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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Neipperg, die Preußen Gneisenau und Dörnberg, der französische Emigrant
Graf Noailles, dem bald Madame Stahl sich anschloß. In demselben Monat
trat England dem Petersburger Vertrage zwischen Rußland und Schweden bei,
wurde durch geheime Sendung des schwedischen Generals Pavast der Friede
zwischen Rußland und der Türkei geschlossen und nunmehr am -18. Juli erließ
Bernadotte einen Protest gegen die Besetzung von schwedisch-Pommern durch
die Franzosen, eine Erklärung bewaffneter Neutralität und einen Befehl, welcher
die Häfen Schwedens., allen Nationen öffnete.

Bernadotte hatte Napoleon vollkommen getäuscht. Aber schwieriger war
es ihm, die schwedische Nation für seine Politik zu gewinnen. Die Schweden
hatten ihn lediglich deshalb zum Kronprinzen gewählt, um durch ihn die
Allianz Frankreichs gegen Rußland zu gewinnen. Mit Frankreich Rußland
zu bekämpfen, den Verlust Finnlands zu rächen und die beklagenswerthe Zer¬
stücklung ihres Vaterlandes'wieder aufzuheben, das war ihre einzige Absicht.
Der Haß der Schweden gegen Rußland bestand in seiner ganzen Heftigkeit
fort. Bernadotte suchte zunächst die Chefs der Armee für seine Pläne zu ge¬
winnen. Er berief die Generale Ablerkreuz, Skiöldebrand und Sandels. Er
sagte ihnen, Napoleon sei ein Tyrann, den man stürzen müsse, um den Frieden
der Welt zu retten; Napoleon widersetze sich der Vereinigung Norwegens mit
Schweden; man dürfe von ihm nichts hoffen, da man der Continentalsperre
weder beitreten könne noch wolle; Napoleon biete Finnland, um Schweden in
den Krieg gegen Nußland zu verwickeln; aber das sei ein gefährliches Netz
und werde Schweden nur in unabsehbare Kriege mit Rußland verwickeln,
welches Finnland niemals aufgeben würde. Skiöldebrand erwiderte, wenn
Napoleon Schweden unterjochen wolle, so werde dieses Joch wenigstens mit
dem Tode Napoleons aufhören, während daS russische Joch viel dauernder und
erniedrigender sein würde. Adlerkreuz erklärte den Besitz Finnlands unerläßlich
für Schweden, wenn es seine Unabhängigkleit behaupten wolle und der Bruch
zwischen Nußland und Frankreich sei die beste Gelegenheit, diese Provinz
wiederzuerlangen. Die Generale fügten sich jedoch schließlich, obwol mit
Widerstreben der Ansicht BernadotteS. Es blieb diesem noch übrig, das
Widerstreben des schwedischen Reichstages zu besiegen. Schon im Mai 1812
setzte er den Ausschuß des Reichstages von den Unterhandlungen über das
Bündnis) mit Nußland und über die Erwerbung Norwegens in Kenntniß.
Diese Mittheilung wurde überall mit großer Bestürzung aufgenommen. Aber
Bernadotte bot alle Mittel der Drohung und der Ueberredung auf; er bewog
den Reichstag, in aller Eile die Preßfreiheit abzuschaffen und die Censur ein¬
zuführen. Einerseits durch diese Waffe, andererseits durch die Organisation
einer besoldeten. Negierungspresse unterwarf er sich die öffentliche Meinung in
Schweden und legte eine dichte Binde um die Augen der Nation.


Neipperg, die Preußen Gneisenau und Dörnberg, der französische Emigrant
Graf Noailles, dem bald Madame Stahl sich anschloß. In demselben Monat
trat England dem Petersburger Vertrage zwischen Rußland und Schweden bei,
wurde durch geheime Sendung des schwedischen Generals Pavast der Friede
zwischen Rußland und der Türkei geschlossen und nunmehr am -18. Juli erließ
Bernadotte einen Protest gegen die Besetzung von schwedisch-Pommern durch
die Franzosen, eine Erklärung bewaffneter Neutralität und einen Befehl, welcher
die Häfen Schwedens., allen Nationen öffnete.

Bernadotte hatte Napoleon vollkommen getäuscht. Aber schwieriger war
es ihm, die schwedische Nation für seine Politik zu gewinnen. Die Schweden
hatten ihn lediglich deshalb zum Kronprinzen gewählt, um durch ihn die
Allianz Frankreichs gegen Rußland zu gewinnen. Mit Frankreich Rußland
zu bekämpfen, den Verlust Finnlands zu rächen und die beklagenswerthe Zer¬
stücklung ihres Vaterlandes'wieder aufzuheben, das war ihre einzige Absicht.
Der Haß der Schweden gegen Rußland bestand in seiner ganzen Heftigkeit
fort. Bernadotte suchte zunächst die Chefs der Armee für seine Pläne zu ge¬
winnen. Er berief die Generale Ablerkreuz, Skiöldebrand und Sandels. Er
sagte ihnen, Napoleon sei ein Tyrann, den man stürzen müsse, um den Frieden
der Welt zu retten; Napoleon widersetze sich der Vereinigung Norwegens mit
Schweden; man dürfe von ihm nichts hoffen, da man der Continentalsperre
weder beitreten könne noch wolle; Napoleon biete Finnland, um Schweden in
den Krieg gegen Nußland zu verwickeln; aber das sei ein gefährliches Netz
und werde Schweden nur in unabsehbare Kriege mit Rußland verwickeln,
welches Finnland niemals aufgeben würde. Skiöldebrand erwiderte, wenn
Napoleon Schweden unterjochen wolle, so werde dieses Joch wenigstens mit
dem Tode Napoleons aufhören, während daS russische Joch viel dauernder und
erniedrigender sein würde. Adlerkreuz erklärte den Besitz Finnlands unerläßlich
für Schweden, wenn es seine Unabhängigkleit behaupten wolle und der Bruch
zwischen Nußland und Frankreich sei die beste Gelegenheit, diese Provinz
wiederzuerlangen. Die Generale fügten sich jedoch schließlich, obwol mit
Widerstreben der Ansicht BernadotteS. Es blieb diesem noch übrig, das
Widerstreben des schwedischen Reichstages zu besiegen. Schon im Mai 1812
setzte er den Ausschuß des Reichstages von den Unterhandlungen über das
Bündnis) mit Nußland und über die Erwerbung Norwegens in Kenntniß.
Diese Mittheilung wurde überall mit großer Bestürzung aufgenommen. Aber
Bernadotte bot alle Mittel der Drohung und der Ueberredung auf; er bewog
den Reichstag, in aller Eile die Preßfreiheit abzuschaffen und die Censur ein¬
zuführen. Einerseits durch diese Waffe, andererseits durch die Organisation
einer besoldeten. Negierungspresse unterwarf er sich die öffentliche Meinung in
Schweden und legte eine dichte Binde um die Augen der Nation.


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[0360] Neipperg, die Preußen Gneisenau und Dörnberg, der französische Emigrant Graf Noailles, dem bald Madame Stahl sich anschloß. In demselben Monat trat England dem Petersburger Vertrage zwischen Rußland und Schweden bei, wurde durch geheime Sendung des schwedischen Generals Pavast der Friede zwischen Rußland und der Türkei geschlossen und nunmehr am -18. Juli erließ Bernadotte einen Protest gegen die Besetzung von schwedisch-Pommern durch die Franzosen, eine Erklärung bewaffneter Neutralität und einen Befehl, welcher die Häfen Schwedens., allen Nationen öffnete. Bernadotte hatte Napoleon vollkommen getäuscht. Aber schwieriger war es ihm, die schwedische Nation für seine Politik zu gewinnen. Die Schweden hatten ihn lediglich deshalb zum Kronprinzen gewählt, um durch ihn die Allianz Frankreichs gegen Rußland zu gewinnen. Mit Frankreich Rußland zu bekämpfen, den Verlust Finnlands zu rächen und die beklagenswerthe Zer¬ stücklung ihres Vaterlandes'wieder aufzuheben, das war ihre einzige Absicht. Der Haß der Schweden gegen Rußland bestand in seiner ganzen Heftigkeit fort. Bernadotte suchte zunächst die Chefs der Armee für seine Pläne zu ge¬ winnen. Er berief die Generale Ablerkreuz, Skiöldebrand und Sandels. Er sagte ihnen, Napoleon sei ein Tyrann, den man stürzen müsse, um den Frieden der Welt zu retten; Napoleon widersetze sich der Vereinigung Norwegens mit Schweden; man dürfe von ihm nichts hoffen, da man der Continentalsperre weder beitreten könne noch wolle; Napoleon biete Finnland, um Schweden in den Krieg gegen Nußland zu verwickeln; aber das sei ein gefährliches Netz und werde Schweden nur in unabsehbare Kriege mit Rußland verwickeln, welches Finnland niemals aufgeben würde. Skiöldebrand erwiderte, wenn Napoleon Schweden unterjochen wolle, so werde dieses Joch wenigstens mit dem Tode Napoleons aufhören, während daS russische Joch viel dauernder und erniedrigender sein würde. Adlerkreuz erklärte den Besitz Finnlands unerläßlich für Schweden, wenn es seine Unabhängigkleit behaupten wolle und der Bruch zwischen Nußland und Frankreich sei die beste Gelegenheit, diese Provinz wiederzuerlangen. Die Generale fügten sich jedoch schließlich, obwol mit Widerstreben der Ansicht BernadotteS. Es blieb diesem noch übrig, das Widerstreben des schwedischen Reichstages zu besiegen. Schon im Mai 1812 setzte er den Ausschuß des Reichstages von den Unterhandlungen über das Bündnis) mit Nußland und über die Erwerbung Norwegens in Kenntniß. Diese Mittheilung wurde überall mit großer Bestürzung aufgenommen. Aber Bernadotte bot alle Mittel der Drohung und der Ueberredung auf; er bewog den Reichstag, in aller Eile die Preßfreiheit abzuschaffen und die Censur ein¬ zuführen. Einerseits durch diese Waffe, andererseits durch die Organisation einer besoldeten. Negierungspresse unterwarf er sich die öffentliche Meinung in Schweden und legte eine dichte Binde um die Augen der Nation.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/360>, abgerufen am 16.06.2024.