Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden können; Baron Koller habe in London am eifrigsten am Zustande-
kommen des berühmten Londoner Protokolls gearbeitet, und auch jetzt habe
Oestreich in seinen Verhandlungen mit den Westmächten noch keine bestimmten
Forderungen zu Gunsten Preußens und Norddeutschlands gestellt, sondern nur
Preußen in der öffentlichen Meinung in ein falsches Licht und in eine falsche
Stellung gebracht.

Aber wie in aller Welt soll Oestreich dazu kommen, Forderungen zu
Gunsten Preußens zu stellen? in Jassy ein bequemes Local für die Herren
Neigebaur, Wedeke oder Meusebach einzurichten? Wir dächten, es wäre Preu¬
ßens Sache, das zu verlangen. Warum schließt Preußen Verträge mit Oest¬
reich, die es in ein falsches Licht und in eine falsche Stellung zur öffentlichen
Meinung bringen? Oestreich hat seine Forderungen so bestimmt, als unter
den gegenwärtigen Umständen möglich ist, formulirt; warum thut Preußen
nicht dasselbe? Warum erklärt es uicht den östreichischen Staatsmännern: die
Revision des Vertrags mit Rußland vom 3. Mai 181", die Revision des
Londoner Protokolls, die Regulirung der Cvnsulatverhältnisse in den Donau-
fürstenthümern und die Revision der Sundzollverträge sind die Bedingungen,
.unter denen Preußen eine Theilnahme an dem Vorgehen Oestreichs verheißt,
und zu deren Unterstützung sich Oestreich vertragsmäßig verpflichten muß, be¬
vor Preußen sich auf irgendetwas Weiteres einläßt? Soweit wir die Sach¬
lage übersehen, wird Oestreich diesen gerechten und gemäßigten Anforderungen
seine Mitwirkung nicht versagen. Sollte das aber dennoch wider Erwarten
der Fall sein, so ist alsdann Preußen in der Lage, seinerseits an die öffent¬
liche Meinung zu appelliren; es würde sich dann herausstellen, daß Oestreichs
Sache mit der deutschen Sache nicht zusammenfällt, und die Hegemonie über
die deutschen Staaten, die dem Unentschlossenen gewiß nicht in den Schoß
fallen wird, würde dann keine Frage mehr sein. Solange das aber nicht ge¬
schehen ist, haben die Vertheidiger der preußischen Negierung durchaus kein
Recht, Oestreichs Aufrichtigkeit den deutschen Interessen gegenüber zu be¬
zweifeln.

Die Sache hätte schon längst geordnet sein können, wenn nicht Preußen
den Fortschritt der Begebenheiten geflissentlich retardirt hätte. Allein es ist
noch immer nicht zu spät. Noch immer, und darin stimmen wir mit dem Ver¬
fasser jener Broschüre überein, ist Preußen verhältnißmäßig in einer günstigen
Lage; noch immer kann es für seine Mitwirkung gegen Nußland einen hohen
Preis beanspruchen. Wir halten zu diesem Zweck eine totale Umgestaltung des
preußischen Ministeriums nicht einmal für nothwendig. Nothwendig wäre nur
die Entfernung der notorischen Anhänger Rußlands aus den höchsten Stellen,
namentlich im Kriegsdepartement.

Wir müssen immer dabei stehen bleiben, daß Preußens Bündniß im't Nuß-


werden können; Baron Koller habe in London am eifrigsten am Zustande-
kommen des berühmten Londoner Protokolls gearbeitet, und auch jetzt habe
Oestreich in seinen Verhandlungen mit den Westmächten noch keine bestimmten
Forderungen zu Gunsten Preußens und Norddeutschlands gestellt, sondern nur
Preußen in der öffentlichen Meinung in ein falsches Licht und in eine falsche
Stellung gebracht.

Aber wie in aller Welt soll Oestreich dazu kommen, Forderungen zu
Gunsten Preußens zu stellen? in Jassy ein bequemes Local für die Herren
Neigebaur, Wedeke oder Meusebach einzurichten? Wir dächten, es wäre Preu¬
ßens Sache, das zu verlangen. Warum schließt Preußen Verträge mit Oest¬
reich, die es in ein falsches Licht und in eine falsche Stellung zur öffentlichen
Meinung bringen? Oestreich hat seine Forderungen so bestimmt, als unter
den gegenwärtigen Umständen möglich ist, formulirt; warum thut Preußen
nicht dasselbe? Warum erklärt es uicht den östreichischen Staatsmännern: die
Revision des Vertrags mit Rußland vom 3. Mai 181», die Revision des
Londoner Protokolls, die Regulirung der Cvnsulatverhältnisse in den Donau-
fürstenthümern und die Revision der Sundzollverträge sind die Bedingungen,
.unter denen Preußen eine Theilnahme an dem Vorgehen Oestreichs verheißt,
und zu deren Unterstützung sich Oestreich vertragsmäßig verpflichten muß, be¬
vor Preußen sich auf irgendetwas Weiteres einläßt? Soweit wir die Sach¬
lage übersehen, wird Oestreich diesen gerechten und gemäßigten Anforderungen
seine Mitwirkung nicht versagen. Sollte das aber dennoch wider Erwarten
der Fall sein, so ist alsdann Preußen in der Lage, seinerseits an die öffent¬
liche Meinung zu appelliren; es würde sich dann herausstellen, daß Oestreichs
Sache mit der deutschen Sache nicht zusammenfällt, und die Hegemonie über
die deutschen Staaten, die dem Unentschlossenen gewiß nicht in den Schoß
fallen wird, würde dann keine Frage mehr sein. Solange das aber nicht ge¬
schehen ist, haben die Vertheidiger der preußischen Negierung durchaus kein
Recht, Oestreichs Aufrichtigkeit den deutschen Interessen gegenüber zu be¬
zweifeln.

Die Sache hätte schon längst geordnet sein können, wenn nicht Preußen
den Fortschritt der Begebenheiten geflissentlich retardirt hätte. Allein es ist
noch immer nicht zu spät. Noch immer, und darin stimmen wir mit dem Ver¬
fasser jener Broschüre überein, ist Preußen verhältnißmäßig in einer günstigen
Lage; noch immer kann es für seine Mitwirkung gegen Nußland einen hohen
Preis beanspruchen. Wir halten zu diesem Zweck eine totale Umgestaltung des
preußischen Ministeriums nicht einmal für nothwendig. Nothwendig wäre nur
die Entfernung der notorischen Anhänger Rußlands aus den höchsten Stellen,
namentlich im Kriegsdepartement.

Wir müssen immer dabei stehen bleiben, daß Preußens Bündniß im't Nuß-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98867"/>
          <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> werden können; Baron Koller habe in London am eifrigsten am Zustande-<lb/>
kommen des berühmten Londoner Protokolls gearbeitet, und auch jetzt habe<lb/>
Oestreich in seinen Verhandlungen mit den Westmächten noch keine bestimmten<lb/>
Forderungen zu Gunsten Preußens und Norddeutschlands gestellt, sondern nur<lb/>
Preußen in der öffentlichen Meinung in ein falsches Licht und in eine falsche<lb/>
Stellung gebracht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23"> Aber wie in aller Welt soll Oestreich dazu kommen, Forderungen zu<lb/>
Gunsten Preußens zu stellen? in Jassy ein bequemes Local für die Herren<lb/>
Neigebaur, Wedeke oder Meusebach einzurichten? Wir dächten, es wäre Preu¬<lb/>
ßens Sache, das zu verlangen. Warum schließt Preußen Verträge mit Oest¬<lb/>
reich, die es in ein falsches Licht und in eine falsche Stellung zur öffentlichen<lb/>
Meinung bringen? Oestreich hat seine Forderungen so bestimmt, als unter<lb/>
den gegenwärtigen Umständen möglich ist, formulirt; warum thut Preußen<lb/>
nicht dasselbe? Warum erklärt es uicht den östreichischen Staatsmännern: die<lb/>
Revision des Vertrags mit Rußland vom 3. Mai 181», die Revision des<lb/>
Londoner Protokolls, die Regulirung der Cvnsulatverhältnisse in den Donau-<lb/>
fürstenthümern und die Revision der Sundzollverträge sind die Bedingungen,<lb/>
.unter denen Preußen eine Theilnahme an dem Vorgehen Oestreichs verheißt,<lb/>
und zu deren Unterstützung sich Oestreich vertragsmäßig verpflichten muß, be¬<lb/>
vor Preußen sich auf irgendetwas Weiteres einläßt? Soweit wir die Sach¬<lb/>
lage übersehen, wird Oestreich diesen gerechten und gemäßigten Anforderungen<lb/>
seine Mitwirkung nicht versagen. Sollte das aber dennoch wider Erwarten<lb/>
der Fall sein, so ist alsdann Preußen in der Lage, seinerseits an die öffent¬<lb/>
liche Meinung zu appelliren; es würde sich dann herausstellen, daß Oestreichs<lb/>
Sache mit der deutschen Sache nicht zusammenfällt, und die Hegemonie über<lb/>
die deutschen Staaten, die dem Unentschlossenen gewiß nicht in den Schoß<lb/>
fallen wird, würde dann keine Frage mehr sein. Solange das aber nicht ge¬<lb/>
schehen ist, haben die Vertheidiger der preußischen Negierung durchaus kein<lb/>
Recht, Oestreichs Aufrichtigkeit den deutschen Interessen gegenüber zu be¬<lb/>
zweifeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24"> Die Sache hätte schon längst geordnet sein können, wenn nicht Preußen<lb/>
den Fortschritt der Begebenheiten geflissentlich retardirt hätte. Allein es ist<lb/>
noch immer nicht zu spät. Noch immer, und darin stimmen wir mit dem Ver¬<lb/>
fasser jener Broschüre überein, ist Preußen verhältnißmäßig in einer günstigen<lb/>
Lage; noch immer kann es für seine Mitwirkung gegen Nußland einen hohen<lb/>
Preis beanspruchen. Wir halten zu diesem Zweck eine totale Umgestaltung des<lb/>
preußischen Ministeriums nicht einmal für nothwendig. Nothwendig wäre nur<lb/>
die Entfernung der notorischen Anhänger Rußlands aus den höchsten Stellen,<lb/>
namentlich im Kriegsdepartement.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25" next="#ID_26"> Wir müssen immer dabei stehen bleiben, daß Preußens Bündniß im't Nuß-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] werden können; Baron Koller habe in London am eifrigsten am Zustande- kommen des berühmten Londoner Protokolls gearbeitet, und auch jetzt habe Oestreich in seinen Verhandlungen mit den Westmächten noch keine bestimmten Forderungen zu Gunsten Preußens und Norddeutschlands gestellt, sondern nur Preußen in der öffentlichen Meinung in ein falsches Licht und in eine falsche Stellung gebracht. Aber wie in aller Welt soll Oestreich dazu kommen, Forderungen zu Gunsten Preußens zu stellen? in Jassy ein bequemes Local für die Herren Neigebaur, Wedeke oder Meusebach einzurichten? Wir dächten, es wäre Preu¬ ßens Sache, das zu verlangen. Warum schließt Preußen Verträge mit Oest¬ reich, die es in ein falsches Licht und in eine falsche Stellung zur öffentlichen Meinung bringen? Oestreich hat seine Forderungen so bestimmt, als unter den gegenwärtigen Umständen möglich ist, formulirt; warum thut Preußen nicht dasselbe? Warum erklärt es uicht den östreichischen Staatsmännern: die Revision des Vertrags mit Rußland vom 3. Mai 181», die Revision des Londoner Protokolls, die Regulirung der Cvnsulatverhältnisse in den Donau- fürstenthümern und die Revision der Sundzollverträge sind die Bedingungen, .unter denen Preußen eine Theilnahme an dem Vorgehen Oestreichs verheißt, und zu deren Unterstützung sich Oestreich vertragsmäßig verpflichten muß, be¬ vor Preußen sich auf irgendetwas Weiteres einläßt? Soweit wir die Sach¬ lage übersehen, wird Oestreich diesen gerechten und gemäßigten Anforderungen seine Mitwirkung nicht versagen. Sollte das aber dennoch wider Erwarten der Fall sein, so ist alsdann Preußen in der Lage, seinerseits an die öffent¬ liche Meinung zu appelliren; es würde sich dann herausstellen, daß Oestreichs Sache mit der deutschen Sache nicht zusammenfällt, und die Hegemonie über die deutschen Staaten, die dem Unentschlossenen gewiß nicht in den Schoß fallen wird, würde dann keine Frage mehr sein. Solange das aber nicht ge¬ schehen ist, haben die Vertheidiger der preußischen Negierung durchaus kein Recht, Oestreichs Aufrichtigkeit den deutschen Interessen gegenüber zu be¬ zweifeln. Die Sache hätte schon längst geordnet sein können, wenn nicht Preußen den Fortschritt der Begebenheiten geflissentlich retardirt hätte. Allein es ist noch immer nicht zu spät. Noch immer, und darin stimmen wir mit dem Ver¬ fasser jener Broschüre überein, ist Preußen verhältnißmäßig in einer günstigen Lage; noch immer kann es für seine Mitwirkung gegen Nußland einen hohen Preis beanspruchen. Wir halten zu diesem Zweck eine totale Umgestaltung des preußischen Ministeriums nicht einmal für nothwendig. Nothwendig wäre nur die Entfernung der notorischen Anhänger Rußlands aus den höchsten Stellen, namentlich im Kriegsdepartement. Wir müssen immer dabei stehen bleiben, daß Preußens Bündniß im't Nuß-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/15>, abgerufen am 26.05.2024.