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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Mann, gewöhnt, sich nur in den Kreisen höherer Sitte zu bewegen, solchen
Pöbelhaftigkeiten "Ulf jedem Schritte zu begegnen. Dazu kam noch das drückende
Gefühl, in allen Unternehmungen der entschiedensten höheren Mißbilligung
sich auszusetzen."

Endlich gelang es ihm, in Lippe-Detmold die staatsmännische Thätigkeit
zu finden, für welche er sich berufen glaubte. Er will seine oldenburgische
Pension beibehalten und tritt in Lippe als Privatdiener des Fürsten an die
Spitze des Ministeriums, nicht als Staatsdiener und ohne Jndigenat. Es
war ganz in der Ordnung, daß die oldenburgische Regierung auf ein solches
exceptionelles Verhältniß keine Rücksicht nahm und seine Penston einzog, er
freilich findet darin eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. In Lippe verfeindet
sich der eigensinnige Mann schnell mit dem Adel, den Beamten und der Geist¬
lichkeit, er wirthschaftet dort in seiner Lieblingsstimmung, der Gemüthlichkeit,
wahrscheinlich nicht ohne dem Fürsten selbst, der ihn ins Land gerufen hatte,
lästig zu werden. Die humanen Formen, welche ihm der Fürst im Verkehr
zeigt, sind sein Haupttrost bei den Angriffen seiner Gegner und'wiegen ihm
bei seinen staatsmännischen Experimenten in vollständige Sicherheit ein. Da
will sein Unstern, daß er nach seiner Heimath Hildburghausen zurückkehrt,
und dort in Thüringen, wo vor länger als vierzig Jahren seine erste Verhaf¬
tung stattgefunden hat, da bereitet ihm jetzt aus der Höhe seines Glücks das
Schicksal auch, wie wir hoffen, seine letzte. Die Vorgänge in Koburg sind
durch die Zeitungen genauer und richtiger dargestellt, als Herr Fischer sie zu
erzählen in seinem Interesse findet. Er wird von dem dortigen Gericht wegen
Majestätsbeleidigung in Anspruch genommen und gegen Caution wieder frei
gelassen. Als er nach dem Fürstenthum Lippe zurückkommt, richtet ihn der
freundliche, er darf wol sagen, der herzliche Empfang seines gnädigsten Fürsten
und dessen gesammter hoher Familie wieder auf. Ach, aber seine Freude über
eine Stellung zu seinem hohen Gebieter, "welche in 1?er That die zutraulichste
geworden war," sollte nur kurze Dauer haben. Sein Fürst verreist, und der
Hofmarschall kündigt ihm an, daß der Fürst beschlossen habe, ihn in Ruhestand
zu versetzen, aber zu seiner Schonung wünsche, daß Fischer selbst um seine
Penstonirung nachsuche. Fischer, aufs höchste überrascht, steht in der Sache nur
ein Mißverständniß und weigert sich, auf solchen Antrag einzugehen, da über¬
gibt ihm der Hofmarschall eine lakonische Entlassungsordre. Der gewesene
Minister ist vernichtet. Er kann den Grund nicht verstehen. -- Wer aber sein
Buch unbefangen liest, wird kaum in Zweifel sein, wie die Sache gekommen
ist. Die große Spannung, welcher er fast bei allen Classen der Bevölkerung
gegen sich hervorgerufen hat, seine zerrütteten Vermögensverhältnisse und der
querköpfige Eifer, der seinem Herrn schon oft unbequem geworden sein mochte,
das wirkte so zusammen, daß die Ansprüche, welche man von Koburg aus gegen


Mann, gewöhnt, sich nur in den Kreisen höherer Sitte zu bewegen, solchen
Pöbelhaftigkeiten «Ulf jedem Schritte zu begegnen. Dazu kam noch das drückende
Gefühl, in allen Unternehmungen der entschiedensten höheren Mißbilligung
sich auszusetzen."

Endlich gelang es ihm, in Lippe-Detmold die staatsmännische Thätigkeit
zu finden, für welche er sich berufen glaubte. Er will seine oldenburgische
Pension beibehalten und tritt in Lippe als Privatdiener des Fürsten an die
Spitze des Ministeriums, nicht als Staatsdiener und ohne Jndigenat. Es
war ganz in der Ordnung, daß die oldenburgische Regierung auf ein solches
exceptionelles Verhältniß keine Rücksicht nahm und seine Penston einzog, er
freilich findet darin eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. In Lippe verfeindet
sich der eigensinnige Mann schnell mit dem Adel, den Beamten und der Geist¬
lichkeit, er wirthschaftet dort in seiner Lieblingsstimmung, der Gemüthlichkeit,
wahrscheinlich nicht ohne dem Fürsten selbst, der ihn ins Land gerufen hatte,
lästig zu werden. Die humanen Formen, welche ihm der Fürst im Verkehr
zeigt, sind sein Haupttrost bei den Angriffen seiner Gegner und'wiegen ihm
bei seinen staatsmännischen Experimenten in vollständige Sicherheit ein. Da
will sein Unstern, daß er nach seiner Heimath Hildburghausen zurückkehrt,
und dort in Thüringen, wo vor länger als vierzig Jahren seine erste Verhaf¬
tung stattgefunden hat, da bereitet ihm jetzt aus der Höhe seines Glücks das
Schicksal auch, wie wir hoffen, seine letzte. Die Vorgänge in Koburg sind
durch die Zeitungen genauer und richtiger dargestellt, als Herr Fischer sie zu
erzählen in seinem Interesse findet. Er wird von dem dortigen Gericht wegen
Majestätsbeleidigung in Anspruch genommen und gegen Caution wieder frei
gelassen. Als er nach dem Fürstenthum Lippe zurückkommt, richtet ihn der
freundliche, er darf wol sagen, der herzliche Empfang seines gnädigsten Fürsten
und dessen gesammter hoher Familie wieder auf. Ach, aber seine Freude über
eine Stellung zu seinem hohen Gebieter, „welche in 1?er That die zutraulichste
geworden war," sollte nur kurze Dauer haben. Sein Fürst verreist, und der
Hofmarschall kündigt ihm an, daß der Fürst beschlossen habe, ihn in Ruhestand
zu versetzen, aber zu seiner Schonung wünsche, daß Fischer selbst um seine
Penstonirung nachsuche. Fischer, aufs höchste überrascht, steht in der Sache nur
ein Mißverständniß und weigert sich, auf solchen Antrag einzugehen, da über¬
gibt ihm der Hofmarschall eine lakonische Entlassungsordre. Der gewesene
Minister ist vernichtet. Er kann den Grund nicht verstehen. — Wer aber sein
Buch unbefangen liest, wird kaum in Zweifel sein, wie die Sache gekommen
ist. Die große Spannung, welcher er fast bei allen Classen der Bevölkerung
gegen sich hervorgerufen hat, seine zerrütteten Vermögensverhältnisse und der
querköpfige Eifer, der seinem Herrn schon oft unbequem geworden sein mochte,
das wirkte so zusammen, daß die Ansprüche, welche man von Koburg aus gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/255>, abgerufen am 26.05.2024.