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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Denn diese kalte unvertilgbare Opposition hält sein Thun in einer steten
Spannung, er muß ihr imponiren durch Kälte, Rücksichtslosigkeit und große
Erfolge. Von dem Tage an, wo er als schwach und leicht zu übersehn
erkannt wird, mag sich das ruhige Abwarten der Gegner in eine emsige, zer¬
störende Thätigkeit verwandeln. Und dieser Umstand schließt mehr als ein
anderer grade das aus, was eine würdige geschichtliche Versöhnung seines
Princips mit den höchsten Bedürfnissen der Nation herbeiführen könnte, eine
hochsinnige reformatorische Thätigkeit. Er kann die Presse nicht freier machen,
denn jeder leichtere Athemzug würde zu einen Schrei des Hasses gegen ihn
werde", er kann dem politischen Leben der Communen und Departements keine
größere Freiheit gewähren, denn jede Tribune würde von seinen Gegnern zu
Declamativne" gegen ihn benutzt werden, er muß auf dem Militärstaat, wie er
jetzt ist, scststehn, obgleich sich die Erpansivkrnst der oppositionellen Dämpfe all¬
jährlich vermehrt, er muß Frankreich im Innern mit" einer Stabilität regieren,
die weit größer ist, als sie'der Kaiser von Nußland nöthig hat, wie dringend
auch die fortschreitende Bildung und die wechselnden Ideen der Zeit eine Ver¬
änderung fordern.

So ist der mächtige Herr Frankreichs von drei Seiten, durch die Forde¬
rungen der Massen, durch seine Stellung zum Heer und die Abneigung der
Gebildeten auf der Bahn, dieser einmal betreten, wie mit eisernen Banden
festgehalten und nach menschlichem Ermessen wird er trotz seiner Kraft eine
Katastrophe für sich und Frankreich und vielleicht für ganz Europa nicht ver¬
meiden können. Schon jetzt ist die innere Lage Frankreichs keinesweges eine
beruhigende. Das Bestreben des gegenwärtigen Regiments, den arbeitenden
Classul reichen Verdienst zu geben und die gewinnsüchtige Bourgeosie durch
Begünstigung der Speculation zu befriedigen, hat eine maßlose Entwicklung des
Luxus und Beförderung materiellen Lebensgenusses zur Folge gehabt. Der
reiche Prunk des Hofes hat in dem genußliebenden Paris und nicht weniger in
den Departements ein Raffinement des Lebens herbeigeführt und im Gefolge
desselben eine so massenhafte Ausbildung der socialen Laster,, daß die zahlreichen
Fremden, welche in diesem Jahre Paris besuchten, Ursache haben mit Selbst¬
gefühl die Sitten ihrer Heimnth zu rühmen. Maitressenwirthschaft und Börsen¬
spiel waren zu keiner Zeit in Paris so schamlos als jetzt, wüste Speculationen
4in ungeheuersten Maßstabe, in der Regel von verworfenen Anhängern des
neuen Systems begünstigt, entzieh" der soliden Arbeit das Capital, oemorali-
siren die Theilnehmer und drohen die erste Geldkrisis in ein ungeheures natio¬
nales Leiden zu verwandeln. Die rücksichtslose Weise, mit welcher die Regie¬
rung Millionen im Lande umherstreut, vermehrt die Schuldenlast des Staats
in furchtbarer Progression und erhält selbst da, wo das Geld zur Erzeugung


Denn diese kalte unvertilgbare Opposition hält sein Thun in einer steten
Spannung, er muß ihr imponiren durch Kälte, Rücksichtslosigkeit und große
Erfolge. Von dem Tage an, wo er als schwach und leicht zu übersehn
erkannt wird, mag sich das ruhige Abwarten der Gegner in eine emsige, zer¬
störende Thätigkeit verwandeln. Und dieser Umstand schließt mehr als ein
anderer grade das aus, was eine würdige geschichtliche Versöhnung seines
Princips mit den höchsten Bedürfnissen der Nation herbeiführen könnte, eine
hochsinnige reformatorische Thätigkeit. Er kann die Presse nicht freier machen,
denn jeder leichtere Athemzug würde zu einen Schrei des Hasses gegen ihn
werde», er kann dem politischen Leben der Communen und Departements keine
größere Freiheit gewähren, denn jede Tribune würde von seinen Gegnern zu
Declamativne» gegen ihn benutzt werden, er muß auf dem Militärstaat, wie er
jetzt ist, scststehn, obgleich sich die Erpansivkrnst der oppositionellen Dämpfe all¬
jährlich vermehrt, er muß Frankreich im Innern mit" einer Stabilität regieren,
die weit größer ist, als sie'der Kaiser von Nußland nöthig hat, wie dringend
auch die fortschreitende Bildung und die wechselnden Ideen der Zeit eine Ver¬
änderung fordern.

So ist der mächtige Herr Frankreichs von drei Seiten, durch die Forde¬
rungen der Massen, durch seine Stellung zum Heer und die Abneigung der
Gebildeten auf der Bahn, dieser einmal betreten, wie mit eisernen Banden
festgehalten und nach menschlichem Ermessen wird er trotz seiner Kraft eine
Katastrophe für sich und Frankreich und vielleicht für ganz Europa nicht ver¬
meiden können. Schon jetzt ist die innere Lage Frankreichs keinesweges eine
beruhigende. Das Bestreben des gegenwärtigen Regiments, den arbeitenden
Classul reichen Verdienst zu geben und die gewinnsüchtige Bourgeosie durch
Begünstigung der Speculation zu befriedigen, hat eine maßlose Entwicklung des
Luxus und Beförderung materiellen Lebensgenusses zur Folge gehabt. Der
reiche Prunk des Hofes hat in dem genußliebenden Paris und nicht weniger in
den Departements ein Raffinement des Lebens herbeigeführt und im Gefolge
desselben eine so massenhafte Ausbildung der socialen Laster,, daß die zahlreichen
Fremden, welche in diesem Jahre Paris besuchten, Ursache haben mit Selbst¬
gefühl die Sitten ihrer Heimnth zu rühmen. Maitressenwirthschaft und Börsen¬
spiel waren zu keiner Zeit in Paris so schamlos als jetzt, wüste Speculationen
4in ungeheuersten Maßstabe, in der Regel von verworfenen Anhängern des
neuen Systems begünstigt, entzieh» der soliden Arbeit das Capital, oemorali-
siren die Theilnehmer und drohen die erste Geldkrisis in ein ungeheures natio¬
nales Leiden zu verwandeln. Die rücksichtslose Weise, mit welcher die Regie¬
rung Millionen im Lande umherstreut, vermehrt die Schuldenlast des Staats
in furchtbarer Progression und erhält selbst da, wo das Geld zur Erzeugung


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[0454] Denn diese kalte unvertilgbare Opposition hält sein Thun in einer steten Spannung, er muß ihr imponiren durch Kälte, Rücksichtslosigkeit und große Erfolge. Von dem Tage an, wo er als schwach und leicht zu übersehn erkannt wird, mag sich das ruhige Abwarten der Gegner in eine emsige, zer¬ störende Thätigkeit verwandeln. Und dieser Umstand schließt mehr als ein anderer grade das aus, was eine würdige geschichtliche Versöhnung seines Princips mit den höchsten Bedürfnissen der Nation herbeiführen könnte, eine hochsinnige reformatorische Thätigkeit. Er kann die Presse nicht freier machen, denn jeder leichtere Athemzug würde zu einen Schrei des Hasses gegen ihn werde», er kann dem politischen Leben der Communen und Departements keine größere Freiheit gewähren, denn jede Tribune würde von seinen Gegnern zu Declamativne» gegen ihn benutzt werden, er muß auf dem Militärstaat, wie er jetzt ist, scststehn, obgleich sich die Erpansivkrnst der oppositionellen Dämpfe all¬ jährlich vermehrt, er muß Frankreich im Innern mit" einer Stabilität regieren, die weit größer ist, als sie'der Kaiser von Nußland nöthig hat, wie dringend auch die fortschreitende Bildung und die wechselnden Ideen der Zeit eine Ver¬ änderung fordern. So ist der mächtige Herr Frankreichs von drei Seiten, durch die Forde¬ rungen der Massen, durch seine Stellung zum Heer und die Abneigung der Gebildeten auf der Bahn, dieser einmal betreten, wie mit eisernen Banden festgehalten und nach menschlichem Ermessen wird er trotz seiner Kraft eine Katastrophe für sich und Frankreich und vielleicht für ganz Europa nicht ver¬ meiden können. Schon jetzt ist die innere Lage Frankreichs keinesweges eine beruhigende. Das Bestreben des gegenwärtigen Regiments, den arbeitenden Classul reichen Verdienst zu geben und die gewinnsüchtige Bourgeosie durch Begünstigung der Speculation zu befriedigen, hat eine maßlose Entwicklung des Luxus und Beförderung materiellen Lebensgenusses zur Folge gehabt. Der reiche Prunk des Hofes hat in dem genußliebenden Paris und nicht weniger in den Departements ein Raffinement des Lebens herbeigeführt und im Gefolge desselben eine so massenhafte Ausbildung der socialen Laster,, daß die zahlreichen Fremden, welche in diesem Jahre Paris besuchten, Ursache haben mit Selbst¬ gefühl die Sitten ihrer Heimnth zu rühmen. Maitressenwirthschaft und Börsen¬ spiel waren zu keiner Zeit in Paris so schamlos als jetzt, wüste Speculationen 4in ungeheuersten Maßstabe, in der Regel von verworfenen Anhängern des neuen Systems begünstigt, entzieh» der soliden Arbeit das Capital, oemorali- siren die Theilnehmer und drohen die erste Geldkrisis in ein ungeheures natio¬ nales Leiden zu verwandeln. Die rücksichtslose Weise, mit welcher die Regie¬ rung Millionen im Lande umherstreut, vermehrt die Schuldenlast des Staats in furchtbarer Progression und erhält selbst da, wo das Geld zur Erzeugung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/454>, abgerufen am 17.06.2024.