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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Stumm, sinnend nach der letztesten
Stunde des Schreckcnsmanncs;
Sie wüßte nicht, ob Solcherlei
Fußtapfen Menschcnsußes
Nochmals den blntgcfärl'ten Staub
Zu stempeln sich erkühnten.

die italienische Sprache war einst auch für dantcschen Tiefsinn empfänglich ge¬
wesen und er hatte ihr unvertilgbare Spuren oder doch solche eingedrückt,
denen immer wieder nachgegangen werden konnte. Für uns aber war die
andre Seite derselben, die gemächlich bequeme Fülle der Diction, der Farben-
glanz mehr als die Körnigkeit des Ausdrucks, und vor allem der unnachahmliche
musikalische Wohllaut des Wortes wie des Verses das eigentlich Wichtige und
Einflußreiche, und während wir den körnigen Tiefsinn des Originals erreichen,
ja überbieten können, so werden wir hier immer Schüler bleiben. Der schöne
Gegensatz zwischen dem reichsten Wechsel reiner und voller Vocale und dem
der weichsten flüssigen und der schärfsten schnalzenden und zwischen den Con-
sonanten gibt der Sprache einen brausenden rhetorischen Vollklang; in ihr lebt
und webt die reine kräftige Himmelsluft des Südens, die Harmonie seiner
Farben, die Schönheit seiner Bewohner, die hinter Lässigkeit verborgene weiche
Leidenschaftlichkeit ihrer Seelen. Sie hüpft nicht auf dem zierlichen Fuße der
muntern Franzosen dahin, bewegt auch nicht die kleine Hand so anmuthig
kriegerisch, eine Ruhe und Würde ist in Wort und Vers über sie ergossen.
Von ihr durchdrungen schrieb Goethe seine ersten Oktaven, seine Zueignung,
wie aus ihr heraus Iphigenie und Tasso und weckte dadurch in der Sprache
des Teut, wie einst Spenser ebendaher in der Albions, eine bisher ungeahnte
Fülle des Wohllauts, eine harmonische Ruhe und tiefere Glut der Farben.
Auf dieser Base gingen die Uebersetzer Schlegel und Gries weiter; ersterer
würde nie so sanft und melodisch Romeo und Julie oder den Sommernachts-
traum haben übersetzen können, ohne seine südromanische Durchbildung; so
lockte E. Schulze , so Platen vor allen, so noch jüngst Geibel, "der Sprache
Zierden ab, daß alle Welt erstaunte."

Wie die Weichheit des Italienischen überhaupt wesentlich auf der Abwer¬
fung der lateinischen Endconsonanten und dem Festhalten der dadurch entstan¬
denen unbetonten Vocalendungen beruht, welche es nicht wie das Französische
zu fast ganz stummen erniedrigt hat, so beruht die Weichheit des italienischen
Verses insbesondere auf diesen klingenden Endungen mit zweiter offner Silbe.
Stumpfe Ausgänge sind hier so selten wie im Englischen die klingenden. Aber
die Ausschließlichkeit dieser ist für die deutsche Sprache ebensosehr zu weich,
wie die jener zu hart und beide Beschränktheiten sind für den Uebersetzer wie
den Nachbildner eine schwere Fessel. Daher hatte man sogleich 'angefangen


Grenzboten. IV. -ILöS. j-8
Stumm, sinnend nach der letztesten
Stunde des Schreckcnsmanncs;
Sie wüßte nicht, ob Solcherlei
Fußtapfen Menschcnsußes
Nochmals den blntgcfärl'ten Staub
Zu stempeln sich erkühnten.

die italienische Sprache war einst auch für dantcschen Tiefsinn empfänglich ge¬
wesen und er hatte ihr unvertilgbare Spuren oder doch solche eingedrückt,
denen immer wieder nachgegangen werden konnte. Für uns aber war die
andre Seite derselben, die gemächlich bequeme Fülle der Diction, der Farben-
glanz mehr als die Körnigkeit des Ausdrucks, und vor allem der unnachahmliche
musikalische Wohllaut des Wortes wie des Verses das eigentlich Wichtige und
Einflußreiche, und während wir den körnigen Tiefsinn des Originals erreichen,
ja überbieten können, so werden wir hier immer Schüler bleiben. Der schöne
Gegensatz zwischen dem reichsten Wechsel reiner und voller Vocale und dem
der weichsten flüssigen und der schärfsten schnalzenden und zwischen den Con-
sonanten gibt der Sprache einen brausenden rhetorischen Vollklang; in ihr lebt
und webt die reine kräftige Himmelsluft des Südens, die Harmonie seiner
Farben, die Schönheit seiner Bewohner, die hinter Lässigkeit verborgene weiche
Leidenschaftlichkeit ihrer Seelen. Sie hüpft nicht auf dem zierlichen Fuße der
muntern Franzosen dahin, bewegt auch nicht die kleine Hand so anmuthig
kriegerisch, eine Ruhe und Würde ist in Wort und Vers über sie ergossen.
Von ihr durchdrungen schrieb Goethe seine ersten Oktaven, seine Zueignung,
wie aus ihr heraus Iphigenie und Tasso und weckte dadurch in der Sprache
des Teut, wie einst Spenser ebendaher in der Albions, eine bisher ungeahnte
Fülle des Wohllauts, eine harmonische Ruhe und tiefere Glut der Farben.
Auf dieser Base gingen die Uebersetzer Schlegel und Gries weiter; ersterer
würde nie so sanft und melodisch Romeo und Julie oder den Sommernachts-
traum haben übersetzen können, ohne seine südromanische Durchbildung; so
lockte E. Schulze , so Platen vor allen, so noch jüngst Geibel, „der Sprache
Zierden ab, daß alle Welt erstaunte."

Wie die Weichheit des Italienischen überhaupt wesentlich auf der Abwer¬
fung der lateinischen Endconsonanten und dem Festhalten der dadurch entstan¬
denen unbetonten Vocalendungen beruht, welche es nicht wie das Französische
zu fast ganz stummen erniedrigt hat, so beruht die Weichheit des italienischen
Verses insbesondere auf diesen klingenden Endungen mit zweiter offner Silbe.
Stumpfe Ausgänge sind hier so selten wie im Englischen die klingenden. Aber
die Ausschließlichkeit dieser ist für die deutsche Sprache ebensosehr zu weich,
wie die jener zu hart und beide Beschränktheiten sind für den Uebersetzer wie
den Nachbildner eine schwere Fessel. Daher hatte man sogleich 'angefangen


Grenzboten. IV. -ILöS. j-8
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[0385] Stumm, sinnend nach der letztesten Stunde des Schreckcnsmanncs; Sie wüßte nicht, ob Solcherlei Fußtapfen Menschcnsußes Nochmals den blntgcfärl'ten Staub Zu stempeln sich erkühnten. die italienische Sprache war einst auch für dantcschen Tiefsinn empfänglich ge¬ wesen und er hatte ihr unvertilgbare Spuren oder doch solche eingedrückt, denen immer wieder nachgegangen werden konnte. Für uns aber war die andre Seite derselben, die gemächlich bequeme Fülle der Diction, der Farben- glanz mehr als die Körnigkeit des Ausdrucks, und vor allem der unnachahmliche musikalische Wohllaut des Wortes wie des Verses das eigentlich Wichtige und Einflußreiche, und während wir den körnigen Tiefsinn des Originals erreichen, ja überbieten können, so werden wir hier immer Schüler bleiben. Der schöne Gegensatz zwischen dem reichsten Wechsel reiner und voller Vocale und dem der weichsten flüssigen und der schärfsten schnalzenden und zwischen den Con- sonanten gibt der Sprache einen brausenden rhetorischen Vollklang; in ihr lebt und webt die reine kräftige Himmelsluft des Südens, die Harmonie seiner Farben, die Schönheit seiner Bewohner, die hinter Lässigkeit verborgene weiche Leidenschaftlichkeit ihrer Seelen. Sie hüpft nicht auf dem zierlichen Fuße der muntern Franzosen dahin, bewegt auch nicht die kleine Hand so anmuthig kriegerisch, eine Ruhe und Würde ist in Wort und Vers über sie ergossen. Von ihr durchdrungen schrieb Goethe seine ersten Oktaven, seine Zueignung, wie aus ihr heraus Iphigenie und Tasso und weckte dadurch in der Sprache des Teut, wie einst Spenser ebendaher in der Albions, eine bisher ungeahnte Fülle des Wohllauts, eine harmonische Ruhe und tiefere Glut der Farben. Auf dieser Base gingen die Uebersetzer Schlegel und Gries weiter; ersterer würde nie so sanft und melodisch Romeo und Julie oder den Sommernachts- traum haben übersetzen können, ohne seine südromanische Durchbildung; so lockte E. Schulze , so Platen vor allen, so noch jüngst Geibel, „der Sprache Zierden ab, daß alle Welt erstaunte." Wie die Weichheit des Italienischen überhaupt wesentlich auf der Abwer¬ fung der lateinischen Endconsonanten und dem Festhalten der dadurch entstan¬ denen unbetonten Vocalendungen beruht, welche es nicht wie das Französische zu fast ganz stummen erniedrigt hat, so beruht die Weichheit des italienischen Verses insbesondere auf diesen klingenden Endungen mit zweiter offner Silbe. Stumpfe Ausgänge sind hier so selten wie im Englischen die klingenden. Aber die Ausschließlichkeit dieser ist für die deutsche Sprache ebensosehr zu weich, wie die jener zu hart und beide Beschränktheiten sind für den Uebersetzer wie den Nachbildner eine schwere Fessel. Daher hatte man sogleich 'angefangen Grenzboten. IV. -ILöS. j-8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/385>, abgerufen am 27.05.2024.