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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Inzwischen überschritt Napoleon am 23. Juni 1812 den Riemen und
besetzte Wilna, Witepsk und Smolensk. Alexander zitterte. Er hatte zunächst
nur 1i0,000 Mann den 400,000 Mann Napoleons entgegenzustellen. Er
verlangte unter diesen Umständen eine persönliche Zusammenkunft mit Berna-
dotte und die Stadt Abo in Finnland wurde zu derselben ausersehen. Ber-
nadotte entwarf in der Unterredung mit Alexander merkwürdige Pläne: man
müsse überall gegen Napoleon einen nationalen Widerstand organisiren. Wenn
Napoleon wirklich Petersburg bedrohen sollte, so woÄe er, Bernadotte, mit
seinen Schweden an den Küsten der Bretagne landen und auf Paris mar-
schiren, im Namen der Freiheit einen Aufruf an die Franzosen erlassen und
mit Hilfe der constitutionellen und demokratischen Partei Napoleon in Frank¬
reich selbst stürzen. Alle Freunde der Freiheit in Frankreich würden ihm die
Hand bieten und die Folge davon würde in Frankreich sein eine constitutio-
nelle Monarchie, eine Republik, "wer weiß?" Dieses "Wer weiß?" erregte
die Aufmerksamkeit Alexanders. "Ich gebe Ihnen," erwiderte er, "zu jener
Unternehmung in Frankreich statt der 200,000 Mann, welche Sie verlangen,
400,000, und ich werde mit Vergnügen die Geschicke Frankreichs in Ihren
Händen sehen." Bernadotte antwortete, er strebe nicht nach dem Throne von
Frankreich und könne denselben auch nicht mit einer russischen Armee und als
Feldherr des Zaren gewinnen, er brauche nur 200,000 Mann. Welches aber
auch seine geheime Absicht war, er gewährte alles, was der Zar verlangte.
Er verpflichtete sich zu einer Diversion gegen den linken Flügel der französischen
Armee, obgleich ihm der Zar keine einzige seiner Forderungen', weder das
ganze Finnland noch den Theil Finnlands zwischen Kemi und Kalir, noch die
Alandsinseln bewilligte. Die Vortheile, welche Schweden von Nußland er¬
hielt, standen in keinem Verhältniß zu denen, welche Schweden den Russen
gewährte. Der Zar bewilligte Bernadotte eine Anleihe von 13,000,000 Ru¬
beln, von welcher Summe drei Viertel in Getreide und Mehl zahlbar waren
und überdies unter strengen und kleinlichen Bedingungen der Rückzahlung.
Schweden sollte außer Norwegen die dänischen Inseln Seeland und Bornholm
erwerben. Dänemark dafür mit Bremen, Verven, Lübeck, Hamburg und einem
Theil von Mecklenburg entschädigt werden. Die Vermittlung Rußlands sollte
Schweden das Bündniß mit England und Subsidien von dieser Macht ver-
Ichaffeu. Dafür verpflichtete sich Bernadotte "die Expedition gegen Dänemark,
welche ihm Norwegen sichern sollte, aufzuschieben, in Deutschland zu landen
und an dem Kriege Rußlands gegen Frankreich sich zu betheiligen. Er
garcintirte Nußland das Großherzogthum Warschau, das ganze Land vom
Riemen bis zur Weichsel und zur Oder, Warschau, Krakau, Thorn und das
Großherzogthum Posen. Nicht zufrieden, den Frieden von Bukarest vermittelt
Zu haben, welcher den Russen Bessarabien und den dritten Theil der Mol-


Grenzboten. IV. 18so. 43

Inzwischen überschritt Napoleon am 23. Juni 1812 den Riemen und
besetzte Wilna, Witepsk und Smolensk. Alexander zitterte. Er hatte zunächst
nur 1i0,000 Mann den 400,000 Mann Napoleons entgegenzustellen. Er
verlangte unter diesen Umständen eine persönliche Zusammenkunft mit Berna-
dotte und die Stadt Abo in Finnland wurde zu derselben ausersehen. Ber-
nadotte entwarf in der Unterredung mit Alexander merkwürdige Pläne: man
müsse überall gegen Napoleon einen nationalen Widerstand organisiren. Wenn
Napoleon wirklich Petersburg bedrohen sollte, so woÄe er, Bernadotte, mit
seinen Schweden an den Küsten der Bretagne landen und auf Paris mar-
schiren, im Namen der Freiheit einen Aufruf an die Franzosen erlassen und
mit Hilfe der constitutionellen und demokratischen Partei Napoleon in Frank¬
reich selbst stürzen. Alle Freunde der Freiheit in Frankreich würden ihm die
Hand bieten und die Folge davon würde in Frankreich sein eine constitutio-
nelle Monarchie, eine Republik, „wer weiß?" Dieses „Wer weiß?" erregte
die Aufmerksamkeit Alexanders. „Ich gebe Ihnen," erwiderte er, „zu jener
Unternehmung in Frankreich statt der 200,000 Mann, welche Sie verlangen,
400,000, und ich werde mit Vergnügen die Geschicke Frankreichs in Ihren
Händen sehen." Bernadotte antwortete, er strebe nicht nach dem Throne von
Frankreich und könne denselben auch nicht mit einer russischen Armee und als
Feldherr des Zaren gewinnen, er brauche nur 200,000 Mann. Welches aber
auch seine geheime Absicht war, er gewährte alles, was der Zar verlangte.
Er verpflichtete sich zu einer Diversion gegen den linken Flügel der französischen
Armee, obgleich ihm der Zar keine einzige seiner Forderungen', weder das
ganze Finnland noch den Theil Finnlands zwischen Kemi und Kalir, noch die
Alandsinseln bewilligte. Die Vortheile, welche Schweden von Nußland er¬
hielt, standen in keinem Verhältniß zu denen, welche Schweden den Russen
gewährte. Der Zar bewilligte Bernadotte eine Anleihe von 13,000,000 Ru¬
beln, von welcher Summe drei Viertel in Getreide und Mehl zahlbar waren
und überdies unter strengen und kleinlichen Bedingungen der Rückzahlung.
Schweden sollte außer Norwegen die dänischen Inseln Seeland und Bornholm
erwerben. Dänemark dafür mit Bremen, Verven, Lübeck, Hamburg und einem
Theil von Mecklenburg entschädigt werden. Die Vermittlung Rußlands sollte
Schweden das Bündniß mit England und Subsidien von dieser Macht ver-
Ichaffeu. Dafür verpflichtete sich Bernadotte „die Expedition gegen Dänemark,
welche ihm Norwegen sichern sollte, aufzuschieben, in Deutschland zu landen
und an dem Kriege Rußlands gegen Frankreich sich zu betheiligen. Er
garcintirte Nußland das Großherzogthum Warschau, das ganze Land vom
Riemen bis zur Weichsel und zur Oder, Warschau, Krakau, Thorn und das
Großherzogthum Posen. Nicht zufrieden, den Frieden von Bukarest vermittelt
Zu haben, welcher den Russen Bessarabien und den dritten Theil der Mol-


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[0361] Inzwischen überschritt Napoleon am 23. Juni 1812 den Riemen und besetzte Wilna, Witepsk und Smolensk. Alexander zitterte. Er hatte zunächst nur 1i0,000 Mann den 400,000 Mann Napoleons entgegenzustellen. Er verlangte unter diesen Umständen eine persönliche Zusammenkunft mit Berna- dotte und die Stadt Abo in Finnland wurde zu derselben ausersehen. Ber- nadotte entwarf in der Unterredung mit Alexander merkwürdige Pläne: man müsse überall gegen Napoleon einen nationalen Widerstand organisiren. Wenn Napoleon wirklich Petersburg bedrohen sollte, so woÄe er, Bernadotte, mit seinen Schweden an den Küsten der Bretagne landen und auf Paris mar- schiren, im Namen der Freiheit einen Aufruf an die Franzosen erlassen und mit Hilfe der constitutionellen und demokratischen Partei Napoleon in Frank¬ reich selbst stürzen. Alle Freunde der Freiheit in Frankreich würden ihm die Hand bieten und die Folge davon würde in Frankreich sein eine constitutio- nelle Monarchie, eine Republik, „wer weiß?" Dieses „Wer weiß?" erregte die Aufmerksamkeit Alexanders. „Ich gebe Ihnen," erwiderte er, „zu jener Unternehmung in Frankreich statt der 200,000 Mann, welche Sie verlangen, 400,000, und ich werde mit Vergnügen die Geschicke Frankreichs in Ihren Händen sehen." Bernadotte antwortete, er strebe nicht nach dem Throne von Frankreich und könne denselben auch nicht mit einer russischen Armee und als Feldherr des Zaren gewinnen, er brauche nur 200,000 Mann. Welches aber auch seine geheime Absicht war, er gewährte alles, was der Zar verlangte. Er verpflichtete sich zu einer Diversion gegen den linken Flügel der französischen Armee, obgleich ihm der Zar keine einzige seiner Forderungen', weder das ganze Finnland noch den Theil Finnlands zwischen Kemi und Kalir, noch die Alandsinseln bewilligte. Die Vortheile, welche Schweden von Nußland er¬ hielt, standen in keinem Verhältniß zu denen, welche Schweden den Russen gewährte. Der Zar bewilligte Bernadotte eine Anleihe von 13,000,000 Ru¬ beln, von welcher Summe drei Viertel in Getreide und Mehl zahlbar waren und überdies unter strengen und kleinlichen Bedingungen der Rückzahlung. Schweden sollte außer Norwegen die dänischen Inseln Seeland und Bornholm erwerben. Dänemark dafür mit Bremen, Verven, Lübeck, Hamburg und einem Theil von Mecklenburg entschädigt werden. Die Vermittlung Rußlands sollte Schweden das Bündniß mit England und Subsidien von dieser Macht ver- Ichaffeu. Dafür verpflichtete sich Bernadotte „die Expedition gegen Dänemark, welche ihm Norwegen sichern sollte, aufzuschieben, in Deutschland zu landen und an dem Kriege Rußlands gegen Frankreich sich zu betheiligen. Er garcintirte Nußland das Großherzogthum Warschau, das ganze Land vom Riemen bis zur Weichsel und zur Oder, Warschau, Krakau, Thorn und das Großherzogthum Posen. Nicht zufrieden, den Frieden von Bukarest vermittelt Zu haben, welcher den Russen Bessarabien und den dritten Theil der Mol- Grenzboten. IV. 18so. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/361>, abgerufen am 23.05.2024.