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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Lorettcnverewiger für die Literatur sind. Man mißverstehe nicht, die grie¬
chischen Künstler hatten auch einen Cultus für die berühmten Phrynen ihrer
Zeit, weil sie den Cultus der Schönheit über alles hegten, aber sie hatten
nur die Schönheit im Auge, unter ihrem Pinsel und ihrem Meisel erstand der
schöne Frauenleib zu Götterbildern. Winterhalter macht es verkehrt, er macht
aus königlichen Gestalten, aus den gewähltester Schönheiten, die von der Mode
hingerissen vor seine Staffelei hintreten, ebensoviele Lorettenbilder oder höchstens
jene nichtssagenden Keapsakesgestalten, wie sie aus der englischen Fabrik her¬
vorgehen, ohne das geringste Gepräge von Individualität und persönlicher
Schönheit. Er reducirt alles auf ein allgemeines Niveau und der indi¬
viduelle Charakter macht sich nur in Zufälligkeiten geltend. Die Stoffe,
welche seine aristokratischen Clientinnen verhüllen, sind mit mehr Liebe gemalt
und mit größerer Treue, als' das Wesen. Er malt Neclamen für die lyoner
und brüssler Fabriken, er ist der Apelles der Crinoline.

Horace Vernets Name ist bei wiederholten Abstimmungen zuerst aus der
Urne hervorgegangen, und dieser Maler somit als erster Künstler seiner Zeit
proclamirt. So wenig sympathisch uns dieses gewaltige, aber triviale Talent
deS fruchtbarsten aller Künstler ist, so begreifen wir doch diese Auszeichnung.
Horace Vernet ist so populär in Europa, wie der Name Bonaparte in Frank¬
reich es gewesen. Seine Militärgeschichten oder besser gesagt Episoden daraus sind
bekannt, so w^it nur ein Kupferstich reicht. Er appellirt nicht an die Phantasie,
nicht an das künstlerische Gefühl, er erhebt uns nicht, er erdrückt uns nicht,
er fordert keine Discussion heraus, er sucht zu amusiren wie Alexander Dumas,
wie Kotzebue, und das gelingt ihm immer. Der albernste Bourgeois, der
naiveste Recrut weiß, was er aus seinen Bildern zu machen hat. Alles was
er macht, ist mit technischer Sicherheit gemacht, er componirt nicht, aber er
gruppirt alles, er versteht das militärische Handwerk vorzüglich und weiß alles
auswendig, was sich darauf bezieht --- und weil er sich für alle Einzelnheiten
gleich interessirt, sind seine Gemälde von Anfang bis zu Ende mit gleicher
Ausdauer und gleicher Liebe gemalt und dadurch gelingt es ihm zuweilen,
glauben zu machen, er habe einen Stil, von dem er ebenso entfernt ist, als
Kotzebue und als Alexander Dumas. Die Jury hat der Fruchtbarkeit, der
Bolksthümlichkeit, den technischen Vorzügen des Malers Rechnung ge¬
tragen und ihren eignen bürgerlichen Gefühlen mehr, als dem künstlerischen
Standpunkt, den sie einzunehmen hat. Die Frauen und Kinder der Jury¬
männer hätten diesen das Leben verbittert, wenn am Is. November nicht


Danzatö (! Franzose), Gordon (Engländer), Calame (Schweizer), Starfield (Engländer, ver¬
dient) Cabanel (Franzose), Bida (Franzose), Gudin (Franzose), Jalabert CFranzosc). Roqueplan
Franzose). Winterhalter. Dieser kam mit seinen allerhöchsten Empfehlungen noch grade
vor Thorsperre.

Lorettcnverewiger für die Literatur sind. Man mißverstehe nicht, die grie¬
chischen Künstler hatten auch einen Cultus für die berühmten Phrynen ihrer
Zeit, weil sie den Cultus der Schönheit über alles hegten, aber sie hatten
nur die Schönheit im Auge, unter ihrem Pinsel und ihrem Meisel erstand der
schöne Frauenleib zu Götterbildern. Winterhalter macht es verkehrt, er macht
aus königlichen Gestalten, aus den gewähltester Schönheiten, die von der Mode
hingerissen vor seine Staffelei hintreten, ebensoviele Lorettenbilder oder höchstens
jene nichtssagenden Keapsakesgestalten, wie sie aus der englischen Fabrik her¬
vorgehen, ohne das geringste Gepräge von Individualität und persönlicher
Schönheit. Er reducirt alles auf ein allgemeines Niveau und der indi¬
viduelle Charakter macht sich nur in Zufälligkeiten geltend. Die Stoffe,
welche seine aristokratischen Clientinnen verhüllen, sind mit mehr Liebe gemalt
und mit größerer Treue, als' das Wesen. Er malt Neclamen für die lyoner
und brüssler Fabriken, er ist der Apelles der Crinoline.

Horace Vernets Name ist bei wiederholten Abstimmungen zuerst aus der
Urne hervorgegangen, und dieser Maler somit als erster Künstler seiner Zeit
proclamirt. So wenig sympathisch uns dieses gewaltige, aber triviale Talent
deS fruchtbarsten aller Künstler ist, so begreifen wir doch diese Auszeichnung.
Horace Vernet ist so populär in Europa, wie der Name Bonaparte in Frank¬
reich es gewesen. Seine Militärgeschichten oder besser gesagt Episoden daraus sind
bekannt, so w^it nur ein Kupferstich reicht. Er appellirt nicht an die Phantasie,
nicht an das künstlerische Gefühl, er erhebt uns nicht, er erdrückt uns nicht,
er fordert keine Discussion heraus, er sucht zu amusiren wie Alexander Dumas,
wie Kotzebue, und das gelingt ihm immer. Der albernste Bourgeois, der
naiveste Recrut weiß, was er aus seinen Bildern zu machen hat. Alles was
er macht, ist mit technischer Sicherheit gemacht, er componirt nicht, aber er
gruppirt alles, er versteht das militärische Handwerk vorzüglich und weiß alles
auswendig, was sich darauf bezieht -— und weil er sich für alle Einzelnheiten
gleich interessirt, sind seine Gemälde von Anfang bis zu Ende mit gleicher
Ausdauer und gleicher Liebe gemalt und dadurch gelingt es ihm zuweilen,
glauben zu machen, er habe einen Stil, von dem er ebenso entfernt ist, als
Kotzebue und als Alexander Dumas. Die Jury hat der Fruchtbarkeit, der
Bolksthümlichkeit, den technischen Vorzügen des Malers Rechnung ge¬
tragen und ihren eignen bürgerlichen Gefühlen mehr, als dem künstlerischen
Standpunkt, den sie einzunehmen hat. Die Frauen und Kinder der Jury¬
männer hätten diesen das Leben verbittert, wenn am Is. November nicht


Danzatö (! Franzose), Gordon (Engländer), Calame (Schweizer), Starfield (Engländer, ver¬
dient) Cabanel (Franzose), Bida (Franzose), Gudin (Franzose), Jalabert CFranzosc). Roqueplan
Franzose). Winterhalter. Dieser kam mit seinen allerhöchsten Empfehlungen noch grade
vor Thorsperre.
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[0274] Lorettcnverewiger für die Literatur sind. Man mißverstehe nicht, die grie¬ chischen Künstler hatten auch einen Cultus für die berühmten Phrynen ihrer Zeit, weil sie den Cultus der Schönheit über alles hegten, aber sie hatten nur die Schönheit im Auge, unter ihrem Pinsel und ihrem Meisel erstand der schöne Frauenleib zu Götterbildern. Winterhalter macht es verkehrt, er macht aus königlichen Gestalten, aus den gewähltester Schönheiten, die von der Mode hingerissen vor seine Staffelei hintreten, ebensoviele Lorettenbilder oder höchstens jene nichtssagenden Keapsakesgestalten, wie sie aus der englischen Fabrik her¬ vorgehen, ohne das geringste Gepräge von Individualität und persönlicher Schönheit. Er reducirt alles auf ein allgemeines Niveau und der indi¬ viduelle Charakter macht sich nur in Zufälligkeiten geltend. Die Stoffe, welche seine aristokratischen Clientinnen verhüllen, sind mit mehr Liebe gemalt und mit größerer Treue, als' das Wesen. Er malt Neclamen für die lyoner und brüssler Fabriken, er ist der Apelles der Crinoline. Horace Vernets Name ist bei wiederholten Abstimmungen zuerst aus der Urne hervorgegangen, und dieser Maler somit als erster Künstler seiner Zeit proclamirt. So wenig sympathisch uns dieses gewaltige, aber triviale Talent deS fruchtbarsten aller Künstler ist, so begreifen wir doch diese Auszeichnung. Horace Vernet ist so populär in Europa, wie der Name Bonaparte in Frank¬ reich es gewesen. Seine Militärgeschichten oder besser gesagt Episoden daraus sind bekannt, so w^it nur ein Kupferstich reicht. Er appellirt nicht an die Phantasie, nicht an das künstlerische Gefühl, er erhebt uns nicht, er erdrückt uns nicht, er fordert keine Discussion heraus, er sucht zu amusiren wie Alexander Dumas, wie Kotzebue, und das gelingt ihm immer. Der albernste Bourgeois, der naiveste Recrut weiß, was er aus seinen Bildern zu machen hat. Alles was er macht, ist mit technischer Sicherheit gemacht, er componirt nicht, aber er gruppirt alles, er versteht das militärische Handwerk vorzüglich und weiß alles auswendig, was sich darauf bezieht -— und weil er sich für alle Einzelnheiten gleich interessirt, sind seine Gemälde von Anfang bis zu Ende mit gleicher Ausdauer und gleicher Liebe gemalt und dadurch gelingt es ihm zuweilen, glauben zu machen, er habe einen Stil, von dem er ebenso entfernt ist, als Kotzebue und als Alexander Dumas. Die Jury hat der Fruchtbarkeit, der Bolksthümlichkeit, den technischen Vorzügen des Malers Rechnung ge¬ tragen und ihren eignen bürgerlichen Gefühlen mehr, als dem künstlerischen Standpunkt, den sie einzunehmen hat. Die Frauen und Kinder der Jury¬ männer hätten diesen das Leben verbittert, wenn am Is. November nicht Danzatö (! Franzose), Gordon (Engländer), Calame (Schweizer), Starfield (Engländer, ver¬ dient) Cabanel (Franzose), Bida (Franzose), Gudin (Franzose), Jalabert CFranzosc). Roqueplan Franzose). Winterhalter. Dieser kam mit seinen allerhöchsten Empfehlungen noch grade vor Thorsperre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/274>, abgerufen am 13.05.2024.