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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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gibt denselben Rath. Er schlägt vor, den Kirchenstaat zu säcularisiren, da¬
gegen den Papst als den Vorkämpfer der italienischen Unabhängigkeit zu
ehren. -- Der Gedanke liegt nahe, aber er ist unausführbar. Zwar hat sich
bis jetzt der Grundsatz erhalten, die obersten Würdenträger der Kirche aus
den Italienern zu nehmen, aber der Einfluß des Papstthums auf die Regie¬
rungen Europas beruht nicht auf seinem italienischen Ursprung, sondern auf
seinem anscheinend conservativen Princip. Der Papst, als Oberhaupt einer
italienischen Republik, würde aufhören Haupt der allgemeinen Kirche zu sein.
-- Diesem Umstand ist es auch zu danken, daß die natürliche Rivalität zwischen
den beiden großen katholischen Mächten, Oestreich und Frankreich, noch nicht
zum Ausbruch gekommen ist. Jedem von beiden muß daran liegen, den kirch¬
lichen Einfluß zu seinen Zwecken auszubeuten und von der italienischen Gemein¬
wiese so viel zu benutzen, als möglich; aber Oestreich konnte sich seines Besitzes
freuen, denn der französischen Monarchie konnte es nicht einfallen, sich mit
den Mazzinisten gegen einen geordneten Staat zu verbünden. Der Haß gegen
die Deutschen und die Sympathie für die Franzosen mögen noch so groß sein,
jedenfalls ist der Haß der italienischen Republikaner gegen Napoleon III. hun¬
dertmal größer, als der Haß gegen einen beliebigen legitimen Fürsten, denn
sie sehen in ihm zugleich den Abtrünnigen von ihrer Partei.

Ein andres Ansehen gewinnt die Sache durch das enge Bündniß zwischen
England, Frankreich und Sardinien. Der König von Sardinien, dessen hoher
Werth von unsrer Presse noch immer nicht genügend gewürdigt ist, hat als
Beherrscher eines geordneten, militärisch tüchtigen und dabei verfassungsmäßigen
Staats, in welchem die Bürger Hand in Hand mit der Regierung gehen, ein
ganz andres Gewicht, als der Führer einer republikanischen Propaganda. Schon
hat sich durch ganz Italien eine starke Partei gebildet, die den Gedanken der
Unabhängigkeit nicht mehr an republikanische Formen knüpft, sondern ihre
ganze Hoffnung aus die Erweiterung des einzigen nationalen Königthums setzt.
Bei dem ernsthaften und fortdauernden Conflict Sardiniens mit dem römischen
Stuhl muß man den Abschluß des östreichischen Concordats einerseits, die feier¬
liche Aufnahme des Königs von Sardinien in Paris andrerseits als eine
Demonstration auffassen. Bei dem ersten mögen vielfältige religiöse Motive,
bei der zweiten die Dankbarkeit für die orientalischen Hilfstruppen mitwirken; trotz¬
dem spricht sich deutlich darin das Bewußtsein aus, daß man zwei verschiedenen
Feldlagern angehört. Zwar glauben wir nicht, daß dieser Gegensatz so bald zu
einem offenen Bruche führen wird, aber die Brennpunkte liegen an alle" Orten
aufgehäuft, und sollte die Donauerpedition der Verbündeten gegen Rußland
zu Anfang des folgenden Jahres wirklich stattfinden, so wirb Oestreich sich
doch in der Alternative befinden, entweder mit den Verbündeten gemeinsame
Sache zu machen oder jeden Augenblick eine Explosion zu gewärtigen. Den


gibt denselben Rath. Er schlägt vor, den Kirchenstaat zu säcularisiren, da¬
gegen den Papst als den Vorkämpfer der italienischen Unabhängigkeit zu
ehren. — Der Gedanke liegt nahe, aber er ist unausführbar. Zwar hat sich
bis jetzt der Grundsatz erhalten, die obersten Würdenträger der Kirche aus
den Italienern zu nehmen, aber der Einfluß des Papstthums auf die Regie¬
rungen Europas beruht nicht auf seinem italienischen Ursprung, sondern auf
seinem anscheinend conservativen Princip. Der Papst, als Oberhaupt einer
italienischen Republik, würde aufhören Haupt der allgemeinen Kirche zu sein.
— Diesem Umstand ist es auch zu danken, daß die natürliche Rivalität zwischen
den beiden großen katholischen Mächten, Oestreich und Frankreich, noch nicht
zum Ausbruch gekommen ist. Jedem von beiden muß daran liegen, den kirch¬
lichen Einfluß zu seinen Zwecken auszubeuten und von der italienischen Gemein¬
wiese so viel zu benutzen, als möglich; aber Oestreich konnte sich seines Besitzes
freuen, denn der französischen Monarchie konnte es nicht einfallen, sich mit
den Mazzinisten gegen einen geordneten Staat zu verbünden. Der Haß gegen
die Deutschen und die Sympathie für die Franzosen mögen noch so groß sein,
jedenfalls ist der Haß der italienischen Republikaner gegen Napoleon III. hun¬
dertmal größer, als der Haß gegen einen beliebigen legitimen Fürsten, denn
sie sehen in ihm zugleich den Abtrünnigen von ihrer Partei.

Ein andres Ansehen gewinnt die Sache durch das enge Bündniß zwischen
England, Frankreich und Sardinien. Der König von Sardinien, dessen hoher
Werth von unsrer Presse noch immer nicht genügend gewürdigt ist, hat als
Beherrscher eines geordneten, militärisch tüchtigen und dabei verfassungsmäßigen
Staats, in welchem die Bürger Hand in Hand mit der Regierung gehen, ein
ganz andres Gewicht, als der Führer einer republikanischen Propaganda. Schon
hat sich durch ganz Italien eine starke Partei gebildet, die den Gedanken der
Unabhängigkeit nicht mehr an republikanische Formen knüpft, sondern ihre
ganze Hoffnung aus die Erweiterung des einzigen nationalen Königthums setzt.
Bei dem ernsthaften und fortdauernden Conflict Sardiniens mit dem römischen
Stuhl muß man den Abschluß des östreichischen Concordats einerseits, die feier¬
liche Aufnahme des Königs von Sardinien in Paris andrerseits als eine
Demonstration auffassen. Bei dem ersten mögen vielfältige religiöse Motive,
bei der zweiten die Dankbarkeit für die orientalischen Hilfstruppen mitwirken; trotz¬
dem spricht sich deutlich darin das Bewußtsein aus, daß man zwei verschiedenen
Feldlagern angehört. Zwar glauben wir nicht, daß dieser Gegensatz so bald zu
einem offenen Bruche führen wird, aber die Brennpunkte liegen an alle» Orten
aufgehäuft, und sollte die Donauerpedition der Verbündeten gegen Rußland
zu Anfang des folgenden Jahres wirklich stattfinden, so wirb Oestreich sich
doch in der Alternative befinden, entweder mit den Verbündeten gemeinsame
Sache zu machen oder jeden Augenblick eine Explosion zu gewärtigen. Den


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[0464] gibt denselben Rath. Er schlägt vor, den Kirchenstaat zu säcularisiren, da¬ gegen den Papst als den Vorkämpfer der italienischen Unabhängigkeit zu ehren. — Der Gedanke liegt nahe, aber er ist unausführbar. Zwar hat sich bis jetzt der Grundsatz erhalten, die obersten Würdenträger der Kirche aus den Italienern zu nehmen, aber der Einfluß des Papstthums auf die Regie¬ rungen Europas beruht nicht auf seinem italienischen Ursprung, sondern auf seinem anscheinend conservativen Princip. Der Papst, als Oberhaupt einer italienischen Republik, würde aufhören Haupt der allgemeinen Kirche zu sein. — Diesem Umstand ist es auch zu danken, daß die natürliche Rivalität zwischen den beiden großen katholischen Mächten, Oestreich und Frankreich, noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. Jedem von beiden muß daran liegen, den kirch¬ lichen Einfluß zu seinen Zwecken auszubeuten und von der italienischen Gemein¬ wiese so viel zu benutzen, als möglich; aber Oestreich konnte sich seines Besitzes freuen, denn der französischen Monarchie konnte es nicht einfallen, sich mit den Mazzinisten gegen einen geordneten Staat zu verbünden. Der Haß gegen die Deutschen und die Sympathie für die Franzosen mögen noch so groß sein, jedenfalls ist der Haß der italienischen Republikaner gegen Napoleon III. hun¬ dertmal größer, als der Haß gegen einen beliebigen legitimen Fürsten, denn sie sehen in ihm zugleich den Abtrünnigen von ihrer Partei. Ein andres Ansehen gewinnt die Sache durch das enge Bündniß zwischen England, Frankreich und Sardinien. Der König von Sardinien, dessen hoher Werth von unsrer Presse noch immer nicht genügend gewürdigt ist, hat als Beherrscher eines geordneten, militärisch tüchtigen und dabei verfassungsmäßigen Staats, in welchem die Bürger Hand in Hand mit der Regierung gehen, ein ganz andres Gewicht, als der Führer einer republikanischen Propaganda. Schon hat sich durch ganz Italien eine starke Partei gebildet, die den Gedanken der Unabhängigkeit nicht mehr an republikanische Formen knüpft, sondern ihre ganze Hoffnung aus die Erweiterung des einzigen nationalen Königthums setzt. Bei dem ernsthaften und fortdauernden Conflict Sardiniens mit dem römischen Stuhl muß man den Abschluß des östreichischen Concordats einerseits, die feier¬ liche Aufnahme des Königs von Sardinien in Paris andrerseits als eine Demonstration auffassen. Bei dem ersten mögen vielfältige religiöse Motive, bei der zweiten die Dankbarkeit für die orientalischen Hilfstruppen mitwirken; trotz¬ dem spricht sich deutlich darin das Bewußtsein aus, daß man zwei verschiedenen Feldlagern angehört. Zwar glauben wir nicht, daß dieser Gegensatz so bald zu einem offenen Bruche führen wird, aber die Brennpunkte liegen an alle» Orten aufgehäuft, und sollte die Donauerpedition der Verbündeten gegen Rußland zu Anfang des folgenden Jahres wirklich stattfinden, so wirb Oestreich sich doch in der Alternative befinden, entweder mit den Verbündeten gemeinsame Sache zu machen oder jeden Augenblick eine Explosion zu gewärtigen. Den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/464>, abgerufen am 16.06.2024.