Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas gegessen hätte? Dann warfen sie ihn in ein Bett, und ein Kissen auf
den Kopf, daß er nicht schreien konnte; und schlugen ehr diese Bacchanten bis
sie nicht mehr konnten; darum fürchtet ich mich, und bracht alle Ding heim.
Sie hatten oft so viel Brot, daß es grau wurde; da schnitten sie das aus¬
wendige Graue ab, und gaben es uns zu essen. Da hab ich oft grossen
Hunger gehabt und bin übel erfroren, weil ich oft in der Finsterniß bis um
Mitternacht habe müssen herum gehen, und um Brot singen.

Da mag ich nicht vorbei gehen noch dieses anzuzeigen, wie zu Ulm eine
fromme Wittwe war, die hatte zwei erwachsene Töchter -- die Wittwe hat mir
oft in dem Winter meine Füß in einen warmen Pelz gewickelt, den sie hinter
den Ofen gelegt hat wann ich käme, daß sie mir meine Füß wärmte, sie gab
mir dann eine Schüssel mit Muß, und ließ mich dann heimfahren. Ich habe
solchen Hunger gehabt, daß ich den Hunden auf der Gasse die Knochen ab¬
gejagt und die benaget, item Brosamen aus den Säcken gesucht und gegessen.
Demnach sind wir wieder gen München zogen, auch da habe ich den Macher¬
lohn vom Tuch das doch nicht mein war, beteten müssen. Ein Jahr darauf
kamen wir noch einmal nach Ulm -- und ich brachte das Tuch wieder mit
mir, und heischte den Macherlohn: da bin ich wol eingedenk, daß Etliche zu
mir sagten: Botz Marter! ist der Rock noch nicht gemacht? Ich glaub, du gehst
mit Bubenwerk um. So zogen wir von bannen; ich weiß nicht wo das
Tuch hinkam, ob der Rock gemacht ist worden oder nicht. Als wir an
einem Sontag nach München kommen, hatten die Bacchanten Herberge,
wir aber drei kleine Schützen, keine; und wollten gegen Nacht in die Schran¬
ken, das ist, auf den Kornmarkt gehen, um auf den Kornsäcken zu liegen.
Da saßen etliche Weiber bei dem Salzhaus an der Gasse, fragten, wo
wir hin wollten? Und da sie hörten, daß wir keine Herberg hätten, war
eine Metzgerin dabei, die, als sie vernahm, daß wir Schweizer wären,
sagte sie zu ihrer Jungfer: Lauf, heut den Topf mit der Suppe und dem
Fleisch über, das uns übriggeblieben, sie sollen bei mir übernacht sein, ich bin
allen Schweizern hold: ich habe zu Jnspruck in einem Wirthshaus gedient,
da Kaiser Marimilianus dort Hof hat gehalten, da haben die Schweizer vit
'mit ihm zu schaffen gehabt; sie sind so freundlich gewesen, daß ich ihnen mein
Lebenlang hold sein will. Die Frau gab uns genug zu essen und zu trinken,
und legte uns wohl. Am Morgen sprach sie zu uns: Wann einer von euch
bei mir bleiben wollte, ich wollte ihm Herberg, zu essen und zu trinken geben.
Wir waren alle willig, und fragten welchen sie wollte, und wie sie uns be¬
sichtiget, war ich etwas kecker, als die andern, da nahm sie mich, und ich durfte
ihr nichts weiter thun, als Bier reichen, und die Häute und Fleisch aus der
Metzge holen, item mit ihr zuweilen aus das Feld gehen; mußte aber doch
dem Bacchanten präsentiren. DaS hatte die Frau nicht gern, und sprach zu


etwas gegessen hätte? Dann warfen sie ihn in ein Bett, und ein Kissen auf
den Kopf, daß er nicht schreien konnte; und schlugen ehr diese Bacchanten bis
sie nicht mehr konnten; darum fürchtet ich mich, und bracht alle Ding heim.
Sie hatten oft so viel Brot, daß es grau wurde; da schnitten sie das aus¬
wendige Graue ab, und gaben es uns zu essen. Da hab ich oft grossen
Hunger gehabt und bin übel erfroren, weil ich oft in der Finsterniß bis um
Mitternacht habe müssen herum gehen, und um Brot singen.

Da mag ich nicht vorbei gehen noch dieses anzuzeigen, wie zu Ulm eine
fromme Wittwe war, die hatte zwei erwachsene Töchter — die Wittwe hat mir
oft in dem Winter meine Füß in einen warmen Pelz gewickelt, den sie hinter
den Ofen gelegt hat wann ich käme, daß sie mir meine Füß wärmte, sie gab
mir dann eine Schüssel mit Muß, und ließ mich dann heimfahren. Ich habe
solchen Hunger gehabt, daß ich den Hunden auf der Gasse die Knochen ab¬
gejagt und die benaget, item Brosamen aus den Säcken gesucht und gegessen.
Demnach sind wir wieder gen München zogen, auch da habe ich den Macher¬
lohn vom Tuch das doch nicht mein war, beteten müssen. Ein Jahr darauf
kamen wir noch einmal nach Ulm — und ich brachte das Tuch wieder mit
mir, und heischte den Macherlohn: da bin ich wol eingedenk, daß Etliche zu
mir sagten: Botz Marter! ist der Rock noch nicht gemacht? Ich glaub, du gehst
mit Bubenwerk um. So zogen wir von bannen; ich weiß nicht wo das
Tuch hinkam, ob der Rock gemacht ist worden oder nicht. Als wir an
einem Sontag nach München kommen, hatten die Bacchanten Herberge,
wir aber drei kleine Schützen, keine; und wollten gegen Nacht in die Schran¬
ken, das ist, auf den Kornmarkt gehen, um auf den Kornsäcken zu liegen.
Da saßen etliche Weiber bei dem Salzhaus an der Gasse, fragten, wo
wir hin wollten? Und da sie hörten, daß wir keine Herberg hätten, war
eine Metzgerin dabei, die, als sie vernahm, daß wir Schweizer wären,
sagte sie zu ihrer Jungfer: Lauf, heut den Topf mit der Suppe und dem
Fleisch über, das uns übriggeblieben, sie sollen bei mir übernacht sein, ich bin
allen Schweizern hold: ich habe zu Jnspruck in einem Wirthshaus gedient,
da Kaiser Marimilianus dort Hof hat gehalten, da haben die Schweizer vit
'mit ihm zu schaffen gehabt; sie sind so freundlich gewesen, daß ich ihnen mein
Lebenlang hold sein will. Die Frau gab uns genug zu essen und zu trinken,
und legte uns wohl. Am Morgen sprach sie zu uns: Wann einer von euch
bei mir bleiben wollte, ich wollte ihm Herberg, zu essen und zu trinken geben.
Wir waren alle willig, und fragten welchen sie wollte, und wie sie uns be¬
sichtiget, war ich etwas kecker, als die andern, da nahm sie mich, und ich durfte
ihr nichts weiter thun, als Bier reichen, und die Häute und Fleisch aus der
Metzge holen, item mit ihr zuweilen aus das Feld gehen; mußte aber doch
dem Bacchanten präsentiren. DaS hatte die Frau nicht gern, und sprach zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100891"/>
            <p xml:id="ID_1293" prev="#ID_1292"> etwas gegessen hätte? Dann warfen sie ihn in ein Bett, und ein Kissen auf<lb/>
den Kopf, daß er nicht schreien konnte; und schlugen ehr diese Bacchanten bis<lb/>
sie nicht mehr konnten; darum fürchtet ich mich, und bracht alle Ding heim.<lb/>
Sie hatten oft so viel Brot, daß es grau wurde; da schnitten sie das aus¬<lb/>
wendige Graue ab, und gaben es uns zu essen. Da hab ich oft grossen<lb/>
Hunger gehabt und bin übel erfroren, weil ich oft in der Finsterniß bis um<lb/>
Mitternacht habe müssen herum gehen, und um Brot singen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1294" next="#ID_1295"> Da mag ich nicht vorbei gehen noch dieses anzuzeigen, wie zu Ulm eine<lb/>
fromme Wittwe war, die hatte zwei erwachsene Töchter &#x2014; die Wittwe hat mir<lb/>
oft in dem Winter meine Füß in einen warmen Pelz gewickelt, den sie hinter<lb/>
den Ofen gelegt hat wann ich käme, daß sie mir meine Füß wärmte, sie gab<lb/>
mir dann eine Schüssel mit Muß, und ließ mich dann heimfahren. Ich habe<lb/>
solchen Hunger gehabt, daß ich den Hunden auf der Gasse die Knochen ab¬<lb/>
gejagt und die benaget, item Brosamen aus den Säcken gesucht und gegessen.<lb/>
Demnach sind wir wieder gen München zogen, auch da habe ich den Macher¬<lb/>
lohn vom Tuch das doch nicht mein war, beteten müssen. Ein Jahr darauf<lb/>
kamen wir noch einmal nach Ulm &#x2014; und ich brachte das Tuch wieder mit<lb/>
mir, und heischte den Macherlohn: da bin ich wol eingedenk, daß Etliche zu<lb/>
mir sagten: Botz Marter! ist der Rock noch nicht gemacht? Ich glaub, du gehst<lb/>
mit Bubenwerk um. So zogen wir von bannen; ich weiß nicht wo das<lb/>
Tuch hinkam, ob der Rock gemacht ist worden oder nicht. Als wir an<lb/>
einem Sontag nach München kommen, hatten die Bacchanten Herberge,<lb/>
wir aber drei kleine Schützen, keine; und wollten gegen Nacht in die Schran¬<lb/>
ken, das ist, auf den Kornmarkt gehen, um auf den Kornsäcken zu liegen.<lb/>
Da saßen etliche Weiber bei dem Salzhaus an der Gasse, fragten, wo<lb/>
wir hin wollten? Und da sie hörten, daß wir keine Herberg hätten, war<lb/>
eine Metzgerin dabei, die, als sie vernahm, daß wir Schweizer wären,<lb/>
sagte sie zu ihrer Jungfer: Lauf, heut den Topf mit der Suppe und dem<lb/>
Fleisch über, das uns übriggeblieben, sie sollen bei mir übernacht sein, ich bin<lb/>
allen Schweizern hold: ich habe zu Jnspruck in einem Wirthshaus gedient,<lb/>
da Kaiser Marimilianus dort Hof hat gehalten, da haben die Schweizer vit<lb/>
'mit ihm zu schaffen gehabt; sie sind so freundlich gewesen, daß ich ihnen mein<lb/>
Lebenlang hold sein will. Die Frau gab uns genug zu essen und zu trinken,<lb/>
und legte uns wohl. Am Morgen sprach sie zu uns: Wann einer von euch<lb/>
bei mir bleiben wollte, ich wollte ihm Herberg, zu essen und zu trinken geben.<lb/>
Wir waren alle willig, und fragten welchen sie wollte, und wie sie uns be¬<lb/>
sichtiget, war ich etwas kecker, als die andern, da nahm sie mich, und ich durfte<lb/>
ihr nichts weiter thun, als Bier reichen, und die Häute und Fleisch aus der<lb/>
Metzge holen, item mit ihr zuweilen aus das Feld gehen; mußte aber doch<lb/>
dem Bacchanten präsentiren.  DaS hatte die Frau nicht gern, und sprach zu</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] etwas gegessen hätte? Dann warfen sie ihn in ein Bett, und ein Kissen auf den Kopf, daß er nicht schreien konnte; und schlugen ehr diese Bacchanten bis sie nicht mehr konnten; darum fürchtet ich mich, und bracht alle Ding heim. Sie hatten oft so viel Brot, daß es grau wurde; da schnitten sie das aus¬ wendige Graue ab, und gaben es uns zu essen. Da hab ich oft grossen Hunger gehabt und bin übel erfroren, weil ich oft in der Finsterniß bis um Mitternacht habe müssen herum gehen, und um Brot singen. Da mag ich nicht vorbei gehen noch dieses anzuzeigen, wie zu Ulm eine fromme Wittwe war, die hatte zwei erwachsene Töchter — die Wittwe hat mir oft in dem Winter meine Füß in einen warmen Pelz gewickelt, den sie hinter den Ofen gelegt hat wann ich käme, daß sie mir meine Füß wärmte, sie gab mir dann eine Schüssel mit Muß, und ließ mich dann heimfahren. Ich habe solchen Hunger gehabt, daß ich den Hunden auf der Gasse die Knochen ab¬ gejagt und die benaget, item Brosamen aus den Säcken gesucht und gegessen. Demnach sind wir wieder gen München zogen, auch da habe ich den Macher¬ lohn vom Tuch das doch nicht mein war, beteten müssen. Ein Jahr darauf kamen wir noch einmal nach Ulm — und ich brachte das Tuch wieder mit mir, und heischte den Macherlohn: da bin ich wol eingedenk, daß Etliche zu mir sagten: Botz Marter! ist der Rock noch nicht gemacht? Ich glaub, du gehst mit Bubenwerk um. So zogen wir von bannen; ich weiß nicht wo das Tuch hinkam, ob der Rock gemacht ist worden oder nicht. Als wir an einem Sontag nach München kommen, hatten die Bacchanten Herberge, wir aber drei kleine Schützen, keine; und wollten gegen Nacht in die Schran¬ ken, das ist, auf den Kornmarkt gehen, um auf den Kornsäcken zu liegen. Da saßen etliche Weiber bei dem Salzhaus an der Gasse, fragten, wo wir hin wollten? Und da sie hörten, daß wir keine Herberg hätten, war eine Metzgerin dabei, die, als sie vernahm, daß wir Schweizer wären, sagte sie zu ihrer Jungfer: Lauf, heut den Topf mit der Suppe und dem Fleisch über, das uns übriggeblieben, sie sollen bei mir übernacht sein, ich bin allen Schweizern hold: ich habe zu Jnspruck in einem Wirthshaus gedient, da Kaiser Marimilianus dort Hof hat gehalten, da haben die Schweizer vit 'mit ihm zu schaffen gehabt; sie sind so freundlich gewesen, daß ich ihnen mein Lebenlang hold sein will. Die Frau gab uns genug zu essen und zu trinken, und legte uns wohl. Am Morgen sprach sie zu uns: Wann einer von euch bei mir bleiben wollte, ich wollte ihm Herberg, zu essen und zu trinken geben. Wir waren alle willig, und fragten welchen sie wollte, und wie sie uns be¬ sichtiget, war ich etwas kecker, als die andern, da nahm sie mich, und ich durfte ihr nichts weiter thun, als Bier reichen, und die Häute und Fleisch aus der Metzge holen, item mit ihr zuweilen aus das Feld gehen; mußte aber doch dem Bacchanten präsentiren. DaS hatte die Frau nicht gern, und sprach zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/437>, abgerufen am 26.05.2024.