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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Oktaven, Terzinen und Sonetten die männlichen Ausgänge beizumischen, bis
Platen, strenger und treuer, dieselben auszuschließen versuchte. Dem deutschen
Ohr mißfiel die singende Eintönigkeit dieser treuerer Stanze; war es doch schon
zu sehr an die Mannigfaltigkeit eines gemischten Ausgangs gewöhnt, wie:


Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gclinv umfing.

Und in der That war der innere Wohllaut hier schon so groß, daß die kräftig
abstoßenden Schlüsse willkommene Unterbrechungen waren. Ja, mit dieser
Stanze selbst wurde es uns leicht zu viel, wir fühlten uns von Ariost und
Tasso wie von E. Schutze wie eingelullt und in Schlaf gezaubert, je voll¬
klingender die Reime uns ans Ohr schlugen. Der Grund hiervon liegt aber
weniger in dem Klingen und Wiederholen der Reime, als darin, daß wir vor-
dem romanischen Accentwechsel und dem südlichen Nichtverschleifen der zusammen¬
stoßenden Vocale nichts nachahmen konnten, oder auch es nicht recht wag¬
ten, weil uns, obwol wix sie überwunden meinten, im Grunde immer noch
die alte opitzische Regel band. Der Italiener übt, um die lästige Monotonie
des Fünffüßlers zu brechen, nicht nur wie der Franzose aufs keckste den Wider¬
streit zwischen Wortaccent und rhythmischem Accent aus, sondern er verschleift
auch nicht wie dieser die zusammenstehenden Vocale, sondern spricht sie in so¬
genanntem Hiatus ein ganz klein wenig aus, so daß dadurch eine Menge ana¬
pästischer Anklänge und hiermit eine größere Lebhaftigkeit der Versbewegung
entsteht. Freilich ist dies nur mit einem längern Halten auf den mit dem
Wortaccent zusammenfallenden Tonstellen vereinbar, da sonst der Rhythmus,
der doch stets durchklingen muß, nicht mehr erkennbar wird. Aber ein lang¬
samer, fast recitativartiger Vortrag ist überhaupt für alle künstlichen Maße
nothwendig; wer könnte z. B. ohne diesen die Schönheit horazischer oder
pindarischer Maße zur Empfindung des Hörers bringen, abgesehen davon, daß
den ähnlichen Widerstreit in den alten Sprachen zur Erscheinung zu bringen
selbst beim einfachsten Herameter die größte Kunst und recitativische Gemäch¬
lichkeit des Vertrags erfordert.

Die Leichtigkeit des Reimers bei so vielen gleichen wohlklingenden En¬
dungen macht die Wiederholung und Verschlingung der Reime im Original
sehr natürlich; geben wir diese auf, so zerstören wir alles und es sind die drei
leichteren Formen Terzinen, Oktaven, Sonett durch glückliche Nachbildung bereits
so populär geworden -- erstere eigentlich erst durch Chamisso -- daß ein Verändern
oder Ausgeben der Reimstellung nun nicht mehr möglich ist. Aber freilich
thürmt sich die Rcimschwierigkeit bei den weniger läßlichen, gedrängteren, tief¬
sinnigen Dichtern, wie Petrarca und Dante, gewaltig dem Uebersetzer entgegen
und doch ist z. B. bei Dante das langsame Ueberfluten des Rhythmus von


Oktaven, Terzinen und Sonetten die männlichen Ausgänge beizumischen, bis
Platen, strenger und treuer, dieselben auszuschließen versuchte. Dem deutschen
Ohr mißfiel die singende Eintönigkeit dieser treuerer Stanze; war es doch schon
zu sehr an die Mannigfaltigkeit eines gemischten Ausgangs gewöhnt, wie:


Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gclinv umfing.

Und in der That war der innere Wohllaut hier schon so groß, daß die kräftig
abstoßenden Schlüsse willkommene Unterbrechungen waren. Ja, mit dieser
Stanze selbst wurde es uns leicht zu viel, wir fühlten uns von Ariost und
Tasso wie von E. Schutze wie eingelullt und in Schlaf gezaubert, je voll¬
klingender die Reime uns ans Ohr schlugen. Der Grund hiervon liegt aber
weniger in dem Klingen und Wiederholen der Reime, als darin, daß wir vor-
dem romanischen Accentwechsel und dem südlichen Nichtverschleifen der zusammen¬
stoßenden Vocale nichts nachahmen konnten, oder auch es nicht recht wag¬
ten, weil uns, obwol wix sie überwunden meinten, im Grunde immer noch
die alte opitzische Regel band. Der Italiener übt, um die lästige Monotonie
des Fünffüßlers zu brechen, nicht nur wie der Franzose aufs keckste den Wider¬
streit zwischen Wortaccent und rhythmischem Accent aus, sondern er verschleift
auch nicht wie dieser die zusammenstehenden Vocale, sondern spricht sie in so¬
genanntem Hiatus ein ganz klein wenig aus, so daß dadurch eine Menge ana¬
pästischer Anklänge und hiermit eine größere Lebhaftigkeit der Versbewegung
entsteht. Freilich ist dies nur mit einem längern Halten auf den mit dem
Wortaccent zusammenfallenden Tonstellen vereinbar, da sonst der Rhythmus,
der doch stets durchklingen muß, nicht mehr erkennbar wird. Aber ein lang¬
samer, fast recitativartiger Vortrag ist überhaupt für alle künstlichen Maße
nothwendig; wer könnte z. B. ohne diesen die Schönheit horazischer oder
pindarischer Maße zur Empfindung des Hörers bringen, abgesehen davon, daß
den ähnlichen Widerstreit in den alten Sprachen zur Erscheinung zu bringen
selbst beim einfachsten Herameter die größte Kunst und recitativische Gemäch¬
lichkeit des Vertrags erfordert.

Die Leichtigkeit des Reimers bei so vielen gleichen wohlklingenden En¬
dungen macht die Wiederholung und Verschlingung der Reime im Original
sehr natürlich; geben wir diese auf, so zerstören wir alles und es sind die drei
leichteren Formen Terzinen, Oktaven, Sonett durch glückliche Nachbildung bereits
so populär geworden — erstere eigentlich erst durch Chamisso — daß ein Verändern
oder Ausgeben der Reimstellung nun nicht mehr möglich ist. Aber freilich
thürmt sich die Rcimschwierigkeit bei den weniger läßlichen, gedrängteren, tief¬
sinnigen Dichtern, wie Petrarca und Dante, gewaltig dem Uebersetzer entgegen
und doch ist z. B. bei Dante das langsame Ueberfluten des Rhythmus von


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[0386] Oktaven, Terzinen und Sonetten die männlichen Ausgänge beizumischen, bis Platen, strenger und treuer, dieselben auszuschließen versuchte. Dem deutschen Ohr mißfiel die singende Eintönigkeit dieser treuerer Stanze; war es doch schon zu sehr an die Mannigfaltigkeit eines gemischten Ausgangs gewöhnt, wie: Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte Den leisen Schlaf, der mich gclinv umfing. Und in der That war der innere Wohllaut hier schon so groß, daß die kräftig abstoßenden Schlüsse willkommene Unterbrechungen waren. Ja, mit dieser Stanze selbst wurde es uns leicht zu viel, wir fühlten uns von Ariost und Tasso wie von E. Schutze wie eingelullt und in Schlaf gezaubert, je voll¬ klingender die Reime uns ans Ohr schlugen. Der Grund hiervon liegt aber weniger in dem Klingen und Wiederholen der Reime, als darin, daß wir vor- dem romanischen Accentwechsel und dem südlichen Nichtverschleifen der zusammen¬ stoßenden Vocale nichts nachahmen konnten, oder auch es nicht recht wag¬ ten, weil uns, obwol wix sie überwunden meinten, im Grunde immer noch die alte opitzische Regel band. Der Italiener übt, um die lästige Monotonie des Fünffüßlers zu brechen, nicht nur wie der Franzose aufs keckste den Wider¬ streit zwischen Wortaccent und rhythmischem Accent aus, sondern er verschleift auch nicht wie dieser die zusammenstehenden Vocale, sondern spricht sie in so¬ genanntem Hiatus ein ganz klein wenig aus, so daß dadurch eine Menge ana¬ pästischer Anklänge und hiermit eine größere Lebhaftigkeit der Versbewegung entsteht. Freilich ist dies nur mit einem längern Halten auf den mit dem Wortaccent zusammenfallenden Tonstellen vereinbar, da sonst der Rhythmus, der doch stets durchklingen muß, nicht mehr erkennbar wird. Aber ein lang¬ samer, fast recitativartiger Vortrag ist überhaupt für alle künstlichen Maße nothwendig; wer könnte z. B. ohne diesen die Schönheit horazischer oder pindarischer Maße zur Empfindung des Hörers bringen, abgesehen davon, daß den ähnlichen Widerstreit in den alten Sprachen zur Erscheinung zu bringen selbst beim einfachsten Herameter die größte Kunst und recitativische Gemäch¬ lichkeit des Vertrags erfordert. Die Leichtigkeit des Reimers bei so vielen gleichen wohlklingenden En¬ dungen macht die Wiederholung und Verschlingung der Reime im Original sehr natürlich; geben wir diese auf, so zerstören wir alles und es sind die drei leichteren Formen Terzinen, Oktaven, Sonett durch glückliche Nachbildung bereits so populär geworden — erstere eigentlich erst durch Chamisso — daß ein Verändern oder Ausgeben der Reimstellung nun nicht mehr möglich ist. Aber freilich thürmt sich die Rcimschwierigkeit bei den weniger läßlichen, gedrängteren, tief¬ sinnigen Dichtern, wie Petrarca und Dante, gewaltig dem Uebersetzer entgegen und doch ist z. B. bei Dante das langsame Ueberfluten des Rhythmus von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/386>, abgerufen am 12.05.2024.