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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Brille, das Teleskop, das Mikroskop u. s. w. fangen an, sich zu regen und zu
sprechen, beginnen ein phantastisches Leben, in welchem sich deutsche Marchen-
phantasie alsbald heimisch sühlt.

Es ist um so natürlicher, daß ein deutscher Poet sich von diesen Dich¬
tungen angezogen fühlte und eine große Auswahl derselben in deutscher Be¬
arbeitung wiederzugeben versuchte. Ludwig Pfaus Uebersetzung steht dem Ori¬
ginale in nichts nach und oft müssen wir der deutschen Bearbeitung den Vor¬
zug vor dem französischen Vorbilde geben. Wir lassen hier ein Beispiel folgen,
das uns der Uebersetzer aus seiner Sammlung herauszunehmen gestattete. Es
soll einen Beleg für die Richtigkeit unsres Urtheils über Lachambeauvie und
seinen Uebersetzer abgeben.

' Das Teleskop und das Mikroskop.
Das Teleskop schob sich einst weit heraus
Aus seinem Messinghaus
Und sprach zum Mikroskop stolz ausgebreitet:
"Du Gegenfüßler schau und staun mich an;
Ich zeig die Sonnen aus geschwungner Bahn
Dem Himmelssorscher, den mein Aug begleitet.
Und das Gesetz, das mit verborgner Hand
Den stillen Gang der ewgen Sterne leitet,
Ich lehr es ihn. Dn siehst indeß, du Zwerg,
Im Wassertropfen einen Ocean;
Die Mücke ist für dich ein Elephant,
Und aus dem Sandkorn machst du einen Berg.
Mit mir dich messen wär Vermessenheit,
Dein Amt ist neben mir ganz ohne Wichtigkeit."
"Für einen Forscher," sprach das Mikroskop:
"Bist du verwunderlich; durch Größe oder Stelle
Verleitet ihn kein Ding zu Tadel oder Lob.
Ein jedes Wesen traut am ewgen Schöpfungsquelle
Die Flut der Harmonie, des Lebens reine Welle;
Das kleinste ist an großen Wundern reich,
Das Sandkorn baut die Berge und die Dome.
Mein ist die Erde, dein das Himmelreich,
Miss du die Sonnen, lass mir die Atome:
Glaub, vor der Mutter sind die Kinder alle gleich."

Wir wollen mit einigen Andeutungen auf die Persönlichkeit des französi¬
schen Fabeldichters schließen, für den wir das Interesse des deutschen Lesers
durch diese Zeilen zu erwecken suchen.

Lachambeaudie ist ein sehr populärer Name in Frankreich, er ist selbst ein Kind
des Volkes und so werben seine Dichtungen vorzüglich vom Volke geliebt. Er


Brille, das Teleskop, das Mikroskop u. s. w. fangen an, sich zu regen und zu
sprechen, beginnen ein phantastisches Leben, in welchem sich deutsche Marchen-
phantasie alsbald heimisch sühlt.

Es ist um so natürlicher, daß ein deutscher Poet sich von diesen Dich¬
tungen angezogen fühlte und eine große Auswahl derselben in deutscher Be¬
arbeitung wiederzugeben versuchte. Ludwig Pfaus Uebersetzung steht dem Ori¬
ginale in nichts nach und oft müssen wir der deutschen Bearbeitung den Vor¬
zug vor dem französischen Vorbilde geben. Wir lassen hier ein Beispiel folgen,
das uns der Uebersetzer aus seiner Sammlung herauszunehmen gestattete. Es
soll einen Beleg für die Richtigkeit unsres Urtheils über Lachambeauvie und
seinen Uebersetzer abgeben.

' Das Teleskop und das Mikroskop.
Das Teleskop schob sich einst weit heraus
Aus seinem Messinghaus
Und sprach zum Mikroskop stolz ausgebreitet:
„Du Gegenfüßler schau und staun mich an;
Ich zeig die Sonnen aus geschwungner Bahn
Dem Himmelssorscher, den mein Aug begleitet.
Und das Gesetz, das mit verborgner Hand
Den stillen Gang der ewgen Sterne leitet,
Ich lehr es ihn. Dn siehst indeß, du Zwerg,
Im Wassertropfen einen Ocean;
Die Mücke ist für dich ein Elephant,
Und aus dem Sandkorn machst du einen Berg.
Mit mir dich messen wär Vermessenheit,
Dein Amt ist neben mir ganz ohne Wichtigkeit."
„Für einen Forscher," sprach das Mikroskop:
„Bist du verwunderlich; durch Größe oder Stelle
Verleitet ihn kein Ding zu Tadel oder Lob.
Ein jedes Wesen traut am ewgen Schöpfungsquelle
Die Flut der Harmonie, des Lebens reine Welle;
Das kleinste ist an großen Wundern reich,
Das Sandkorn baut die Berge und die Dome.
Mein ist die Erde, dein das Himmelreich,
Miss du die Sonnen, lass mir die Atome:
Glaub, vor der Mutter sind die Kinder alle gleich."

Wir wollen mit einigen Andeutungen auf die Persönlichkeit des französi¬
schen Fabeldichters schließen, für den wir das Interesse des deutschen Lesers
durch diese Zeilen zu erwecken suchen.

Lachambeaudie ist ein sehr populärer Name in Frankreich, er ist selbst ein Kind
des Volkes und so werben seine Dichtungen vorzüglich vom Volke geliebt. Er


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[0202] Brille, das Teleskop, das Mikroskop u. s. w. fangen an, sich zu regen und zu sprechen, beginnen ein phantastisches Leben, in welchem sich deutsche Marchen- phantasie alsbald heimisch sühlt. Es ist um so natürlicher, daß ein deutscher Poet sich von diesen Dich¬ tungen angezogen fühlte und eine große Auswahl derselben in deutscher Be¬ arbeitung wiederzugeben versuchte. Ludwig Pfaus Uebersetzung steht dem Ori¬ ginale in nichts nach und oft müssen wir der deutschen Bearbeitung den Vor¬ zug vor dem französischen Vorbilde geben. Wir lassen hier ein Beispiel folgen, das uns der Uebersetzer aus seiner Sammlung herauszunehmen gestattete. Es soll einen Beleg für die Richtigkeit unsres Urtheils über Lachambeauvie und seinen Uebersetzer abgeben. ' Das Teleskop und das Mikroskop. Das Teleskop schob sich einst weit heraus Aus seinem Messinghaus Und sprach zum Mikroskop stolz ausgebreitet: „Du Gegenfüßler schau und staun mich an; Ich zeig die Sonnen aus geschwungner Bahn Dem Himmelssorscher, den mein Aug begleitet. Und das Gesetz, das mit verborgner Hand Den stillen Gang der ewgen Sterne leitet, Ich lehr es ihn. Dn siehst indeß, du Zwerg, Im Wassertropfen einen Ocean; Die Mücke ist für dich ein Elephant, Und aus dem Sandkorn machst du einen Berg. Mit mir dich messen wär Vermessenheit, Dein Amt ist neben mir ganz ohne Wichtigkeit." „Für einen Forscher," sprach das Mikroskop: „Bist du verwunderlich; durch Größe oder Stelle Verleitet ihn kein Ding zu Tadel oder Lob. Ein jedes Wesen traut am ewgen Schöpfungsquelle Die Flut der Harmonie, des Lebens reine Welle; Das kleinste ist an großen Wundern reich, Das Sandkorn baut die Berge und die Dome. Mein ist die Erde, dein das Himmelreich, Miss du die Sonnen, lass mir die Atome: Glaub, vor der Mutter sind die Kinder alle gleich." Wir wollen mit einigen Andeutungen auf die Persönlichkeit des französi¬ schen Fabeldichters schließen, für den wir das Interesse des deutschen Lesers durch diese Zeilen zu erwecken suchen. Lachambeaudie ist ein sehr populärer Name in Frankreich, er ist selbst ein Kind des Volkes und so werben seine Dichtungen vorzüglich vom Volke geliebt. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/202>, abgerufen am 17.06.2024.