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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Eine Fahrt auf dem goldnen Horne.

Ihre Leser kennen wol ausnahmslos, theils aus den vielverbreiteten An¬
sichten und Plänen der hiesigen Capitale, theils aus sonstigen Beschreibungen
die Lage des Goldhornes, des weitgedehnten Hafens von Stambul. Was für
Rußland der Port von Sebastopol ist mit seiner sicheren Rhede und der tiefen,
geräumigen Bucht, das ist, in einer wunderbar gelegenen Mittelposition zwi¬
schen dem Pontus und dem mittelländischen Meere, für die Türkei und gegen¬
wärtig für ihre Verbündeten der unvergleichliche Liman (Hafen), welcher sich
zwischen die beiden Riesenstädte, Galata-Pera-Toppana (Tophane) und Kon¬
stantinopel scheinbar darum einschiebt, um die osmanische Metropole mit Hilfe
einer unübertroffenen Flottenstation, ihre Lage am Eingange zweier weiter
Seebecken und zweier Welttheile im weitesten Umfange ausbeuten zu lassen.
Nicht ohne Rücksicht auf das goldne Horn, mit dem im Mittelmeer nur Malta,
Toulon und Cattaro, im Pontus nur Sebastopol wetteifern können, ließ der
socialistische Träumer Fourier den Omniarchen seine Residenz in Stambul auf¬
schlagen und von hier aus die neuorganisirte Welt beherrschen.

Es war am Weihnachtsvorabend, als ich, nahe der Kumbaradschi Kisch-
lassi (Bvmbardierkaserne) am oberen Ende des Goldhornes ein türkisches Boot,
Kalk genannt, bestieg, um den Hafen hinabfahrend die Thätigkeit in der Nähe
zu beobachten, welche seit etwa, einem Monat, infolge der Stürme auf dem
schwarzen Meere, namentlich desjenigen vom 1i. November, dieses weite Bassin
erfüllt. Kaum vom Ufer abgestoßen, übersah ich den dichten Wald von Masten,
der sich vom Werft von Ainali Kawak an bis zur zweiten (mittleren) Brücke
hinzieht. Ueber alle anderen hinaus ragten, den Cedern vergleichbar, die in
einem Laubforst stehen, die Stengen der Linienschiffe hoch in die Lüfte. Der
Schall der vielen Hunderte, was sage ich, tausende von Hämmern, die beim
Kalfatern thätig waren, tönte mir auf mehre tausend Schritt Entfernung mit
seinem wirren Klippklapp entgegen. Das erwähnte Werft war bald vom schnel¬
len Kalk erreicht; d^'I Dampfer, von denen nur einer bewaffnet war, lagen
hart am Bollwerk, auf dem Stapel selbst aber bemerkte ich das Gerippe eines


Grenzboten. I. <8LS. 16
Eine Fahrt auf dem goldnen Horne.

Ihre Leser kennen wol ausnahmslos, theils aus den vielverbreiteten An¬
sichten und Plänen der hiesigen Capitale, theils aus sonstigen Beschreibungen
die Lage des Goldhornes, des weitgedehnten Hafens von Stambul. Was für
Rußland der Port von Sebastopol ist mit seiner sicheren Rhede und der tiefen,
geräumigen Bucht, das ist, in einer wunderbar gelegenen Mittelposition zwi¬
schen dem Pontus und dem mittelländischen Meere, für die Türkei und gegen¬
wärtig für ihre Verbündeten der unvergleichliche Liman (Hafen), welcher sich
zwischen die beiden Riesenstädte, Galata-Pera-Toppana (Tophane) und Kon¬
stantinopel scheinbar darum einschiebt, um die osmanische Metropole mit Hilfe
einer unübertroffenen Flottenstation, ihre Lage am Eingange zweier weiter
Seebecken und zweier Welttheile im weitesten Umfange ausbeuten zu lassen.
Nicht ohne Rücksicht auf das goldne Horn, mit dem im Mittelmeer nur Malta,
Toulon und Cattaro, im Pontus nur Sebastopol wetteifern können, ließ der
socialistische Träumer Fourier den Omniarchen seine Residenz in Stambul auf¬
schlagen und von hier aus die neuorganisirte Welt beherrschen.

Es war am Weihnachtsvorabend, als ich, nahe der Kumbaradschi Kisch-
lassi (Bvmbardierkaserne) am oberen Ende des Goldhornes ein türkisches Boot,
Kalk genannt, bestieg, um den Hafen hinabfahrend die Thätigkeit in der Nähe
zu beobachten, welche seit etwa, einem Monat, infolge der Stürme auf dem
schwarzen Meere, namentlich desjenigen vom 1i. November, dieses weite Bassin
erfüllt. Kaum vom Ufer abgestoßen, übersah ich den dichten Wald von Masten,
der sich vom Werft von Ainali Kawak an bis zur zweiten (mittleren) Brücke
hinzieht. Ueber alle anderen hinaus ragten, den Cedern vergleichbar, die in
einem Laubforst stehen, die Stengen der Linienschiffe hoch in die Lüfte. Der
Schall der vielen Hunderte, was sage ich, tausende von Hämmern, die beim
Kalfatern thätig waren, tönte mir auf mehre tausend Schritt Entfernung mit
seinem wirren Klippklapp entgegen. Das erwähnte Werft war bald vom schnel¬
len Kalk erreicht; d^'I Dampfer, von denen nur einer bewaffnet war, lagen
hart am Bollwerk, auf dem Stapel selbst aber bemerkte ich das Gerippe eines


Grenzboten. I. <8LS. 16
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[0129] Eine Fahrt auf dem goldnen Horne. Ihre Leser kennen wol ausnahmslos, theils aus den vielverbreiteten An¬ sichten und Plänen der hiesigen Capitale, theils aus sonstigen Beschreibungen die Lage des Goldhornes, des weitgedehnten Hafens von Stambul. Was für Rußland der Port von Sebastopol ist mit seiner sicheren Rhede und der tiefen, geräumigen Bucht, das ist, in einer wunderbar gelegenen Mittelposition zwi¬ schen dem Pontus und dem mittelländischen Meere, für die Türkei und gegen¬ wärtig für ihre Verbündeten der unvergleichliche Liman (Hafen), welcher sich zwischen die beiden Riesenstädte, Galata-Pera-Toppana (Tophane) und Kon¬ stantinopel scheinbar darum einschiebt, um die osmanische Metropole mit Hilfe einer unübertroffenen Flottenstation, ihre Lage am Eingange zweier weiter Seebecken und zweier Welttheile im weitesten Umfange ausbeuten zu lassen. Nicht ohne Rücksicht auf das goldne Horn, mit dem im Mittelmeer nur Malta, Toulon und Cattaro, im Pontus nur Sebastopol wetteifern können, ließ der socialistische Träumer Fourier den Omniarchen seine Residenz in Stambul auf¬ schlagen und von hier aus die neuorganisirte Welt beherrschen. Es war am Weihnachtsvorabend, als ich, nahe der Kumbaradschi Kisch- lassi (Bvmbardierkaserne) am oberen Ende des Goldhornes ein türkisches Boot, Kalk genannt, bestieg, um den Hafen hinabfahrend die Thätigkeit in der Nähe zu beobachten, welche seit etwa, einem Monat, infolge der Stürme auf dem schwarzen Meere, namentlich desjenigen vom 1i. November, dieses weite Bassin erfüllt. Kaum vom Ufer abgestoßen, übersah ich den dichten Wald von Masten, der sich vom Werft von Ainali Kawak an bis zur zweiten (mittleren) Brücke hinzieht. Ueber alle anderen hinaus ragten, den Cedern vergleichbar, die in einem Laubforst stehen, die Stengen der Linienschiffe hoch in die Lüfte. Der Schall der vielen Hunderte, was sage ich, tausende von Hämmern, die beim Kalfatern thätig waren, tönte mir auf mehre tausend Schritt Entfernung mit seinem wirren Klippklapp entgegen. Das erwähnte Werft war bald vom schnel¬ len Kalk erreicht; d^'I Dampfer, von denen nur einer bewaffnet war, lagen hart am Bollwerk, auf dem Stapel selbst aber bemerkte ich das Gerippe eines Grenzboten. I. <8LS. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/129>, abgerufen am 09.06.2024.