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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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neuer Arbeit verausgabt wird, eine forcirte und ungesunde Produktion, welche
bei der nächsten Stockung des Verkehrs die Zahl der Hilflosen und Heischenden
gefährlich vermehren muß. Immer ist ein häßlicher Zug in dem französischen
Volk der nackte Egoismus gewesen, nie ist er widerlicher und gefährlicher zu
Tage gekommen als jetzt, wo dem Ehrgeiz und den Leidenschaften ihr edelster
Kampfplatz, das öffentliche Staatsleben genommen sind und die ganze That¬
kraft der Nation sich auf das Bestreben concentrirt, reich zu werden und zu
genießen. Einem Fremden erscheint die französische Nation wie v"n einem
Fieber gefaßt, welches für Stunden den Schein einer gesteigerten Lebenskraft
darbietet und völlige Abspannung und Todesschwäche zur Folge hat. Wie der
Kaiser dies krankhafte Treiben auch beurtheilen mag, es ist anzunehmen, daß
er die ganze Größe der Gefahr, welches dasselbe für Frankreich-und ihn selbst
hat, nicht voraussieht, denn einige von den Operationen, welche die Nation
so weit gebrachst haben, sind durch ihn befohlen, noch mehre von ihm geduldet
worden. Er selbst gilt für einen guten Geschäftsmann, und es ist kaum zu
glauben, daß er seine Einwilligung zu den zügellosesten der großen Geld-
speculationen gegeben haben sollte, ohne das verhängnißvolle Gefühl, daß sie
für sein Frankreich trotz aller Gefahr der Zukunft nothwendige Uebel sind.

Während in Paris fast jede besonders elegante Equipage einer Kurtisane
gehört und die Frau, welche von einem Actienvercin ihrer Liebhaber unterhalten
wird, das kostbare Spitzenkleid am Rade schleifen läßt, kämpft un.d friert der
französische Soldat in der Krim. Der Kaiser hat sein Talent zu organisiren
an der französischen Armee glänzend bewährt. Was ihr noch fehlte ist ihr in
großartiger Weise zu Theil geworden. Der Artillerie, den Genietruppen und
der Intendantur eine specielle Sorgfalt, sogar kaiserliche Erfindungen; bessere
Pferde, sorgfältige Ausbildung und Verpflegung der Cavalerie; starke Ver¬
mehrung der leichten Infanterie und virtuose Ausbildung derselben sür das
zerstreute Gefecht. In jedem Grade merkte die Armee, daß ein militärischer
Geist mit praktischem Scharfblick über sie herrsche und den Stab mit fester
Hand dirigire. Der Kaiser hat in wenig Jahren sein Heer auf die erste Stelle
unter den großen Armeen der Welt erhoben. Selbst Oestreich wird sich mit der
zweiten begnügen müssen, und unser Preußen gegenwärtig mit der dritten. Wohl
weiß der französische Soldat, daß sein Beruf ist, die glänzende Seite des Kai-
serthums der Welt zu zeigen, -- aber sein Herz ist nicht mehr voll von dem
Gedanken, für den Ruhm deS Kaisers zu siegen und zu sterben, auch
ihm ist das Leben ein wildes Spiel voll Aufregungen. Und in den Stunden
der Abspannung sieht er mit düsterem Blick nach Westen, herüber nach dem
lustigen Paris. Auch er hat rechnen gelernt und er berechnet sich, daß er sein
Blut vergießt, damit in Paris die Rente um 2-3 Procent steige und der ver-


neuer Arbeit verausgabt wird, eine forcirte und ungesunde Produktion, welche
bei der nächsten Stockung des Verkehrs die Zahl der Hilflosen und Heischenden
gefährlich vermehren muß. Immer ist ein häßlicher Zug in dem französischen
Volk der nackte Egoismus gewesen, nie ist er widerlicher und gefährlicher zu
Tage gekommen als jetzt, wo dem Ehrgeiz und den Leidenschaften ihr edelster
Kampfplatz, das öffentliche Staatsleben genommen sind und die ganze That¬
kraft der Nation sich auf das Bestreben concentrirt, reich zu werden und zu
genießen. Einem Fremden erscheint die französische Nation wie v»n einem
Fieber gefaßt, welches für Stunden den Schein einer gesteigerten Lebenskraft
darbietet und völlige Abspannung und Todesschwäche zur Folge hat. Wie der
Kaiser dies krankhafte Treiben auch beurtheilen mag, es ist anzunehmen, daß
er die ganze Größe der Gefahr, welches dasselbe für Frankreich-und ihn selbst
hat, nicht voraussieht, denn einige von den Operationen, welche die Nation
so weit gebrachst haben, sind durch ihn befohlen, noch mehre von ihm geduldet
worden. Er selbst gilt für einen guten Geschäftsmann, und es ist kaum zu
glauben, daß er seine Einwilligung zu den zügellosesten der großen Geld-
speculationen gegeben haben sollte, ohne das verhängnißvolle Gefühl, daß sie
für sein Frankreich trotz aller Gefahr der Zukunft nothwendige Uebel sind.

Während in Paris fast jede besonders elegante Equipage einer Kurtisane
gehört und die Frau, welche von einem Actienvercin ihrer Liebhaber unterhalten
wird, das kostbare Spitzenkleid am Rade schleifen läßt, kämpft un.d friert der
französische Soldat in der Krim. Der Kaiser hat sein Talent zu organisiren
an der französischen Armee glänzend bewährt. Was ihr noch fehlte ist ihr in
großartiger Weise zu Theil geworden. Der Artillerie, den Genietruppen und
der Intendantur eine specielle Sorgfalt, sogar kaiserliche Erfindungen; bessere
Pferde, sorgfältige Ausbildung und Verpflegung der Cavalerie; starke Ver¬
mehrung der leichten Infanterie und virtuose Ausbildung derselben sür das
zerstreute Gefecht. In jedem Grade merkte die Armee, daß ein militärischer
Geist mit praktischem Scharfblick über sie herrsche und den Stab mit fester
Hand dirigire. Der Kaiser hat in wenig Jahren sein Heer auf die erste Stelle
unter den großen Armeen der Welt erhoben. Selbst Oestreich wird sich mit der
zweiten begnügen müssen, und unser Preußen gegenwärtig mit der dritten. Wohl
weiß der französische Soldat, daß sein Beruf ist, die glänzende Seite des Kai-
serthums der Welt zu zeigen, — aber sein Herz ist nicht mehr voll von dem
Gedanken, für den Ruhm deS Kaisers zu siegen und zu sterben, auch
ihm ist das Leben ein wildes Spiel voll Aufregungen. Und in den Stunden
der Abspannung sieht er mit düsterem Blick nach Westen, herüber nach dem
lustigen Paris. Auch er hat rechnen gelernt und er berechnet sich, daß er sein
Blut vergießt, damit in Paris die Rente um 2-3 Procent steige und der ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/455>, abgerufen am 27.05.2024.