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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Berliner bereits an den Straßenecken und hefteten ihre verwunderten Blicke
aus rothe Zettel, die, sehr lakonisch abgefaßt, folgende Worte enthielten:


"Der König hat eine Schlacht verloren; jetzt ist Ruhe Bürgerpflicht; ich
Schulenburg. bitte darum. Der König und seine Brüder leben noch."

Der Siegeshoffnung und dem kecken Bewußtsein zu erwartender Triumphe
machte nun auf einmal Niedergeschlagenheit und Furcht Platz,, Während sich
der Staatsrath versammelte und die Entfernung aller Kassenbestände und kö¬
niglichen Effecten beschloß, herrschte in Berlin in hohen und niedern Kreisen
die größte Bestürzung; wer es nur einigermaßen nach seinen Mitteln vermochte,
packte seine Sachen und bereitete sich zur Flucht nach Stettin, Küstrin oder
Schlesien, während umgekehrt wieder das Landvolk sich mit seiner Habe nach
Berlin drängte. Ueberall zeigte sich Schrecken und Verwirrung und eingeschüch¬
tert dnrch die palmsche Hinrichtung versäumten auch die Redacteure der berli¬
ner Blätter nicht, ihre Person bei Zeiten in Sicherheit zu bringen, weshalb
auch der Volkswitz, der selbst in diesem trüben Augenblick nicht müßig blieb,
flugs den "Freimüthigen" in den "Kleinmüthigen" umtaufte.

So stark war der Schrecken, daß sich der größte Theil der Mitglieder
deö Staatsrathes kurz nach dem Eintreffen der Nachricht von dem Verluste der
Schlachten von Jena und Auerstädt aus Berlin entfernte, obgleich eine da¬
mals an denselben gerichtete Cabinetsordre ziemlich beruhigend klang, indem
es in derselben unter andern hieß: "Meine Armee ist auf allen Punkten ge¬
schlagen, da ich mich aber sogleich in Friedensunterhandlungen eingelassen habe
und hoffentlich bald damit zu Ende kommen werde, so wird der Feind wol nicht
nach Berlin kommen." -- Ais Graf Schulenburg abzog, tröstete er die ihn
begleitenden Volkshaufen mit den Worten: "Beruhigt euch, ich lasse euch
meine Kinder hier" -- was wol Bezug auf den Fürsten Hatzfeld haben sollte,
welcher sein Schwiegersohn war und der nun als Gouverneur an die Spitze
einer neugebildeten Municipalität trat. Diese neue Behörde, welche für den
Augenblick als eine provisorische Negierung betrachtet werden konnte, schritt
zunächst zur Errichtung einer Bürgergarde, die indessen nur einen höchst jäm¬
merlichen Anblick barbot, da sich die wohlhabenden Bürger dieser patriotischen
Pflicht entzogen und von dem Rechte Gebrauch machten, welches ihnen ge¬
stattete, für Geld Stellvertreter zu stellen, so daß hiermit zuletzt die Pflicht, die
Residenz zu schützen, in die Hände des Pöbels gelangte. Eine zweite Ma߬
regel bestand in der Aufbringung einer Million, um damit die ersten Bedürf¬
nisse der zu erwartenden Franzosen befriedigen zu können und eine dritte end¬
lich in der Absendung einer Deputation an Napoleon, "in für die Stadt
um Schonung zu bitten. Dieser antwortete der Kaiser: "Sie haben den
Krieg gewollt, nun haben Sie ihn; in meinem Plane lag dieser Krieg


Berliner bereits an den Straßenecken und hefteten ihre verwunderten Blicke
aus rothe Zettel, die, sehr lakonisch abgefaßt, folgende Worte enthielten:


„Der König hat eine Schlacht verloren; jetzt ist Ruhe Bürgerpflicht; ich
Schulenburg. bitte darum. Der König und seine Brüder leben noch."

Der Siegeshoffnung und dem kecken Bewußtsein zu erwartender Triumphe
machte nun auf einmal Niedergeschlagenheit und Furcht Platz,, Während sich
der Staatsrath versammelte und die Entfernung aller Kassenbestände und kö¬
niglichen Effecten beschloß, herrschte in Berlin in hohen und niedern Kreisen
die größte Bestürzung; wer es nur einigermaßen nach seinen Mitteln vermochte,
packte seine Sachen und bereitete sich zur Flucht nach Stettin, Küstrin oder
Schlesien, während umgekehrt wieder das Landvolk sich mit seiner Habe nach
Berlin drängte. Ueberall zeigte sich Schrecken und Verwirrung und eingeschüch¬
tert dnrch die palmsche Hinrichtung versäumten auch die Redacteure der berli¬
ner Blätter nicht, ihre Person bei Zeiten in Sicherheit zu bringen, weshalb
auch der Volkswitz, der selbst in diesem trüben Augenblick nicht müßig blieb,
flugs den „Freimüthigen" in den „Kleinmüthigen" umtaufte.

So stark war der Schrecken, daß sich der größte Theil der Mitglieder
deö Staatsrathes kurz nach dem Eintreffen der Nachricht von dem Verluste der
Schlachten von Jena und Auerstädt aus Berlin entfernte, obgleich eine da¬
mals an denselben gerichtete Cabinetsordre ziemlich beruhigend klang, indem
es in derselben unter andern hieß: „Meine Armee ist auf allen Punkten ge¬
schlagen, da ich mich aber sogleich in Friedensunterhandlungen eingelassen habe
und hoffentlich bald damit zu Ende kommen werde, so wird der Feind wol nicht
nach Berlin kommen." — Ais Graf Schulenburg abzog, tröstete er die ihn
begleitenden Volkshaufen mit den Worten: „Beruhigt euch, ich lasse euch
meine Kinder hier" — was wol Bezug auf den Fürsten Hatzfeld haben sollte,
welcher sein Schwiegersohn war und der nun als Gouverneur an die Spitze
einer neugebildeten Municipalität trat. Diese neue Behörde, welche für den
Augenblick als eine provisorische Negierung betrachtet werden konnte, schritt
zunächst zur Errichtung einer Bürgergarde, die indessen nur einen höchst jäm¬
merlichen Anblick barbot, da sich die wohlhabenden Bürger dieser patriotischen
Pflicht entzogen und von dem Rechte Gebrauch machten, welches ihnen ge¬
stattete, für Geld Stellvertreter zu stellen, so daß hiermit zuletzt die Pflicht, die
Residenz zu schützen, in die Hände des Pöbels gelangte. Eine zweite Ma߬
regel bestand in der Aufbringung einer Million, um damit die ersten Bedürf¬
nisse der zu erwartenden Franzosen befriedigen zu können und eine dritte end¬
lich in der Absendung einer Deputation an Napoleon, «in für die Stadt
um Schonung zu bitten. Dieser antwortete der Kaiser: „Sie haben den
Krieg gewollt, nun haben Sie ihn; in meinem Plane lag dieser Krieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/266>, abgerufen am 16.06.2024.