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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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von Piraten bedroht, dann könnte man begreifen, daß Belgien sich die Kosten
eines kleinen Geschwaders mache, um sich gegen diese Schnapphähne zu schützen.
Aber, die Piraten der Nordsee sind nur noch in den Romanen vorhanden;
unsre Küsten siud in vollständiger Sicherheit und unsre Handelsschiffe durch-
fahren die Meere seit länger als fünfundzwanzig Jahren, ohne jemals ans
segelnde Freibeuter gestoßen zu sein. Wenn dem so ist, wozu sollte eine Kriegs¬
marine dienen? Vielleicht um die nationale Unabhängigkeit zu beschützen?
Aber jeder weiß sehr wohl, daß diese Unabhängigkeit nur in dem Falle ernst¬
lich in Gefahr kommen könnte, wo, Frankreich und England einig wären,
Belgien von der Landkarte auszustreichen. Wäre in diesem Falle unsere Kriegs¬
marine wol kräftig genug, um das Land zu beschützen? Würden wir zufällig
die Anmaßung haben, den vereinigten Flotten Englands und Frankreichs Trotz
zu bieten? Würden wir die Eitelkeit besitzen, nach der Herrschaft der Meere
zu streben? Indeß, die fragliche Commission ist in der That vorhanden, hat
in Antwerpen und in Brüssel getagt und -- eine ungewöhnliche Erscheinung
-- vierzehn Tage waren hinreichend für sie, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Wenn es sich um eine wahrhaft nützliche Sache gehandelt hätte, wären vier¬
zehn Monate noch zu wenig gewesen, um zu einem Abschlüsse zu kommen. Die
Commission hat mit der Majorität von acht Stimmen gegen zwei entschieden,
"daß die Nothwendigkeit vorhanden sei, eine Kriegsmarine zu schaffen." Dann
hat sie einen Ausschuß gewählt, um die vorläufigen Ausgaben zu berechnen,
welche die zukünftige Flotte kosten dürfte. Es wird eine ganz hüvsche Summe
herauskommen und das geplagte Budget, das jetzt schon 132,708,116 Franken
beträgt, noch etwas mehr ins Gewicht fallen. 32,190,000 Franken hat das
neutrale Belgien von diesem Budget im vorigen Jahre für den Krieg gebraucht.
Auf Kriegsfuß soll es 100,000 Mann haben und es zählt einen Effectivbestand
von wenigstens SO,000. Seit der Revolution von 1830, wodurch Belgien
sich als Nation constituirte, haben seine Kriegsbudgets von 73 Millionen
(erstes Jahr 1831) bis zu dem Minimum von 26,700,000 Franken variirt. Die
Addition dieser Budgets von 1831 bis 1834, ergibt eine Gesammtsumme von
1,764,373,198 Franken, beinahe 2 Milliarden in 23 Jahren, von einer per¬
manenten Armee, in einem neutralen Lande verbraucht, das nur vier und
eine halbe Million Einwohner zählt. Kommt zu dem Kriegsbudget nun noch
das Marinebudget, so wird man gewiß nicht sagen können, daß Belgien seine
Neutralität zu einem wohlfeilen Preise genießt.




von Piraten bedroht, dann könnte man begreifen, daß Belgien sich die Kosten
eines kleinen Geschwaders mache, um sich gegen diese Schnapphähne zu schützen.
Aber, die Piraten der Nordsee sind nur noch in den Romanen vorhanden;
unsre Küsten siud in vollständiger Sicherheit und unsre Handelsschiffe durch-
fahren die Meere seit länger als fünfundzwanzig Jahren, ohne jemals ans
segelnde Freibeuter gestoßen zu sein. Wenn dem so ist, wozu sollte eine Kriegs¬
marine dienen? Vielleicht um die nationale Unabhängigkeit zu beschützen?
Aber jeder weiß sehr wohl, daß diese Unabhängigkeit nur in dem Falle ernst¬
lich in Gefahr kommen könnte, wo, Frankreich und England einig wären,
Belgien von der Landkarte auszustreichen. Wäre in diesem Falle unsere Kriegs¬
marine wol kräftig genug, um das Land zu beschützen? Würden wir zufällig
die Anmaßung haben, den vereinigten Flotten Englands und Frankreichs Trotz
zu bieten? Würden wir die Eitelkeit besitzen, nach der Herrschaft der Meere
zu streben? Indeß, die fragliche Commission ist in der That vorhanden, hat
in Antwerpen und in Brüssel getagt und — eine ungewöhnliche Erscheinung
— vierzehn Tage waren hinreichend für sie, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Wenn es sich um eine wahrhaft nützliche Sache gehandelt hätte, wären vier¬
zehn Monate noch zu wenig gewesen, um zu einem Abschlüsse zu kommen. Die
Commission hat mit der Majorität von acht Stimmen gegen zwei entschieden,
„daß die Nothwendigkeit vorhanden sei, eine Kriegsmarine zu schaffen." Dann
hat sie einen Ausschuß gewählt, um die vorläufigen Ausgaben zu berechnen,
welche die zukünftige Flotte kosten dürfte. Es wird eine ganz hüvsche Summe
herauskommen und das geplagte Budget, das jetzt schon 132,708,116 Franken
beträgt, noch etwas mehr ins Gewicht fallen. 32,190,000 Franken hat das
neutrale Belgien von diesem Budget im vorigen Jahre für den Krieg gebraucht.
Auf Kriegsfuß soll es 100,000 Mann haben und es zählt einen Effectivbestand
von wenigstens SO,000. Seit der Revolution von 1830, wodurch Belgien
sich als Nation constituirte, haben seine Kriegsbudgets von 73 Millionen
(erstes Jahr 1831) bis zu dem Minimum von 26,700,000 Franken variirt. Die
Addition dieser Budgets von 1831 bis 1834, ergibt eine Gesammtsumme von
1,764,373,198 Franken, beinahe 2 Milliarden in 23 Jahren, von einer per¬
manenten Armee, in einem neutralen Lande verbraucht, das nur vier und
eine halbe Million Einwohner zählt. Kommt zu dem Kriegsbudget nun noch
das Marinebudget, so wird man gewiß nicht sagen können, daß Belgien seine
Neutralität zu einem wohlfeilen Preise genießt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/318>, abgerufen am 12.05.2024.