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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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er gibt aus der Neichsgeschichte das Wesentlichste, hebt namentlich die Reform¬
versuche der Neichspartei hervor, und skizzirt als Hintergrund für sein Gemälde
den Charakter der aufeinanderfolgenden Neichsregierungen, immer in anziehen¬
der, zum Theil in merkwürdiger Weise, die Widerspruch finden könnte. Hin
und wieder scheint noch größere Übersichtlichkeit wünschenswert!); aber man
überzeugt sich doch bei genauerer Ueberlegung, daß in der That nicht viel fort¬
gelassen werden konnte.

Ueber Droysens Darstellungsweise wird man verschiedener Meinung sein
können. Wir sehen deutlich, daß die Natur des Buches eine gewisse aphoristische
Ausdrucksweise nothwendig machte, nicht blos in der Einleitung; aber es tritt
hier noch mehr als in den frühern Arbeiten Droysens hervor, daß er nicht
den Stil des Historikers, sondern den des Redners schreibt, und zwar nicht
eines Jsokrales oder Lysias, die eine solche Form wühlten, daß ihre Reden
auch gelesen einen angenehmen Eindruck machten, sondern den Stil des
Demosthenes, in dem alles auf den lebendigen Vortrag berechnet ist. Diese
Neigung erstreckt sich bis auf die Nachahmung gewisser, bei dem attischen Red¬
ner sehr häufiger Wendungen und Constructionen? die in dem eigenthümlichen
Wesen des freien Sprechens, welches schärfere Lichter braucht, ihre Rechtfertig
gnug finden. In einem historischen d. h. erzählenden Werke nimmt es sich
aber sonderbar genug aus, wenn ein neuer Abschnitt mit einem halben Satz,
einem Satzendc beginnt, z. B. mit dem bei Droysen sehr häufigen, eine Be¬
schränkung des Vorhergesagten einführenden "nur daß,"--einer dreisten Ueber-
tragung des griechischen n^v ör-. Auch einige griechische Verbalconstructionen
hat Droysen keck aufgenommen, z. B. "sich einer Sache kümmern." Wir
müssen gestehen, daß uns weder das eine noch das andere behagt, daß wir
den Stil des Demosthenes nicht als Muster sür den Geschichtschreiber betrach¬
ten und im Uebrigen glauben, auch mit deutschen Constructionen auskommen
zu können. Wir haben in unsrer Literatur das Beispiel, daß ein hervorragen¬
der Historiker, der den Stil des Tacitus nachahmte, ein Werk schuf, welches
ungeachtet der oft unvergleichlichen Kraft seiner Diction wenig gelesen wurde,
weil es für einen großen Kreis von Lesern, auf den der Geschichtschreiber nicht
verzichten darf, voller Dunkelheit war. Die Nachahmung des Demosthenes
birgt nicht solche Gefahren in sich; doch fürchten wir, daß auch der Arbeit
Droysens der Vorwurf gemacht werden wird, sie sei zuweilen schwer verständ¬
lich, -- ein Vorwurf, der wahrlich nicht die krystallklaren Gedanken des Ver¬
fassers trifft, sondern lediglich die Form. Von einem geschickten Vorleser mit
allen scharfen Accenten der lebhaften Redeweise vorgetragen, wird Droysens
Werk nicht nur den Eindruck vorzüglicher Lebendigkeit, sondern auch einleuchtender
Klarheit hinterlassen; aber selbst ein solcher Vortrag wird erst durch genaue
Bekanntschaft mit dem Werk ermöglicht. Einige andere stilistische Nachlässigkeiten


Grenzboten. IV. I8so. 52

er gibt aus der Neichsgeschichte das Wesentlichste, hebt namentlich die Reform¬
versuche der Neichspartei hervor, und skizzirt als Hintergrund für sein Gemälde
den Charakter der aufeinanderfolgenden Neichsregierungen, immer in anziehen¬
der, zum Theil in merkwürdiger Weise, die Widerspruch finden könnte. Hin
und wieder scheint noch größere Übersichtlichkeit wünschenswert!); aber man
überzeugt sich doch bei genauerer Ueberlegung, daß in der That nicht viel fort¬
gelassen werden konnte.

Ueber Droysens Darstellungsweise wird man verschiedener Meinung sein
können. Wir sehen deutlich, daß die Natur des Buches eine gewisse aphoristische
Ausdrucksweise nothwendig machte, nicht blos in der Einleitung; aber es tritt
hier noch mehr als in den frühern Arbeiten Droysens hervor, daß er nicht
den Stil des Historikers, sondern den des Redners schreibt, und zwar nicht
eines Jsokrales oder Lysias, die eine solche Form wühlten, daß ihre Reden
auch gelesen einen angenehmen Eindruck machten, sondern den Stil des
Demosthenes, in dem alles auf den lebendigen Vortrag berechnet ist. Diese
Neigung erstreckt sich bis auf die Nachahmung gewisser, bei dem attischen Red¬
ner sehr häufiger Wendungen und Constructionen? die in dem eigenthümlichen
Wesen des freien Sprechens, welches schärfere Lichter braucht, ihre Rechtfertig
gnug finden. In einem historischen d. h. erzählenden Werke nimmt es sich
aber sonderbar genug aus, wenn ein neuer Abschnitt mit einem halben Satz,
einem Satzendc beginnt, z. B. mit dem bei Droysen sehr häufigen, eine Be¬
schränkung des Vorhergesagten einführenden „nur daß,"—einer dreisten Ueber-
tragung des griechischen n^v ör-. Auch einige griechische Verbalconstructionen
hat Droysen keck aufgenommen, z. B. „sich einer Sache kümmern." Wir
müssen gestehen, daß uns weder das eine noch das andere behagt, daß wir
den Stil des Demosthenes nicht als Muster sür den Geschichtschreiber betrach¬
ten und im Uebrigen glauben, auch mit deutschen Constructionen auskommen
zu können. Wir haben in unsrer Literatur das Beispiel, daß ein hervorragen¬
der Historiker, der den Stil des Tacitus nachahmte, ein Werk schuf, welches
ungeachtet der oft unvergleichlichen Kraft seiner Diction wenig gelesen wurde,
weil es für einen großen Kreis von Lesern, auf den der Geschichtschreiber nicht
verzichten darf, voller Dunkelheit war. Die Nachahmung des Demosthenes
birgt nicht solche Gefahren in sich; doch fürchten wir, daß auch der Arbeit
Droysens der Vorwurf gemacht werden wird, sie sei zuweilen schwer verständ¬
lich, — ein Vorwurf, der wahrlich nicht die krystallklaren Gedanken des Ver¬
fassers trifft, sondern lediglich die Form. Von einem geschickten Vorleser mit
allen scharfen Accenten der lebhaften Redeweise vorgetragen, wird Droysens
Werk nicht nur den Eindruck vorzüglicher Lebendigkeit, sondern auch einleuchtender
Klarheit hinterlassen; aber selbst ein solcher Vortrag wird erst durch genaue
Bekanntschaft mit dem Werk ermöglicht. Einige andere stilistische Nachlässigkeiten


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[0417] er gibt aus der Neichsgeschichte das Wesentlichste, hebt namentlich die Reform¬ versuche der Neichspartei hervor, und skizzirt als Hintergrund für sein Gemälde den Charakter der aufeinanderfolgenden Neichsregierungen, immer in anziehen¬ der, zum Theil in merkwürdiger Weise, die Widerspruch finden könnte. Hin und wieder scheint noch größere Übersichtlichkeit wünschenswert!); aber man überzeugt sich doch bei genauerer Ueberlegung, daß in der That nicht viel fort¬ gelassen werden konnte. Ueber Droysens Darstellungsweise wird man verschiedener Meinung sein können. Wir sehen deutlich, daß die Natur des Buches eine gewisse aphoristische Ausdrucksweise nothwendig machte, nicht blos in der Einleitung; aber es tritt hier noch mehr als in den frühern Arbeiten Droysens hervor, daß er nicht den Stil des Historikers, sondern den des Redners schreibt, und zwar nicht eines Jsokrales oder Lysias, die eine solche Form wühlten, daß ihre Reden auch gelesen einen angenehmen Eindruck machten, sondern den Stil des Demosthenes, in dem alles auf den lebendigen Vortrag berechnet ist. Diese Neigung erstreckt sich bis auf die Nachahmung gewisser, bei dem attischen Red¬ ner sehr häufiger Wendungen und Constructionen? die in dem eigenthümlichen Wesen des freien Sprechens, welches schärfere Lichter braucht, ihre Rechtfertig gnug finden. In einem historischen d. h. erzählenden Werke nimmt es sich aber sonderbar genug aus, wenn ein neuer Abschnitt mit einem halben Satz, einem Satzendc beginnt, z. B. mit dem bei Droysen sehr häufigen, eine Be¬ schränkung des Vorhergesagten einführenden „nur daß,"—einer dreisten Ueber- tragung des griechischen n^v ör-. Auch einige griechische Verbalconstructionen hat Droysen keck aufgenommen, z. B. „sich einer Sache kümmern." Wir müssen gestehen, daß uns weder das eine noch das andere behagt, daß wir den Stil des Demosthenes nicht als Muster sür den Geschichtschreiber betrach¬ ten und im Uebrigen glauben, auch mit deutschen Constructionen auskommen zu können. Wir haben in unsrer Literatur das Beispiel, daß ein hervorragen¬ der Historiker, der den Stil des Tacitus nachahmte, ein Werk schuf, welches ungeachtet der oft unvergleichlichen Kraft seiner Diction wenig gelesen wurde, weil es für einen großen Kreis von Lesern, auf den der Geschichtschreiber nicht verzichten darf, voller Dunkelheit war. Die Nachahmung des Demosthenes birgt nicht solche Gefahren in sich; doch fürchten wir, daß auch der Arbeit Droysens der Vorwurf gemacht werden wird, sie sei zuweilen schwer verständ¬ lich, — ein Vorwurf, der wahrlich nicht die krystallklaren Gedanken des Ver¬ fassers trifft, sondern lediglich die Form. Von einem geschickten Vorleser mit allen scharfen Accenten der lebhaften Redeweise vorgetragen, wird Droysens Werk nicht nur den Eindruck vorzüglicher Lebendigkeit, sondern auch einleuchtender Klarheit hinterlassen; aber selbst ein solcher Vortrag wird erst durch genaue Bekanntschaft mit dem Werk ermöglicht. Einige andere stilistische Nachlässigkeiten Grenzboten. IV. I8so. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/417>, abgerufen am 13.05.2024.