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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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auf die Auffassung der orientalischen Frage war, -- Ehe wir auf diesen Punkt
näher eingehen, wenden wir uns noch einmal zum Fortgang des Krieges
zurück.

Wurde durch den Ausgang der wiener Conferenzen die öffentliche Meinung
in ihren Hoffnungen bedeutend herabgestimmt, so wurde sie dafür nach einer
andern Seite hin entschädigt. Durch die heftigen Anklagen der radicalen
Partei im Unterhause gegen die bisherige Kriegführung hatte sich allgemein
die Ansicht gebildet, die Macht Englands sei bisher ungebührlich überschätzt
worden, England sei zu einem großen Angriffskrieg nicht geeignet und seine
ganze bisherige Verfassung erweise sich in einem ernsten Fall als haltlos. Wie
triumphirten die Feinde des konstitutionellen und bürgerlichen Princips, da sich
nun der Staat, auf den man sich bei der Rechtfertigung desselben immer be¬
zogen hatte, auch in seiner innern Hohlheit darzustellen schien. Man prophe¬
zeite eine baldige Trennung der Allianz und einen ungünstigen Ausgang des
Feldzugs. -- Beides hat sich als falsch erwiesen. Sebastopol ist gefallen, die
russische Flotte zerstört, die Alliirten sind unumschränkte Herren im schwarzen
Meere. Was aber noch wichtiger ist, der Kampf um Sebastopol war zugleich
ein Kampf gegen den größten Theil der ganzen russischen Streitmacht und diese
hat so ungeheure Verluste erlitten, daß der moralische und physische Erfolg,
wie eS jetzt steht, viel bedeutender ist, als wenn Sebastopol durch einen Hand¬
streich genommen wäre. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß die Alliirten, ohne
in das Innere Rußlands einzudringen, durch einen bloßen Grenzkrieg Ru߬
land so schwächen können, daß es sich zuletzt gezwungen sieht, auf die be¬
kannten vier Garantien einzugehen. Es fragt sich nun, ob die Alliirten dabei
stehen bleiben wollen und können.

Die italienische Frage bedroht den Weltfrieden bereits ebenso lange, als
die orientalische und wenn sie bis jetzt glücklich beseitigt ist, so wirkte vielleicht
das geheime Gefühl dabei mit, daß ihr Ausbruch viel verhängnißvollere Folgen
nach sich ziehen müsse, als irgendeines der andern kritischen Momente. Im
Orient handelt es sich immer nur um eine Machtvergrößerung oder Machtver¬
kleinerung; sollten sich aber die Wünsche der italienischen Liberalen Geltung
verschaffen, so wäre dann: das ganze politische System Europas über den
Haufen geworfen. -- Während das italienische Volk nur mit Unwillen sich
den bisherigen Regierungsformen fügt, deren fremden Ursprung es nicht ver¬
gessen kann, während es die Deutschen als seine Unterdrücker haßt, übt Italien
auf der andern Seite durch seine Kirche einen Einfluß auf alle übrigen Na¬
tionen aus, die eine freie, unabhängige Nationalentwicklung derselben ebenso
beeinträchtigt, als die Freiheit Italiens. Es ist ein sehr naheliegender Gedanke,
daß die nationale Partei oicses Volks einmal oiesen kirchlichen Einfluß zu
ihren eignen Zwecken ausbeuten könne. Der Verfasser der vorliegenden Schrift


auf die Auffassung der orientalischen Frage war, — Ehe wir auf diesen Punkt
näher eingehen, wenden wir uns noch einmal zum Fortgang des Krieges
zurück.

Wurde durch den Ausgang der wiener Conferenzen die öffentliche Meinung
in ihren Hoffnungen bedeutend herabgestimmt, so wurde sie dafür nach einer
andern Seite hin entschädigt. Durch die heftigen Anklagen der radicalen
Partei im Unterhause gegen die bisherige Kriegführung hatte sich allgemein
die Ansicht gebildet, die Macht Englands sei bisher ungebührlich überschätzt
worden, England sei zu einem großen Angriffskrieg nicht geeignet und seine
ganze bisherige Verfassung erweise sich in einem ernsten Fall als haltlos. Wie
triumphirten die Feinde des konstitutionellen und bürgerlichen Princips, da sich
nun der Staat, auf den man sich bei der Rechtfertigung desselben immer be¬
zogen hatte, auch in seiner innern Hohlheit darzustellen schien. Man prophe¬
zeite eine baldige Trennung der Allianz und einen ungünstigen Ausgang des
Feldzugs. — Beides hat sich als falsch erwiesen. Sebastopol ist gefallen, die
russische Flotte zerstört, die Alliirten sind unumschränkte Herren im schwarzen
Meere. Was aber noch wichtiger ist, der Kampf um Sebastopol war zugleich
ein Kampf gegen den größten Theil der ganzen russischen Streitmacht und diese
hat so ungeheure Verluste erlitten, daß der moralische und physische Erfolg,
wie eS jetzt steht, viel bedeutender ist, als wenn Sebastopol durch einen Hand¬
streich genommen wäre. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß die Alliirten, ohne
in das Innere Rußlands einzudringen, durch einen bloßen Grenzkrieg Ru߬
land so schwächen können, daß es sich zuletzt gezwungen sieht, auf die be¬
kannten vier Garantien einzugehen. Es fragt sich nun, ob die Alliirten dabei
stehen bleiben wollen und können.

Die italienische Frage bedroht den Weltfrieden bereits ebenso lange, als
die orientalische und wenn sie bis jetzt glücklich beseitigt ist, so wirkte vielleicht
das geheime Gefühl dabei mit, daß ihr Ausbruch viel verhängnißvollere Folgen
nach sich ziehen müsse, als irgendeines der andern kritischen Momente. Im
Orient handelt es sich immer nur um eine Machtvergrößerung oder Machtver¬
kleinerung; sollten sich aber die Wünsche der italienischen Liberalen Geltung
verschaffen, so wäre dann: das ganze politische System Europas über den
Haufen geworfen. — Während das italienische Volk nur mit Unwillen sich
den bisherigen Regierungsformen fügt, deren fremden Ursprung es nicht ver¬
gessen kann, während es die Deutschen als seine Unterdrücker haßt, übt Italien
auf der andern Seite durch seine Kirche einen Einfluß auf alle übrigen Na¬
tionen aus, die eine freie, unabhängige Nationalentwicklung derselben ebenso
beeinträchtigt, als die Freiheit Italiens. Es ist ein sehr naheliegender Gedanke,
daß die nationale Partei oicses Volks einmal oiesen kirchlichen Einfluß zu
ihren eignen Zwecken ausbeuten könne. Der Verfasser der vorliegenden Schrift


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[0463] auf die Auffassung der orientalischen Frage war, — Ehe wir auf diesen Punkt näher eingehen, wenden wir uns noch einmal zum Fortgang des Krieges zurück. Wurde durch den Ausgang der wiener Conferenzen die öffentliche Meinung in ihren Hoffnungen bedeutend herabgestimmt, so wurde sie dafür nach einer andern Seite hin entschädigt. Durch die heftigen Anklagen der radicalen Partei im Unterhause gegen die bisherige Kriegführung hatte sich allgemein die Ansicht gebildet, die Macht Englands sei bisher ungebührlich überschätzt worden, England sei zu einem großen Angriffskrieg nicht geeignet und seine ganze bisherige Verfassung erweise sich in einem ernsten Fall als haltlos. Wie triumphirten die Feinde des konstitutionellen und bürgerlichen Princips, da sich nun der Staat, auf den man sich bei der Rechtfertigung desselben immer be¬ zogen hatte, auch in seiner innern Hohlheit darzustellen schien. Man prophe¬ zeite eine baldige Trennung der Allianz und einen ungünstigen Ausgang des Feldzugs. — Beides hat sich als falsch erwiesen. Sebastopol ist gefallen, die russische Flotte zerstört, die Alliirten sind unumschränkte Herren im schwarzen Meere. Was aber noch wichtiger ist, der Kampf um Sebastopol war zugleich ein Kampf gegen den größten Theil der ganzen russischen Streitmacht und diese hat so ungeheure Verluste erlitten, daß der moralische und physische Erfolg, wie eS jetzt steht, viel bedeutender ist, als wenn Sebastopol durch einen Hand¬ streich genommen wäre. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß die Alliirten, ohne in das Innere Rußlands einzudringen, durch einen bloßen Grenzkrieg Ru߬ land so schwächen können, daß es sich zuletzt gezwungen sieht, auf die be¬ kannten vier Garantien einzugehen. Es fragt sich nun, ob die Alliirten dabei stehen bleiben wollen und können. Die italienische Frage bedroht den Weltfrieden bereits ebenso lange, als die orientalische und wenn sie bis jetzt glücklich beseitigt ist, so wirkte vielleicht das geheime Gefühl dabei mit, daß ihr Ausbruch viel verhängnißvollere Folgen nach sich ziehen müsse, als irgendeines der andern kritischen Momente. Im Orient handelt es sich immer nur um eine Machtvergrößerung oder Machtver¬ kleinerung; sollten sich aber die Wünsche der italienischen Liberalen Geltung verschaffen, so wäre dann: das ganze politische System Europas über den Haufen geworfen. — Während das italienische Volk nur mit Unwillen sich den bisherigen Regierungsformen fügt, deren fremden Ursprung es nicht ver¬ gessen kann, während es die Deutschen als seine Unterdrücker haßt, übt Italien auf der andern Seite durch seine Kirche einen Einfluß auf alle übrigen Na¬ tionen aus, die eine freie, unabhängige Nationalentwicklung derselben ebenso beeinträchtigt, als die Freiheit Italiens. Es ist ein sehr naheliegender Gedanke, daß die nationale Partei oicses Volks einmal oiesen kirchlichen Einfluß zu ihren eignen Zwecken ausbeuten könne. Der Verfasser der vorliegenden Schrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/463>, abgerufen am 23.05.2024.