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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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waren für die englischen Waffen bittere Verluste gekommen, und damals fand sich
zum Unglück eine Partei und Preßorgane, welche dachten, es gäbe kein anderes
Heilsmittel, als sich vor dem Oberhaupte einer alliirten Negierung, die man
nöthig hatte, zu demüthigen und die alten englischen Institutionen vor den
neuen des französischen Kaiserthums zu erniedrigen.

Besonders Belgien ist es jetzt, worauf die Kriegspartei ihre Streiche rich¬
tet. Als das belgische Volk vor dem englischen Parlament von einigen Red¬
nern der Feigheit beschuldigt würde, weil eS nicht in die westmächtliche Allianz
eintritt, hatten die eraltirten Organe der englischen Presse nicht genug harte Aus¬
drücke, um diese gehässige Anklage zu wiederholen und zu verbreiten. Dann
war es dieselbe Presse, welche das Oberhaupt des constitutionellen Belgiens,
den König Leopold, in den Schmuz zog, Schmach und Schimpf auf sein Haupt
hauste, weil er nicht dem Beispiel des Königs von Sardinien folgte. Der
Artikel, welchen der Sun gegen den König der Belgier brachte, enthielt Beschim¬
pfungen, wie sie in einer Matrosentaverne vorkommen; Verleumdungen, so giftig,
wie sie eine Maitresse für ihre Nachfolgerin hat und erbitterte Drohungen, daS
war der unsaubere Inhalt eines Ergusses, womit der Sun den Onkel seiner
Königin und ihres Gemahls überschüttete.

Nach diesem noch frischen Skandal tritt jetzt die Morning-Post, Organ
des englischen Ministeriums und Lord Palmerstons insbesondere, als Borer
gegen das arme Belgien auf die Bühne. Es ist nicht allein die Neutralität
Belgiens, die den englischen Fechter in Hitze bringt; eine der Hauptsreiheiten
Belgiens, ein Fundamentalprincip seiner Constitution, die Preßfreiheit ist es,
gegen welche das palmerstonschc Sprachrohr donnert. Nachdem die Morning-
Post von dem "glücklichen Zufall" gesprochen, der Belgien davon befreie, in
dem gegenwärtigen Kampfe das Schlachtfeld von Europa zu werden, und hin¬
terher spöttisch gefragt, wie lange dieses glückliche Ungefähr noch dauern werde;
nachdem sie Belgien vorgeworfen, daß es "russisch oder antienglisch" sei, und
in kleinem Maßstabe dem Beispiele Preußens folge, dem sie leider, mit gewohn¬
ter Entschiedenheit, eine schwankende und feige Haltung vorwirft, und dann sich
verächtlich dahin äußert, daß in einem so großen Kampfe die Freundschaft oder
die Feindseligkeit des kleinen Landes ein zu unbedeutender Gegenstand sei, um
sich dabei aufzuhalten, läßt sie die neue Mine springen. England und Frank¬
reich hätten gute Gründe sich darüber zu beklagen, daß die belgische Negierung
ihren Journalen erlaube, die mordbrennerischen Manifeste von Ledru Rollin,
Kossuth und Mazzini durch Europa zu verbreiten. Die englischen Journale
hätten zwar auch diese Manifeste gebracht, aber in England erregten dergleichen
Schriften nur Spott und Verachtung, und außerhalb thäten sie keinen großen
Schaden, da im Allgemeinen die ungarischen Patrioten, die französischen Rothen
und die italienischen Liberalen kein Englisch verständen. Die belgische Regierung


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waren für die englischen Waffen bittere Verluste gekommen, und damals fand sich
zum Unglück eine Partei und Preßorgane, welche dachten, es gäbe kein anderes
Heilsmittel, als sich vor dem Oberhaupte einer alliirten Negierung, die man
nöthig hatte, zu demüthigen und die alten englischen Institutionen vor den
neuen des französischen Kaiserthums zu erniedrigen.

Besonders Belgien ist es jetzt, worauf die Kriegspartei ihre Streiche rich¬
tet. Als das belgische Volk vor dem englischen Parlament von einigen Red¬
nern der Feigheit beschuldigt würde, weil eS nicht in die westmächtliche Allianz
eintritt, hatten die eraltirten Organe der englischen Presse nicht genug harte Aus¬
drücke, um diese gehässige Anklage zu wiederholen und zu verbreiten. Dann
war es dieselbe Presse, welche das Oberhaupt des constitutionellen Belgiens,
den König Leopold, in den Schmuz zog, Schmach und Schimpf auf sein Haupt
hauste, weil er nicht dem Beispiel des Königs von Sardinien folgte. Der
Artikel, welchen der Sun gegen den König der Belgier brachte, enthielt Beschim¬
pfungen, wie sie in einer Matrosentaverne vorkommen; Verleumdungen, so giftig,
wie sie eine Maitresse für ihre Nachfolgerin hat und erbitterte Drohungen, daS
war der unsaubere Inhalt eines Ergusses, womit der Sun den Onkel seiner
Königin und ihres Gemahls überschüttete.

Nach diesem noch frischen Skandal tritt jetzt die Morning-Post, Organ
des englischen Ministeriums und Lord Palmerstons insbesondere, als Borer
gegen das arme Belgien auf die Bühne. Es ist nicht allein die Neutralität
Belgiens, die den englischen Fechter in Hitze bringt; eine der Hauptsreiheiten
Belgiens, ein Fundamentalprincip seiner Constitution, die Preßfreiheit ist es,
gegen welche das palmerstonschc Sprachrohr donnert. Nachdem die Morning-
Post von dem „glücklichen Zufall" gesprochen, der Belgien davon befreie, in
dem gegenwärtigen Kampfe das Schlachtfeld von Europa zu werden, und hin¬
terher spöttisch gefragt, wie lange dieses glückliche Ungefähr noch dauern werde;
nachdem sie Belgien vorgeworfen, daß es „russisch oder antienglisch" sei, und
in kleinem Maßstabe dem Beispiele Preußens folge, dem sie leider, mit gewohn¬
ter Entschiedenheit, eine schwankende und feige Haltung vorwirft, und dann sich
verächtlich dahin äußert, daß in einem so großen Kampfe die Freundschaft oder
die Feindseligkeit des kleinen Landes ein zu unbedeutender Gegenstand sei, um
sich dabei aufzuhalten, läßt sie die neue Mine springen. England und Frank¬
reich hätten gute Gründe sich darüber zu beklagen, daß die belgische Negierung
ihren Journalen erlaube, die mordbrennerischen Manifeste von Ledru Rollin,
Kossuth und Mazzini durch Europa zu verbreiten. Die englischen Journale
hätten zwar auch diese Manifeste gebracht, aber in England erregten dergleichen
Schriften nur Spott und Verachtung, und außerhalb thäten sie keinen großen
Schaden, da im Allgemeinen die ungarischen Patrioten, die französischen Rothen
und die italienischen Liberalen kein Englisch verständen. Die belgische Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/315>, abgerufen am 12.05.2024.