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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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lNI.) "Unsre Sache war gut," sagte Grey, "wir hatten eine schöne Armee, jeder¬
mann hat seine Schuldigkeit gethan und doch sind wir gescheitert. Denn die
Minister wurden durch einen Mechanismus devient, von dem neun Zehntel
nicht von ihnen abhingen. Fragen wir nach dem Militär? Was vermochten
sie über das Commissariat, über den medicinischen Stab, über das Departement
des Generalquartiermeisters? Die Offiziere fanden sie vor. Und wie? Ich habe
einen zweiten Sohn, der nicht böse, aber zu nichts gut ist. Ich bemühe mich
um ein Offizierspatent, ich bezahle und erhalte es. Stehe ich in Gunst, so
erhalte ich es schneller. Um General zu werden,, ist nichts weiter erforderlich,
als alt zu werden. Gehen wir zum. Civil über. Mein dritter Sohn ist ohne
Verstand, aber er ist ruhig; ein Kaufmann würde ihn als Commis nicht an¬
nehmen wollen. Einer meiner Freunde hat Credit, ich kann irgend einem von der
Majorität des Parlaments nützlich sein: mein Sohn wird Regicrungscommis
mit 90 Pfund Gehalt und in 20 Jahren wird er, wenn er lebt, 2S0 Pfund
Gehalt haben. Welcher Kaufmann, welcher Eisenbahnunternehmer wird sich
einem ähnlichen System unterwerfen? Aber wer hat die Schuld? John Bull,
der es duldet. Wollt Ihr der Ausschließung des Verdienstes ein Ende machen,
so macht das Ministerium freier, gebt ihm freie Wahl. Es gibt fähige Per¬
sonen in Ueberfluß ; man findet sie im Lande, aber nicht im öffentlichen Dienst,
man findet sie in der Armee, aber nicht unter den Obersten. Es handelt sich
nicht darum, die Aristokratie auszuschließen, sondern die Tüchtigen aus der
Aristokratie zu wählen. Man wird nicht gezwungen sein, seine Freunde zu¬
rückzusetzen, sondern diejenigen aus seinen Freunden zu wählen, welche sich be¬
währt haben."

Am 21. Mai erließ die Königin einen GeheimenrathSbefehl, welcher
eine Commission ernannte, um die Befähigung derjenigen zu prüfen, welche
um die Stelle eines Junior clerk im Civildienst sich bewarben. Den Commis-
saren sollten bei der Prüfung die Chefs der Departements zur Seite stehen,
ohne daß jedoch die Contmission um die Ernennungen zu den Stellen sich zu
kümmern hätte. Der Zulassigkeitsprüfung sollte eine Probezeit folgen; aber
alle diese Bestimmungen sind nur auf diejenigen Kandidaten anwendbar, welche
ein bestimmtes Alter noch nicht erreicht haben. Ueber diese Altergrenze hinaus
behält der Departementschef volle Freiheit in seinen Anstellungen.

Diese Maßregel befriedigte natürlich sehr wenig. Der Verein sür die
administrative Reform, der damals sich gebildet hatte, erließ einen energischen
Ausruf an die öffentliche Meinung. Vergesse man, daß in der Armee die
schlechte Verwaltung drei Mann g'ctödtet habe, während das Feuer des Feindes
nur einen tödtete und daß von sechs Millionen Pfund, die auf die Transporte
verwendet worden, zwei Millionen rein weggeworfen sind? Wisse man nicht,
daß Peel erklärt habe, er wolle lieber die Eisenbahnen verantwortlichen Ge-


lNI.) „Unsre Sache war gut," sagte Grey, „wir hatten eine schöne Armee, jeder¬
mann hat seine Schuldigkeit gethan und doch sind wir gescheitert. Denn die
Minister wurden durch einen Mechanismus devient, von dem neun Zehntel
nicht von ihnen abhingen. Fragen wir nach dem Militär? Was vermochten
sie über das Commissariat, über den medicinischen Stab, über das Departement
des Generalquartiermeisters? Die Offiziere fanden sie vor. Und wie? Ich habe
einen zweiten Sohn, der nicht böse, aber zu nichts gut ist. Ich bemühe mich
um ein Offizierspatent, ich bezahle und erhalte es. Stehe ich in Gunst, so
erhalte ich es schneller. Um General zu werden,, ist nichts weiter erforderlich,
als alt zu werden. Gehen wir zum. Civil über. Mein dritter Sohn ist ohne
Verstand, aber er ist ruhig; ein Kaufmann würde ihn als Commis nicht an¬
nehmen wollen. Einer meiner Freunde hat Credit, ich kann irgend einem von der
Majorität des Parlaments nützlich sein: mein Sohn wird Regicrungscommis
mit 90 Pfund Gehalt und in 20 Jahren wird er, wenn er lebt, 2S0 Pfund
Gehalt haben. Welcher Kaufmann, welcher Eisenbahnunternehmer wird sich
einem ähnlichen System unterwerfen? Aber wer hat die Schuld? John Bull,
der es duldet. Wollt Ihr der Ausschließung des Verdienstes ein Ende machen,
so macht das Ministerium freier, gebt ihm freie Wahl. Es gibt fähige Per¬
sonen in Ueberfluß ; man findet sie im Lande, aber nicht im öffentlichen Dienst,
man findet sie in der Armee, aber nicht unter den Obersten. Es handelt sich
nicht darum, die Aristokratie auszuschließen, sondern die Tüchtigen aus der
Aristokratie zu wählen. Man wird nicht gezwungen sein, seine Freunde zu¬
rückzusetzen, sondern diejenigen aus seinen Freunden zu wählen, welche sich be¬
währt haben."

Am 21. Mai erließ die Königin einen GeheimenrathSbefehl, welcher
eine Commission ernannte, um die Befähigung derjenigen zu prüfen, welche
um die Stelle eines Junior clerk im Civildienst sich bewarben. Den Commis-
saren sollten bei der Prüfung die Chefs der Departements zur Seite stehen,
ohne daß jedoch die Contmission um die Ernennungen zu den Stellen sich zu
kümmern hätte. Der Zulassigkeitsprüfung sollte eine Probezeit folgen; aber
alle diese Bestimmungen sind nur auf diejenigen Kandidaten anwendbar, welche
ein bestimmtes Alter noch nicht erreicht haben. Ueber diese Altergrenze hinaus
behält der Departementschef volle Freiheit in seinen Anstellungen.

Diese Maßregel befriedigte natürlich sehr wenig. Der Verein sür die
administrative Reform, der damals sich gebildet hatte, erließ einen energischen
Ausruf an die öffentliche Meinung. Vergesse man, daß in der Armee die
schlechte Verwaltung drei Mann g'ctödtet habe, während das Feuer des Feindes
nur einen tödtete und daß von sechs Millionen Pfund, die auf die Transporte
verwendet worden, zwei Millionen rein weggeworfen sind? Wisse man nicht,
daß Peel erklärt habe, er wolle lieber die Eisenbahnen verantwortlichen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/261>, abgerufen am 06.06.2024.