwo, ist bei seinem Leben er¬ sichtlich, wie die Strafe dem Unrecht auf dem Fuße folgt. Und wenn etwas auffallend ist in seinem Leben, auffallend, aber nicht unerhört, so ist es der Umstand, daß sein Geschick ihn so betroffen hat, weil er nicht der Schlech¬ teste unter Seinesgleichen war. So verschroben auch seine politischen Ansichten sind, so willkürlich und gewaltthätig sein Wollen, so ist doch noch zu viel deutsches Gemüth in ihm, als daß er seinem Princip gleichmäßig und willenlos hätte dienen können. Bürgerlich war seine Gutherzigkeit, welche durch seine falschen Grundsätze nicht verdorben werden konnte, bürgerlich das Behagen, mit dem er sich seine Umgebung durch phantastische Farben auszu¬ malen wußte, bürgerlich sein Eigensinn und sein übergroßer Amtseifer und leider sehr bürgerlich die Eitelkeit, mit welcher sein Herz das suchte, was vor¬ nehm und fürstlich war. Und als ein Opfer dieser Eigenschaften ist er gefallen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/256>, abgerufen am 11.05.2024.