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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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rüstet, um eine Erpedition nach der Krim abgehen zu lassen, die durch den Sieg
an der Alma auf das glänzendste eröffnet wurde. Die resignirte Stimmung
verlor sich in einem allgemeinen Siegestaumel; man sah die Waffen der Ver¬
bündeten mit dem glänzendsten Erfolg gekrönt, man stellte einen allgemeinen
Kreuzzug der civilistrten Staaten gegen Nußland in Aussicht und man war
überzeugt, daß eine physische und moralische Machtverkleinerung dieses Staats
die unausbleibliche Folge des Feldzugs sein würde.

Der unerwartete Widerstand Preußens gab diesen Hoffnungen den ersten
Stoß; indeß hier rechnete man noch immer auf die Folgerichtigkeit Oestreichs,
das in seinen diplomatischen Verhandlungen eine imponirende Festigkeit und
Entschlossenheit entwickelte, das Schritt für Schritt weiter ging, sich gegen Nu߬
land immer kriegerischer stellte. Wenn der' gehoffte militärische Erfolg in der
Krim ausblieb, wenn die Verbündeten sogar einen Augenblick in eine Lage
geriethen, die sie mit dem Untergang bedrohte, so ließ man sich dadurch nur
theilweise niederschlagen. Je geringer die Ansichten von der englischen Macht,
je größer die Vorstellung von der russischen Widerstandsfähigkeit wurde, desto
stolzer erhob sich das deutsche Gefühl, desto fester war man davon überzeugt, daß
Deutschland in dieser großen Angelegenheit, welche durch die vereinigten Waffen
Englands Und Frankreichs nicht ausgefochten werden könne, das entscheidende
Wort sprechen müsse, daß wir also auf eine geordnete Weise uns jene Stel¬
lung innerhalb der europäischen Nationen erobern würden, die 18i>8 durch
Uebereilung und Unschlüssigkeit verscherzt ward.

Der Ausgang der wiener Conferenzen und die gleich darauf beginnende Ent¬
waffnung Oestreichs zeigte, daß diese Hoffnungen trügerisch gewesen waren.
Woher der Umschlag in der östreichischen Politik zu erklären sei, weiß noch
heute niemand. Auch die officiellen Erklärungen von Seiten Englands, deren
Ton doch offen und derb genug war, haben uns dafür keinen Fingerzeig ge¬
geben. Ob persönliche Einflüsse im.Spiel waren, ob die finanziellen Ausein¬
andersetzungen des Herrn von Brück das Gewicht in die Wagschale des Frie¬
dens warfen, ob der fortgesetzte Widerstand Preußens zuletzt seine Wirkung
nicht verfehlte: -- das alles ist uns völlig unbekannt. Ein einflußreiches
französisches Blatt machte die Bemerkung, man habe von Seiten der französi¬
schen Regierung das Bündniß mit Sardinien für so wichtig gehalten, daß man
ihm das weit mehr versprechende Bündniß mit Oestreich aufgeopfert habe. So
unwahrscheinlich diese Bemerkung klang, es ist seitdem ein Ereigniß eingetreten,
ein Ereigniß so erstaunlicher Art, daß die gesammte Presse ihre Fassung ver¬
loren hat, daß sie sast durchweg schweigt, weil sie nichts darüber zu sagen weiß.
Wir meinen das östreichische Concordat. Dieser Staatsact, der doch schon
lange vorbereitet war, läßt es allerdings als wahrscheinlich erscheinen, daß
sür Oestreich die Rücksicht auf seine Stellung in Italien !nicht ohne Einfluß


rüstet, um eine Erpedition nach der Krim abgehen zu lassen, die durch den Sieg
an der Alma auf das glänzendste eröffnet wurde. Die resignirte Stimmung
verlor sich in einem allgemeinen Siegestaumel; man sah die Waffen der Ver¬
bündeten mit dem glänzendsten Erfolg gekrönt, man stellte einen allgemeinen
Kreuzzug der civilistrten Staaten gegen Nußland in Aussicht und man war
überzeugt, daß eine physische und moralische Machtverkleinerung dieses Staats
die unausbleibliche Folge des Feldzugs sein würde.

Der unerwartete Widerstand Preußens gab diesen Hoffnungen den ersten
Stoß; indeß hier rechnete man noch immer auf die Folgerichtigkeit Oestreichs,
das in seinen diplomatischen Verhandlungen eine imponirende Festigkeit und
Entschlossenheit entwickelte, das Schritt für Schritt weiter ging, sich gegen Nu߬
land immer kriegerischer stellte. Wenn der' gehoffte militärische Erfolg in der
Krim ausblieb, wenn die Verbündeten sogar einen Augenblick in eine Lage
geriethen, die sie mit dem Untergang bedrohte, so ließ man sich dadurch nur
theilweise niederschlagen. Je geringer die Ansichten von der englischen Macht,
je größer die Vorstellung von der russischen Widerstandsfähigkeit wurde, desto
stolzer erhob sich das deutsche Gefühl, desto fester war man davon überzeugt, daß
Deutschland in dieser großen Angelegenheit, welche durch die vereinigten Waffen
Englands Und Frankreichs nicht ausgefochten werden könne, das entscheidende
Wort sprechen müsse, daß wir also auf eine geordnete Weise uns jene Stel¬
lung innerhalb der europäischen Nationen erobern würden, die 18i>8 durch
Uebereilung und Unschlüssigkeit verscherzt ward.

Der Ausgang der wiener Conferenzen und die gleich darauf beginnende Ent¬
waffnung Oestreichs zeigte, daß diese Hoffnungen trügerisch gewesen waren.
Woher der Umschlag in der östreichischen Politik zu erklären sei, weiß noch
heute niemand. Auch die officiellen Erklärungen von Seiten Englands, deren
Ton doch offen und derb genug war, haben uns dafür keinen Fingerzeig ge¬
geben. Ob persönliche Einflüsse im.Spiel waren, ob die finanziellen Ausein¬
andersetzungen des Herrn von Brück das Gewicht in die Wagschale des Frie¬
dens warfen, ob der fortgesetzte Widerstand Preußens zuletzt seine Wirkung
nicht verfehlte: — das alles ist uns völlig unbekannt. Ein einflußreiches
französisches Blatt machte die Bemerkung, man habe von Seiten der französi¬
schen Regierung das Bündniß mit Sardinien für so wichtig gehalten, daß man
ihm das weit mehr versprechende Bündniß mit Oestreich aufgeopfert habe. So
unwahrscheinlich diese Bemerkung klang, es ist seitdem ein Ereigniß eingetreten,
ein Ereigniß so erstaunlicher Art, daß die gesammte Presse ihre Fassung ver¬
loren hat, daß sie sast durchweg schweigt, weil sie nichts darüber zu sagen weiß.
Wir meinen das östreichische Concordat. Dieser Staatsact, der doch schon
lange vorbereitet war, läßt es allerdings als wahrscheinlich erscheinen, daß
sür Oestreich die Rücksicht auf seine Stellung in Italien !nicht ohne Einfluß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/462>, abgerufen am 12.05.2024.