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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Horace Vernet als größter Mann seines Jahrhunderts ausgerufen worden.
Härte man das Suffrage universel von gan; Europa entscheiden lassen, es
würde ebenfalls Horace Vernet zum Kaiser der Malerei ausgerufen worden sein!
Dieser Mann hat nun alle Auszeichnungen, die ein Künstler erlangen kann; er ist
ein reicher Mann, er ist Obrist der Nationalgarde, sein akademisches Kleid könnte
einem Professor für angehende Diplomaten als Gegenstand eines Lehrcursus
über alle vorhandenen Orden dienen, und nun geht er auch als Sieger aus den
olympischen Spielen der modernen Kunst hervor. Die Musen mögen aller¬
dings .über diesen Enthusiasmus lächeln, aber die Musen müssen auch nicht
immer Recht behalten, wenigstens nicht in der Gegenwart -- die Zukunft ist
ewig genug, um Zeit zu einer Revanche zu geben.

Ingres ist der zweite unter den Kurfürsten der zeitgemäßen Malerei
und man braucht nur ein Bild von diesem Maler gesehen zu haben, um
sich zu überzeugen, daß dieser zurückgetretene Cäsar mit einer getheilten
Auszeichnung nicht zufrieden sein werde. Er ist aber auch ganz das Gegentheil
von Vernet, er ist' durch und durch Stil. Es ist ein eisiger Raphael und
seine Kunst erinnert an jene Thiere, die Jahrhunderte unversehrt unter Eis¬
hausen liegen, ohne in Verwesung überzugehen -- sie haben alle Eigenschaften
beibehalten, nur eine Kleinigkeit fehlt ihnen . .. daS Leben. DaS Gerippe
ist vollkommen, die Zeichnung untadelhaft, auch an Schwung fehlt es nicht,
aber es ist der Enthusiasmus der Erinnerung. Ingres, der nun bereits fünf¬
zig Jahre einen berühmten Nennen hat, war so vertieft im Anschauen von
Raphael, daß das Leben um ihn her ihm keinen Blick abgewinnen konnte.
Von Ingres kann man sagen, er habe das Genie der Geduld und den Muth
seiner Grundsätze. Auf ihn hat weder die Kritik, noch die Zeit irgend¬
einen Einfluß ausgeübt, er hat die Zähigkeit eines Monomanen. Seine
Bilder, so bedeutend sie auch sind durch die Kraft des Talentes, das sich in
ihnen ausspricht, durch die unerreichte Meisterschaft der Zeichnung, durch wohl¬
gedachte, emsig studirte Composition, so interessant sie ferner dem Kenner
durch großartige Technik erscheinen mögen, so wenig Anziehendes haben sie
für den, dem die Kunst eine Sonne ist, die leuchten und erwärmen, die wie
ihre Schwester, die Poesie, unser Gefühl anregen und erheben, wie die Musik
unsre Phantasiegestaltcn auf- und abwogen lassen soll. Ingres macht auf den
unbefangenen Beschauer immer den Eindruck eines Mannes, der sein Genie
in eine orthopädische Anstalt bringt und ihm jede bedeutende Bewegung
als der Gesundheit unzuträglich widerräth. Er hat selbst seine Kunst wie
eine Gouvernante überwacht und ruft ihr fortwährend zu, tenox-vous
clroits mes lZklnss, les nius-zö vous rexarclent. Diese Scheu vor jeder
warmen Bewegung mag um so stärker in ihm geworden sein, als er
von den eignen Schöpfungen die Erfahrung machte, daß die Leiden-


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Horace Vernet als größter Mann seines Jahrhunderts ausgerufen worden.
Härte man das Suffrage universel von gan; Europa entscheiden lassen, es
würde ebenfalls Horace Vernet zum Kaiser der Malerei ausgerufen worden sein!
Dieser Mann hat nun alle Auszeichnungen, die ein Künstler erlangen kann; er ist
ein reicher Mann, er ist Obrist der Nationalgarde, sein akademisches Kleid könnte
einem Professor für angehende Diplomaten als Gegenstand eines Lehrcursus
über alle vorhandenen Orden dienen, und nun geht er auch als Sieger aus den
olympischen Spielen der modernen Kunst hervor. Die Musen mögen aller¬
dings .über diesen Enthusiasmus lächeln, aber die Musen müssen auch nicht
immer Recht behalten, wenigstens nicht in der Gegenwart — die Zukunft ist
ewig genug, um Zeit zu einer Revanche zu geben.

Ingres ist der zweite unter den Kurfürsten der zeitgemäßen Malerei
und man braucht nur ein Bild von diesem Maler gesehen zu haben, um
sich zu überzeugen, daß dieser zurückgetretene Cäsar mit einer getheilten
Auszeichnung nicht zufrieden sein werde. Er ist aber auch ganz das Gegentheil
von Vernet, er ist' durch und durch Stil. Es ist ein eisiger Raphael und
seine Kunst erinnert an jene Thiere, die Jahrhunderte unversehrt unter Eis¬
hausen liegen, ohne in Verwesung überzugehen — sie haben alle Eigenschaften
beibehalten, nur eine Kleinigkeit fehlt ihnen . .. daS Leben. DaS Gerippe
ist vollkommen, die Zeichnung untadelhaft, auch an Schwung fehlt es nicht,
aber es ist der Enthusiasmus der Erinnerung. Ingres, der nun bereits fünf¬
zig Jahre einen berühmten Nennen hat, war so vertieft im Anschauen von
Raphael, daß das Leben um ihn her ihm keinen Blick abgewinnen konnte.
Von Ingres kann man sagen, er habe das Genie der Geduld und den Muth
seiner Grundsätze. Auf ihn hat weder die Kritik, noch die Zeit irgend¬
einen Einfluß ausgeübt, er hat die Zähigkeit eines Monomanen. Seine
Bilder, so bedeutend sie auch sind durch die Kraft des Talentes, das sich in
ihnen ausspricht, durch die unerreichte Meisterschaft der Zeichnung, durch wohl¬
gedachte, emsig studirte Composition, so interessant sie ferner dem Kenner
durch großartige Technik erscheinen mögen, so wenig Anziehendes haben sie
für den, dem die Kunst eine Sonne ist, die leuchten und erwärmen, die wie
ihre Schwester, die Poesie, unser Gefühl anregen und erheben, wie die Musik
unsre Phantasiegestaltcn auf- und abwogen lassen soll. Ingres macht auf den
unbefangenen Beschauer immer den Eindruck eines Mannes, der sein Genie
in eine orthopädische Anstalt bringt und ihm jede bedeutende Bewegung
als der Gesundheit unzuträglich widerräth. Er hat selbst seine Kunst wie
eine Gouvernante überwacht und ruft ihr fortwährend zu, tenox-vous
clroits mes lZklnss, les nius-zö vous rexarclent. Diese Scheu vor jeder
warmen Bewegung mag um so stärker in ihm geworden sein, als er
von den eignen Schöpfungen die Erfahrung machte, daß die Leiden-


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[0275] Horace Vernet als größter Mann seines Jahrhunderts ausgerufen worden. Härte man das Suffrage universel von gan; Europa entscheiden lassen, es würde ebenfalls Horace Vernet zum Kaiser der Malerei ausgerufen worden sein! Dieser Mann hat nun alle Auszeichnungen, die ein Künstler erlangen kann; er ist ein reicher Mann, er ist Obrist der Nationalgarde, sein akademisches Kleid könnte einem Professor für angehende Diplomaten als Gegenstand eines Lehrcursus über alle vorhandenen Orden dienen, und nun geht er auch als Sieger aus den olympischen Spielen der modernen Kunst hervor. Die Musen mögen aller¬ dings .über diesen Enthusiasmus lächeln, aber die Musen müssen auch nicht immer Recht behalten, wenigstens nicht in der Gegenwart — die Zukunft ist ewig genug, um Zeit zu einer Revanche zu geben. Ingres ist der zweite unter den Kurfürsten der zeitgemäßen Malerei und man braucht nur ein Bild von diesem Maler gesehen zu haben, um sich zu überzeugen, daß dieser zurückgetretene Cäsar mit einer getheilten Auszeichnung nicht zufrieden sein werde. Er ist aber auch ganz das Gegentheil von Vernet, er ist' durch und durch Stil. Es ist ein eisiger Raphael und seine Kunst erinnert an jene Thiere, die Jahrhunderte unversehrt unter Eis¬ hausen liegen, ohne in Verwesung überzugehen — sie haben alle Eigenschaften beibehalten, nur eine Kleinigkeit fehlt ihnen . .. daS Leben. DaS Gerippe ist vollkommen, die Zeichnung untadelhaft, auch an Schwung fehlt es nicht, aber es ist der Enthusiasmus der Erinnerung. Ingres, der nun bereits fünf¬ zig Jahre einen berühmten Nennen hat, war so vertieft im Anschauen von Raphael, daß das Leben um ihn her ihm keinen Blick abgewinnen konnte. Von Ingres kann man sagen, er habe das Genie der Geduld und den Muth seiner Grundsätze. Auf ihn hat weder die Kritik, noch die Zeit irgend¬ einen Einfluß ausgeübt, er hat die Zähigkeit eines Monomanen. Seine Bilder, so bedeutend sie auch sind durch die Kraft des Talentes, das sich in ihnen ausspricht, durch die unerreichte Meisterschaft der Zeichnung, durch wohl¬ gedachte, emsig studirte Composition, so interessant sie ferner dem Kenner durch großartige Technik erscheinen mögen, so wenig Anziehendes haben sie für den, dem die Kunst eine Sonne ist, die leuchten und erwärmen, die wie ihre Schwester, die Poesie, unser Gefühl anregen und erheben, wie die Musik unsre Phantasiegestaltcn auf- und abwogen lassen soll. Ingres macht auf den unbefangenen Beschauer immer den Eindruck eines Mannes, der sein Genie in eine orthopädische Anstalt bringt und ihm jede bedeutende Bewegung als der Gesundheit unzuträglich widerräth. Er hat selbst seine Kunst wie eine Gouvernante überwacht und ruft ihr fortwährend zu, tenox-vous clroits mes lZklnss, les nius-zö vous rexarclent. Diese Scheu vor jeder warmen Bewegung mag um so stärker in ihm geworden sein, als er von den eignen Schöpfungen die Erfahrung machte, daß die Leiden- 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/275>, abgerufen am 23.05.2024.