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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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mir: Botz Marter! laß den Bacchanten fahren, und bleibe bei mir, du darfst
doch nicht betteln. So kam ich in acht Tagen weder zu dem Bacchanten noch
in die Schule; da kam er, klopfte an der Metzgerin Haus. Da sprach sie zu
mir: Dein Bacchant ist da, sag du seiest krank. -- Sie ließ ihn ein und
sagte zu ihm: Ihr seid wahrlich ^ein seiner Herr, hättet doch zusehn sollen,
was Thoman machte, er ist krank gewesen, und ist es noch. Da sprach er:
Es ist mir laid Bub, wenn du wieder ausgehn kannst, so komme zu mir.
Darnach an einem Sonntag ging ich in die Vesper, da sagte er nach der
Vesper: Du Schütz, du kommst nicht zu mir, ich will dich einmal mit Füssen
treten! Da nahm ich mir vor. er sollte mich nicht mehr treten, gedachte hinweg
zu laufen. Am Sontag sagte ich zu der Metzgerin: Ich will in die Schule,
und will meine Hemdlein waschen gehen; ich dürfte ihr nicht sägen, was ich
im Sinne hatte, denn ich fürchtete, sie würde es weiter sagen. Fuhr also mit
traurigem Herzen von München zum Theil, daß ich von meinem Vetter lief,
mit dem ich so weit umher gezogen, und der mir doch wieder zu hart war und
unbarmherzig, und dann schmerzte mich auch die Metzgerin, die mich so freund¬
lich gehalten hatte. Ich zog also über den Fluß Jsar hinaus, denn ich fürchtete,
wenn ich auf das Schweizerland zuginge, würde Paulus mir nachziehen; da
er mir und den andern oft gedroht hatte, wenn einer wegliefe, so wollte er
ihm nachziehen, und wo er ihn wieder bekäme, wollte er selbigem alle viere
abschlagen. Jenseit der Isar ist ein Hügel, da setzte ich mich, sahe die Stadt
an-, und weinete inniglich, daß ich niemand mehr hätte, der sich meiner an¬
nähme; gedachte auf Salzburg, oder gen Wien in Oesterreich zu ziehn. AIS
ich da saß, kam ein Bauer mit einem Wagen, der hatte Salz gen München
geführt, der war schon trunken, und war doch erst die Sonne aufgegangen;
den bat ich, er sollte mich aufsitzen lassen; mit dem fuhr ich bis er ausspannte,
die Rosse und sich zu füttern; dazwischen bettelte ich im Dorf, und nicht weit
vom Dorf wartete ich auf ihn, und entschlief; als ich erwachte, weinte ich
wieder herzlich, denn ich meinte, der Bauer wäre fortgefahren; mich bedeuchte,
ich hätte meinen Vater verloren. Bald aber kam er, war wieder voll, hieß
mich wieder aufsitzen, und fragte mich: Wo ich hin wollte? Da sprach ich:
nach Salzburg. Als es nun Abend war fuhr er von derselben Straße ab,
und sprach: Steige ab, da gehet die Straß auf Salzburg. Wir waren den-
selben Tag acht Meilen gefahren. -- Ich kam in' ein Dorf. Als ich des
Morgens aufstand, war ein Reif als wann es geschneit hätte, und hatte ich
keine Schuhe, nur zerrissene Strümpflein, kein Baret, ein Jäcklein ohne Falten,
zog also auf Passau zu, wollte mich da auf die Donau setzen, und auf Wien
zu. Als ich nach Passau kam, wollte man mich nicht einlassen. Da gedachte
ich auf das Schweizerland zu ziehen, fragte den Thorwächter, wo ich am
nächsten auf das Schweizerland ziehen könnte; sprach er: "Ueber München;"


mir: Botz Marter! laß den Bacchanten fahren, und bleibe bei mir, du darfst
doch nicht betteln. So kam ich in acht Tagen weder zu dem Bacchanten noch
in die Schule; da kam er, klopfte an der Metzgerin Haus. Da sprach sie zu
mir: Dein Bacchant ist da, sag du seiest krank. — Sie ließ ihn ein und
sagte zu ihm: Ihr seid wahrlich ^ein seiner Herr, hättet doch zusehn sollen,
was Thoman machte, er ist krank gewesen, und ist es noch. Da sprach er:
Es ist mir laid Bub, wenn du wieder ausgehn kannst, so komme zu mir.
Darnach an einem Sonntag ging ich in die Vesper, da sagte er nach der
Vesper: Du Schütz, du kommst nicht zu mir, ich will dich einmal mit Füssen
treten! Da nahm ich mir vor. er sollte mich nicht mehr treten, gedachte hinweg
zu laufen. Am Sontag sagte ich zu der Metzgerin: Ich will in die Schule,
und will meine Hemdlein waschen gehen; ich dürfte ihr nicht sägen, was ich
im Sinne hatte, denn ich fürchtete, sie würde es weiter sagen. Fuhr also mit
traurigem Herzen von München zum Theil, daß ich von meinem Vetter lief,
mit dem ich so weit umher gezogen, und der mir doch wieder zu hart war und
unbarmherzig, und dann schmerzte mich auch die Metzgerin, die mich so freund¬
lich gehalten hatte. Ich zog also über den Fluß Jsar hinaus, denn ich fürchtete,
wenn ich auf das Schweizerland zuginge, würde Paulus mir nachziehen; da
er mir und den andern oft gedroht hatte, wenn einer wegliefe, so wollte er
ihm nachziehen, und wo er ihn wieder bekäme, wollte er selbigem alle viere
abschlagen. Jenseit der Isar ist ein Hügel, da setzte ich mich, sahe die Stadt
an-, und weinete inniglich, daß ich niemand mehr hätte, der sich meiner an¬
nähme; gedachte auf Salzburg, oder gen Wien in Oesterreich zu ziehn. AIS
ich da saß, kam ein Bauer mit einem Wagen, der hatte Salz gen München
geführt, der war schon trunken, und war doch erst die Sonne aufgegangen;
den bat ich, er sollte mich aufsitzen lassen; mit dem fuhr ich bis er ausspannte,
die Rosse und sich zu füttern; dazwischen bettelte ich im Dorf, und nicht weit
vom Dorf wartete ich auf ihn, und entschlief; als ich erwachte, weinte ich
wieder herzlich, denn ich meinte, der Bauer wäre fortgefahren; mich bedeuchte,
ich hätte meinen Vater verloren. Bald aber kam er, war wieder voll, hieß
mich wieder aufsitzen, und fragte mich: Wo ich hin wollte? Da sprach ich:
nach Salzburg. Als es nun Abend war fuhr er von derselben Straße ab,
und sprach: Steige ab, da gehet die Straß auf Salzburg. Wir waren den-
selben Tag acht Meilen gefahren. — Ich kam in' ein Dorf. Als ich des
Morgens aufstand, war ein Reif als wann es geschneit hätte, und hatte ich
keine Schuhe, nur zerrissene Strümpflein, kein Baret, ein Jäcklein ohne Falten,
zog also auf Passau zu, wollte mich da auf die Donau setzen, und auf Wien
zu. Als ich nach Passau kam, wollte man mich nicht einlassen. Da gedachte
ich auf das Schweizerland zu ziehen, fragte den Thorwächter, wo ich am
nächsten auf das Schweizerland ziehen könnte; sprach er: „Ueber München;"


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[0438] mir: Botz Marter! laß den Bacchanten fahren, und bleibe bei mir, du darfst doch nicht betteln. So kam ich in acht Tagen weder zu dem Bacchanten noch in die Schule; da kam er, klopfte an der Metzgerin Haus. Da sprach sie zu mir: Dein Bacchant ist da, sag du seiest krank. — Sie ließ ihn ein und sagte zu ihm: Ihr seid wahrlich ^ein seiner Herr, hättet doch zusehn sollen, was Thoman machte, er ist krank gewesen, und ist es noch. Da sprach er: Es ist mir laid Bub, wenn du wieder ausgehn kannst, so komme zu mir. Darnach an einem Sonntag ging ich in die Vesper, da sagte er nach der Vesper: Du Schütz, du kommst nicht zu mir, ich will dich einmal mit Füssen treten! Da nahm ich mir vor. er sollte mich nicht mehr treten, gedachte hinweg zu laufen. Am Sontag sagte ich zu der Metzgerin: Ich will in die Schule, und will meine Hemdlein waschen gehen; ich dürfte ihr nicht sägen, was ich im Sinne hatte, denn ich fürchtete, sie würde es weiter sagen. Fuhr also mit traurigem Herzen von München zum Theil, daß ich von meinem Vetter lief, mit dem ich so weit umher gezogen, und der mir doch wieder zu hart war und unbarmherzig, und dann schmerzte mich auch die Metzgerin, die mich so freund¬ lich gehalten hatte. Ich zog also über den Fluß Jsar hinaus, denn ich fürchtete, wenn ich auf das Schweizerland zuginge, würde Paulus mir nachziehen; da er mir und den andern oft gedroht hatte, wenn einer wegliefe, so wollte er ihm nachziehen, und wo er ihn wieder bekäme, wollte er selbigem alle viere abschlagen. Jenseit der Isar ist ein Hügel, da setzte ich mich, sahe die Stadt an-, und weinete inniglich, daß ich niemand mehr hätte, der sich meiner an¬ nähme; gedachte auf Salzburg, oder gen Wien in Oesterreich zu ziehn. AIS ich da saß, kam ein Bauer mit einem Wagen, der hatte Salz gen München geführt, der war schon trunken, und war doch erst die Sonne aufgegangen; den bat ich, er sollte mich aufsitzen lassen; mit dem fuhr ich bis er ausspannte, die Rosse und sich zu füttern; dazwischen bettelte ich im Dorf, und nicht weit vom Dorf wartete ich auf ihn, und entschlief; als ich erwachte, weinte ich wieder herzlich, denn ich meinte, der Bauer wäre fortgefahren; mich bedeuchte, ich hätte meinen Vater verloren. Bald aber kam er, war wieder voll, hieß mich wieder aufsitzen, und fragte mich: Wo ich hin wollte? Da sprach ich: nach Salzburg. Als es nun Abend war fuhr er von derselben Straße ab, und sprach: Steige ab, da gehet die Straß auf Salzburg. Wir waren den- selben Tag acht Meilen gefahren. — Ich kam in' ein Dorf. Als ich des Morgens aufstand, war ein Reif als wann es geschneit hätte, und hatte ich keine Schuhe, nur zerrissene Strümpflein, kein Baret, ein Jäcklein ohne Falten, zog also auf Passau zu, wollte mich da auf die Donau setzen, und auf Wien zu. Als ich nach Passau kam, wollte man mich nicht einlassen. Da gedachte ich auf das Schweizerland zu ziehen, fragte den Thorwächter, wo ich am nächsten auf das Schweizerland ziehen könnte; sprach er: „Ueber München;"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/438>, abgerufen am 12.05.2024.