Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegentritt, um ihr eine Seite des Verständnisses abzugewinnen. Das Grund¬
princip Schefers ist dem unsrigen durchaus entgegengesetzt; aber weil es sich
bei ihm in einer ungewöhnlichen Kraft und Fülle krystallisirt, so liegt in diesem
Studium des Fremdartigen zugleich ein gewisser Reiz. Der Pantheismus und
die Anbetung der sinnlichen Welt, zu dessen unermüdlichsten Aposteln Schefer
gehört, verdient wol, daß wir ihn einmal ernsthafter ins Auge fassen.

Unzweifelhaft lag in diesem Naturcultus eine innere Berechtigung gegen
das einseitige Moralprincip, in welchem unsre ältern Schriftsteller befangen
waren. Die Fülle der Erscheinungen mußte wieder in ihrem ganzen Umfang
gewürdigt werden, ehe man sie dem strengen Joch des Gesetzes unterwarf.
Goethe war der Prophet, der uns durch sein Evangelium der Natur von dem
äußern Zwang der Abstraction befreite, und an ihm, der bei der stärksten
Sinnlichkeit dennoch niemals dem Taumel verfiel, dürfen wir abmessen, was
seine Nachfolger gesündigt haben.'

Aus der Dürre des rationalistischen Christenthums, aus der pietistischen
Verkümmerung des deutschen Privatlebens, aus den düsteren Schreibstuben
unsrer Politik und Philosophie flüchtete sich der Dichter in seiner zweiten
Jugend in das Land, zu dem ihn eine lange Sehnsucht gezogen, in die Säu¬
lenhallen der griechischen Kunst, in den Kreis der heiteren griechischen Götter.
Er vertiefte sich in diese Bilder, um sein von dem nordischen Nebel umwölktes
Auge zu erquicken, aber er opferte diesem heidnischen Bilderdienst keineswegs
sein Gemüth. Wenn wir einzelne Verirrungen beiseitelassen, so hat die
Reinheit und Tiefe seiner Liebesempsindung nirgend einen wärmeren und inni¬
geren Ausdruck gefunden, als in seinen griechischen Elegien. Sein plastischer
Sinn bedürfte einer bestimmten Gestalt; unter dem vaterländischen Himmel
konnte er diese nicht finden, denn ein langes Siechthum hatte hier alles orga¬
nische Leben verkümmert. Aber die neuen Götterbilder, die er aus den Altar
hob, waren doch nur die verklärten Formen seiner eigensten individuellsten
Empfindung. Spinoza lehrte ihn die Natur als ein Ganzes auffassen, das
sich niemals widersprechen könne, wenn nicht ein anmaßendes Mißverständnis;
der Menschen einen Widerspruch hineinlegte, und die Resignation, mir der in
seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen sich vor dem Walten der
Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Anerkennung dieser Naturnoth-
^endigten, in welcher der Schmerz nur> eine Erscheinung ist. Seine eignen
Untersuchungen Aber die Wandlungen der Pflanzen und der Thiere, des Lichts
und der Materie, sowie seine künstlerischen Studien gaben ihm das sinnliche
für diese Anschauungen, und ein unvergleichlicher Freundesbund läuterte
zu einem sittlichen Gefühl.

haben anderwärts auseinandergesetzt, wie diese schöne, aber fremde
Pflanze des griechischen Lebens sich nur unter ganz besonders günstigen Be-


gegentritt, um ihr eine Seite des Verständnisses abzugewinnen. Das Grund¬
princip Schefers ist dem unsrigen durchaus entgegengesetzt; aber weil es sich
bei ihm in einer ungewöhnlichen Kraft und Fülle krystallisirt, so liegt in diesem
Studium des Fremdartigen zugleich ein gewisser Reiz. Der Pantheismus und
die Anbetung der sinnlichen Welt, zu dessen unermüdlichsten Aposteln Schefer
gehört, verdient wol, daß wir ihn einmal ernsthafter ins Auge fassen.

Unzweifelhaft lag in diesem Naturcultus eine innere Berechtigung gegen
das einseitige Moralprincip, in welchem unsre ältern Schriftsteller befangen
waren. Die Fülle der Erscheinungen mußte wieder in ihrem ganzen Umfang
gewürdigt werden, ehe man sie dem strengen Joch des Gesetzes unterwarf.
Goethe war der Prophet, der uns durch sein Evangelium der Natur von dem
äußern Zwang der Abstraction befreite, und an ihm, der bei der stärksten
Sinnlichkeit dennoch niemals dem Taumel verfiel, dürfen wir abmessen, was
seine Nachfolger gesündigt haben.'

Aus der Dürre des rationalistischen Christenthums, aus der pietistischen
Verkümmerung des deutschen Privatlebens, aus den düsteren Schreibstuben
unsrer Politik und Philosophie flüchtete sich der Dichter in seiner zweiten
Jugend in das Land, zu dem ihn eine lange Sehnsucht gezogen, in die Säu¬
lenhallen der griechischen Kunst, in den Kreis der heiteren griechischen Götter.
Er vertiefte sich in diese Bilder, um sein von dem nordischen Nebel umwölktes
Auge zu erquicken, aber er opferte diesem heidnischen Bilderdienst keineswegs
sein Gemüth. Wenn wir einzelne Verirrungen beiseitelassen, so hat die
Reinheit und Tiefe seiner Liebesempsindung nirgend einen wärmeren und inni¬
geren Ausdruck gefunden, als in seinen griechischen Elegien. Sein plastischer
Sinn bedürfte einer bestimmten Gestalt; unter dem vaterländischen Himmel
konnte er diese nicht finden, denn ein langes Siechthum hatte hier alles orga¬
nische Leben verkümmert. Aber die neuen Götterbilder, die er aus den Altar
hob, waren doch nur die verklärten Formen seiner eigensten individuellsten
Empfindung. Spinoza lehrte ihn die Natur als ein Ganzes auffassen, das
sich niemals widersprechen könne, wenn nicht ein anmaßendes Mißverständnis;
der Menschen einen Widerspruch hineinlegte, und die Resignation, mir der in
seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen sich vor dem Walten der
Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Anerkennung dieser Naturnoth-
^endigten, in welcher der Schmerz nur> eine Erscheinung ist. Seine eignen
Untersuchungen Aber die Wandlungen der Pflanzen und der Thiere, des Lichts
und der Materie, sowie seine künstlerischen Studien gaben ihm das sinnliche
für diese Anschauungen, und ein unvergleichlicher Freundesbund läuterte
zu einem sittlichen Gefühl.

haben anderwärts auseinandergesetzt, wie diese schöne, aber fremde
Pflanze des griechischen Lebens sich nur unter ganz besonders günstigen Be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98873"/>
          <p xml:id="ID_40" prev="#ID_39"> gegentritt, um ihr eine Seite des Verständnisses abzugewinnen. Das Grund¬<lb/>
princip Schefers ist dem unsrigen durchaus entgegengesetzt; aber weil es sich<lb/>
bei ihm in einer ungewöhnlichen Kraft und Fülle krystallisirt, so liegt in diesem<lb/>
Studium des Fremdartigen zugleich ein gewisser Reiz. Der Pantheismus und<lb/>
die Anbetung der sinnlichen Welt, zu dessen unermüdlichsten Aposteln Schefer<lb/>
gehört, verdient wol, daß wir ihn einmal ernsthafter ins Auge fassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41"> Unzweifelhaft lag in diesem Naturcultus eine innere Berechtigung gegen<lb/>
das einseitige Moralprincip, in welchem unsre ältern Schriftsteller befangen<lb/>
waren. Die Fülle der Erscheinungen mußte wieder in ihrem ganzen Umfang<lb/>
gewürdigt werden, ehe man sie dem strengen Joch des Gesetzes unterwarf.<lb/>
Goethe war der Prophet, der uns durch sein Evangelium der Natur von dem<lb/>
äußern Zwang der Abstraction befreite, und an ihm, der bei der stärksten<lb/>
Sinnlichkeit dennoch niemals dem Taumel verfiel, dürfen wir abmessen, was<lb/>
seine Nachfolger gesündigt haben.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42"> Aus der Dürre des rationalistischen Christenthums, aus der pietistischen<lb/>
Verkümmerung des deutschen Privatlebens, aus den düsteren Schreibstuben<lb/>
unsrer Politik und Philosophie flüchtete sich der Dichter in seiner zweiten<lb/>
Jugend in das Land, zu dem ihn eine lange Sehnsucht gezogen, in die Säu¬<lb/>
lenhallen der griechischen Kunst, in den Kreis der heiteren griechischen Götter.<lb/>
Er vertiefte sich in diese Bilder, um sein von dem nordischen Nebel umwölktes<lb/>
Auge zu erquicken, aber er opferte diesem heidnischen Bilderdienst keineswegs<lb/>
sein Gemüth. Wenn wir einzelne Verirrungen beiseitelassen, so hat die<lb/>
Reinheit und Tiefe seiner Liebesempsindung nirgend einen wärmeren und inni¬<lb/>
geren Ausdruck gefunden, als in seinen griechischen Elegien. Sein plastischer<lb/>
Sinn bedürfte einer bestimmten Gestalt; unter dem vaterländischen Himmel<lb/>
konnte er diese nicht finden, denn ein langes Siechthum hatte hier alles orga¬<lb/>
nische Leben verkümmert. Aber die neuen Götterbilder, die er aus den Altar<lb/>
hob, waren doch nur die verklärten Formen seiner eigensten individuellsten<lb/>
Empfindung. Spinoza lehrte ihn die Natur als ein Ganzes auffassen, das<lb/>
sich niemals widersprechen könne, wenn nicht ein anmaßendes Mißverständnis;<lb/>
der Menschen einen Widerspruch hineinlegte, und die Resignation, mir der in<lb/>
seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen sich vor dem Walten der<lb/>
Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Anerkennung dieser Naturnoth-<lb/>
^endigten, in welcher der Schmerz nur&gt; eine Erscheinung ist. Seine eignen<lb/>
Untersuchungen Aber die Wandlungen der Pflanzen und der Thiere, des Lichts<lb/>
und der Materie, sowie seine künstlerischen Studien gaben ihm das sinnliche<lb/>
für diese Anschauungen, und ein unvergleichlicher Freundesbund läuterte<lb/>
zu einem sittlichen Gefühl.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43" next="#ID_44"> haben anderwärts auseinandergesetzt, wie diese schöne, aber fremde<lb/>
Pflanze des griechischen Lebens sich nur unter ganz besonders günstigen Be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] gegentritt, um ihr eine Seite des Verständnisses abzugewinnen. Das Grund¬ princip Schefers ist dem unsrigen durchaus entgegengesetzt; aber weil es sich bei ihm in einer ungewöhnlichen Kraft und Fülle krystallisirt, so liegt in diesem Studium des Fremdartigen zugleich ein gewisser Reiz. Der Pantheismus und die Anbetung der sinnlichen Welt, zu dessen unermüdlichsten Aposteln Schefer gehört, verdient wol, daß wir ihn einmal ernsthafter ins Auge fassen. Unzweifelhaft lag in diesem Naturcultus eine innere Berechtigung gegen das einseitige Moralprincip, in welchem unsre ältern Schriftsteller befangen waren. Die Fülle der Erscheinungen mußte wieder in ihrem ganzen Umfang gewürdigt werden, ehe man sie dem strengen Joch des Gesetzes unterwarf. Goethe war der Prophet, der uns durch sein Evangelium der Natur von dem äußern Zwang der Abstraction befreite, und an ihm, der bei der stärksten Sinnlichkeit dennoch niemals dem Taumel verfiel, dürfen wir abmessen, was seine Nachfolger gesündigt haben.' Aus der Dürre des rationalistischen Christenthums, aus der pietistischen Verkümmerung des deutschen Privatlebens, aus den düsteren Schreibstuben unsrer Politik und Philosophie flüchtete sich der Dichter in seiner zweiten Jugend in das Land, zu dem ihn eine lange Sehnsucht gezogen, in die Säu¬ lenhallen der griechischen Kunst, in den Kreis der heiteren griechischen Götter. Er vertiefte sich in diese Bilder, um sein von dem nordischen Nebel umwölktes Auge zu erquicken, aber er opferte diesem heidnischen Bilderdienst keineswegs sein Gemüth. Wenn wir einzelne Verirrungen beiseitelassen, so hat die Reinheit und Tiefe seiner Liebesempsindung nirgend einen wärmeren und inni¬ geren Ausdruck gefunden, als in seinen griechischen Elegien. Sein plastischer Sinn bedürfte einer bestimmten Gestalt; unter dem vaterländischen Himmel konnte er diese nicht finden, denn ein langes Siechthum hatte hier alles orga¬ nische Leben verkümmert. Aber die neuen Götterbilder, die er aus den Altar hob, waren doch nur die verklärten Formen seiner eigensten individuellsten Empfindung. Spinoza lehrte ihn die Natur als ein Ganzes auffassen, das sich niemals widersprechen könne, wenn nicht ein anmaßendes Mißverständnis; der Menschen einen Widerspruch hineinlegte, und die Resignation, mir der in seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen sich vor dem Walten der Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Anerkennung dieser Naturnoth- ^endigten, in welcher der Schmerz nur> eine Erscheinung ist. Seine eignen Untersuchungen Aber die Wandlungen der Pflanzen und der Thiere, des Lichts und der Materie, sowie seine künstlerischen Studien gaben ihm das sinnliche für diese Anschauungen, und ein unvergleichlicher Freundesbund läuterte zu einem sittlichen Gefühl. haben anderwärts auseinandergesetzt, wie diese schöne, aber fremde Pflanze des griechischen Lebens sich nur unter ganz besonders günstigen Be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/21>, abgerufen am 26.05.2024.