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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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er gehört zu den Politikern, die über die Haltung der Kreuzzeitung den Kopf
schütteln; allein alle diese Umstände werden wol das Cabinet von Se. James
nicht abhalten, ihn zu fragen, was er eigentlich bringe.

Gegen die Rivalität mit Oestreich wäre nichts einzuwenden, wenn sie
in einem richtigen Zeitpunkt eingetreten wäre. Preußen konnte, wenn es
unmittelbar nach der Krimerpedition, jenem Unternehmen, durch welches die
Westmächte Deutschland die Garantie für den Ernst ihrer kriegerischen Absichten
gaben, Partei genommen hätte, seine Politik zum Mittelpunkt der europäischen
Politik machen, den.n obgleich die kleinste der Großmächte, ist Preußen doch
durch seine Lage in der That der Mittelpunkt der europäischen Conflicte und
wird, jenachdem seine Regierung stark oder schwach ist, sie leiten oder ihnen
unterliegen: -- in diesem Augenblick ist diese Stellung nicht mehr möglich;
jetzt kann Preußen seine Stellung gegen die Westmächte und gegen Nußland
nur durch ein aufrichtiges Einverständnis; mit Oestreich erwerben.

Nach der vorliegenden Broschüre aber zu urtheilen, sollte die Rivalität
gegen Oestreich auf eine Weise sortgesetzt werden, bei der man nicht recht weiß,
ob man sich in einem Lustspiel oder in einem Ifflandschen Rührstück befindet.
Der Verfasser, der übrigens durchaus kein Anhänger Rußlands ist, schildert
mit beredten Worten die grausamen Zumuthungen Oestreichs an den deutschen
Bund, dessen staatsrechtliche Bedeutung dem Ausland gegenüber er ungefähr
in einer Weise auffaßt, wie die der Eidgenossenschaft, und fährt dann S. 11
fort: "Das Berliner Cabinet scheint deshalb wol erkannt zu haben, daß
Preußen, indem es vorzieht, als europäische Macht dem Anbringen Oestreichs
besonnen immer einige Schritte entgegen und darin dem Bunde zuvorzukommen,
diesen selbst möglichst lange vor vorschneller Verwicklung schütze. Deshalb hat
Preußen consequent langsame Concessionen an Oestreich gemacht und dem
Kaiserstaate gegenüber Verpflichtung auf Verpflichtung übernommen, ohne irgend
für die Gegenseitigkeit bestimmte Gesichtspunkte geboten zu erhalten. Bei der
schroffen Form, in welcher Oestreich seine Begehren geltendzumachen und
zugleich seine Propaganda in Deutschland wirken zu lassen pflegte, gehörte
dazu gewiß viel Selbstüberwindung."

Man könnte fast gerührt werden, obgleich sich freilich noch etwas Anderes
dahinter versteckt. Preußen schließt mit Oestreich Separatverträge, um den
Einfluß Oestreichs auf den deutschen Bund zu hindern, d^rs heißt doch fast
soviel, als ob diese Verträge den Zweck haben sollten, Oestreichs Bewegungen
zu lahmen?

Es fehlt nicht an den gewöhnlichen Vorwürfen gegen Oestreich. Oestreich
gehe von selbstsüchtigen Absichten aus -- woran kein Mensch gezweifelt Hai ;
Oestreichs Einfluß in den Donaufürstenthümern habe es noch nicht dahin ge¬
bracht, daß die preußische Consulatsflagge in Jassy wieder hätte aufgezogen


er gehört zu den Politikern, die über die Haltung der Kreuzzeitung den Kopf
schütteln; allein alle diese Umstände werden wol das Cabinet von Se. James
nicht abhalten, ihn zu fragen, was er eigentlich bringe.

Gegen die Rivalität mit Oestreich wäre nichts einzuwenden, wenn sie
in einem richtigen Zeitpunkt eingetreten wäre. Preußen konnte, wenn es
unmittelbar nach der Krimerpedition, jenem Unternehmen, durch welches die
Westmächte Deutschland die Garantie für den Ernst ihrer kriegerischen Absichten
gaben, Partei genommen hätte, seine Politik zum Mittelpunkt der europäischen
Politik machen, den.n obgleich die kleinste der Großmächte, ist Preußen doch
durch seine Lage in der That der Mittelpunkt der europäischen Conflicte und
wird, jenachdem seine Regierung stark oder schwach ist, sie leiten oder ihnen
unterliegen: — in diesem Augenblick ist diese Stellung nicht mehr möglich;
jetzt kann Preußen seine Stellung gegen die Westmächte und gegen Nußland
nur durch ein aufrichtiges Einverständnis; mit Oestreich erwerben.

Nach der vorliegenden Broschüre aber zu urtheilen, sollte die Rivalität
gegen Oestreich auf eine Weise sortgesetzt werden, bei der man nicht recht weiß,
ob man sich in einem Lustspiel oder in einem Ifflandschen Rührstück befindet.
Der Verfasser, der übrigens durchaus kein Anhänger Rußlands ist, schildert
mit beredten Worten die grausamen Zumuthungen Oestreichs an den deutschen
Bund, dessen staatsrechtliche Bedeutung dem Ausland gegenüber er ungefähr
in einer Weise auffaßt, wie die der Eidgenossenschaft, und fährt dann S. 11
fort: „Das Berliner Cabinet scheint deshalb wol erkannt zu haben, daß
Preußen, indem es vorzieht, als europäische Macht dem Anbringen Oestreichs
besonnen immer einige Schritte entgegen und darin dem Bunde zuvorzukommen,
diesen selbst möglichst lange vor vorschneller Verwicklung schütze. Deshalb hat
Preußen consequent langsame Concessionen an Oestreich gemacht und dem
Kaiserstaate gegenüber Verpflichtung auf Verpflichtung übernommen, ohne irgend
für die Gegenseitigkeit bestimmte Gesichtspunkte geboten zu erhalten. Bei der
schroffen Form, in welcher Oestreich seine Begehren geltendzumachen und
zugleich seine Propaganda in Deutschland wirken zu lassen pflegte, gehörte
dazu gewiß viel Selbstüberwindung."

Man könnte fast gerührt werden, obgleich sich freilich noch etwas Anderes
dahinter versteckt. Preußen schließt mit Oestreich Separatverträge, um den
Einfluß Oestreichs auf den deutschen Bund zu hindern, d^rs heißt doch fast
soviel, als ob diese Verträge den Zweck haben sollten, Oestreichs Bewegungen
zu lahmen?

Es fehlt nicht an den gewöhnlichen Vorwürfen gegen Oestreich. Oestreich
gehe von selbstsüchtigen Absichten aus — woran kein Mensch gezweifelt Hai ;
Oestreichs Einfluß in den Donaufürstenthümern habe es noch nicht dahin ge¬
bracht, daß die preußische Consulatsflagge in Jassy wieder hätte aufgezogen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/14>, abgerufen am 26.05.2024.