Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dingungen behaupten konnte, wie sie augenblicklich vorübergehen mußte, sobald
der Sturm und Drang einer wilden Weltbewegung in das stille Heiligthum
der Kunst einbrach. Die heiteren, farbenreichen Götterbilder Griechenlands
zerflossen in jene dunklen Schattengestalten, wie sie uns die Pandora und die
Helena zeigt, und als nach dem Vorüberbrausen der feindlichen Dämonen der
Dichter erwachte, fühlte er sich fremd und unheimlich unter den Fratzenbildern
der nordischen Phantasie, die ihn in buntem Gedränge umgaukelten. Zum
Griechenthum konnte er nicht zurückkehren, denn eine solche Freistätte öffnet
sich nur einmal; darum war es eine Rettung für ihn, als man die orienta¬
lische Poesie entdeckte, und als in frischen Farben und Formen das Evangelium
der Sinnlichkeit von neuem verkündigt werden konnte.

"Diese mahomedanische Religion, Mythologie, Sitte", schreibt er im Mai
1820 an Zelter, "geben Raum einer Poesie, wie sie meinen Jahren ziemt.
Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Ueber¬
blick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erden¬
träumens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale ge¬
läutert, sich symbolisch auflösend, was will der Großpapa weiter?"

Dieses Geständniß müssen wir in Anschlag-bringen, wenn wir den "West¬
östlichen Divan" richtig würdigen wollen, der auf die Weiterentwicklung der
deutschen Poesie einen so unermeßlichen Einfluß ausgeübthat. Goethe gesteht
selbst an einer andern Stelle, daß'keins von diesen reizenden Suleikaliedem
mit seinem Gemüth innerlich verwachsen war, daß er sie alle als etwas Fremdes
betrachten durfte. In der That war auch die Weise seines Schaffens eine
seiner griechischen Periode ganz entgegengesetzte. In den griechischen Elegien
kleidete sich die unmittelbare individuelle Empfindung in die griechischen Formen,
im Westöstlichen Divan dagegen ist es die Reflexion und Maxime, die in den
fertigen Formen des Orients nach einer passenden Maske sucht. Der Divan
hat nur den Schein eines wirklichen Lebens; der Dichter geht vom Allgemeinen
zum Besondern aus, wie das die Weise des Alters ist, und diese Art des
Schaffens hat mit wenigen Ausnahmen die ganze moderne Lyrik nachgeahmt.

Leopold Schefer konnte sich in der Reihe dieser nachgebornen Dichter um
so unbefangener bewegen, da er sich über sein Schaffen keine Illusionen macht.
In seinen Gedichten finden wir kaum auch nur den Versuch, individuelles
Leben darzustellen; es ist bewußte und gewollte Poesie des Gedankens, in der
Weise, wie sie Schiller in den Göttern Griechenlands, in den Künstlern, im
Reich der Schatten und in den andern Gedichten ausgeübt hatte, die das
deutsche Volk mit einer Mischung von Schreck und Verwunderung anschaute,
ohne sich die Mühe zu geben, sie begreifen zu wollen. Aber der Inhalt ist
in beiden Dichtern ein entgegengesetzter. Schiller schreibt das Evangelium der
Freiheit, Schefer das Evangelium der Natur.


dingungen behaupten konnte, wie sie augenblicklich vorübergehen mußte, sobald
der Sturm und Drang einer wilden Weltbewegung in das stille Heiligthum
der Kunst einbrach. Die heiteren, farbenreichen Götterbilder Griechenlands
zerflossen in jene dunklen Schattengestalten, wie sie uns die Pandora und die
Helena zeigt, und als nach dem Vorüberbrausen der feindlichen Dämonen der
Dichter erwachte, fühlte er sich fremd und unheimlich unter den Fratzenbildern
der nordischen Phantasie, die ihn in buntem Gedränge umgaukelten. Zum
Griechenthum konnte er nicht zurückkehren, denn eine solche Freistätte öffnet
sich nur einmal; darum war es eine Rettung für ihn, als man die orienta¬
lische Poesie entdeckte, und als in frischen Farben und Formen das Evangelium
der Sinnlichkeit von neuem verkündigt werden konnte.

„Diese mahomedanische Religion, Mythologie, Sitte", schreibt er im Mai
1820 an Zelter, „geben Raum einer Poesie, wie sie meinen Jahren ziemt.
Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Ueber¬
blick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erden¬
träumens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale ge¬
läutert, sich symbolisch auflösend, was will der Großpapa weiter?"

Dieses Geständniß müssen wir in Anschlag-bringen, wenn wir den „West¬
östlichen Divan" richtig würdigen wollen, der auf die Weiterentwicklung der
deutschen Poesie einen so unermeßlichen Einfluß ausgeübthat. Goethe gesteht
selbst an einer andern Stelle, daß'keins von diesen reizenden Suleikaliedem
mit seinem Gemüth innerlich verwachsen war, daß er sie alle als etwas Fremdes
betrachten durfte. In der That war auch die Weise seines Schaffens eine
seiner griechischen Periode ganz entgegengesetzte. In den griechischen Elegien
kleidete sich die unmittelbare individuelle Empfindung in die griechischen Formen,
im Westöstlichen Divan dagegen ist es die Reflexion und Maxime, die in den
fertigen Formen des Orients nach einer passenden Maske sucht. Der Divan
hat nur den Schein eines wirklichen Lebens; der Dichter geht vom Allgemeinen
zum Besondern aus, wie das die Weise des Alters ist, und diese Art des
Schaffens hat mit wenigen Ausnahmen die ganze moderne Lyrik nachgeahmt.

Leopold Schefer konnte sich in der Reihe dieser nachgebornen Dichter um
so unbefangener bewegen, da er sich über sein Schaffen keine Illusionen macht.
In seinen Gedichten finden wir kaum auch nur den Versuch, individuelles
Leben darzustellen; es ist bewußte und gewollte Poesie des Gedankens, in der
Weise, wie sie Schiller in den Göttern Griechenlands, in den Künstlern, im
Reich der Schatten und in den andern Gedichten ausgeübt hatte, die das
deutsche Volk mit einer Mischung von Schreck und Verwunderung anschaute,
ohne sich die Mühe zu geben, sie begreifen zu wollen. Aber der Inhalt ist
in beiden Dichtern ein entgegengesetzter. Schiller schreibt das Evangelium der
Freiheit, Schefer das Evangelium der Natur.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98874"/>
          <p xml:id="ID_44" prev="#ID_43"> dingungen behaupten konnte, wie sie augenblicklich vorübergehen mußte, sobald<lb/>
der Sturm und Drang einer wilden Weltbewegung in das stille Heiligthum<lb/>
der Kunst einbrach. Die heiteren, farbenreichen Götterbilder Griechenlands<lb/>
zerflossen in jene dunklen Schattengestalten, wie sie uns die Pandora und die<lb/>
Helena zeigt, und als nach dem Vorüberbrausen der feindlichen Dämonen der<lb/>
Dichter erwachte, fühlte er sich fremd und unheimlich unter den Fratzenbildern<lb/>
der nordischen Phantasie, die ihn in buntem Gedränge umgaukelten. Zum<lb/>
Griechenthum konnte er nicht zurückkehren, denn eine solche Freistätte öffnet<lb/>
sich nur einmal; darum war es eine Rettung für ihn, als man die orienta¬<lb/>
lische Poesie entdeckte, und als in frischen Farben und Formen das Evangelium<lb/>
der Sinnlichkeit von neuem verkündigt werden konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45"> &#x201E;Diese mahomedanische Religion, Mythologie, Sitte", schreibt er im Mai<lb/>
1820 an Zelter, &#x201E;geben Raum einer Poesie, wie sie meinen Jahren ziemt.<lb/>
Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Ueber¬<lb/>
blick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erden¬<lb/>
träumens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale ge¬<lb/>
läutert, sich symbolisch auflösend, was will der Großpapa weiter?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_46"> Dieses Geständniß müssen wir in Anschlag-bringen, wenn wir den &#x201E;West¬<lb/>
östlichen Divan" richtig würdigen wollen, der auf die Weiterentwicklung der<lb/>
deutschen Poesie einen so unermeßlichen Einfluß ausgeübthat. Goethe gesteht<lb/>
selbst an einer andern Stelle, daß'keins von diesen reizenden Suleikaliedem<lb/>
mit seinem Gemüth innerlich verwachsen war, daß er sie alle als etwas Fremdes<lb/>
betrachten durfte. In der That war auch die Weise seines Schaffens eine<lb/>
seiner griechischen Periode ganz entgegengesetzte. In den griechischen Elegien<lb/>
kleidete sich die unmittelbare individuelle Empfindung in die griechischen Formen,<lb/>
im Westöstlichen Divan dagegen ist es die Reflexion und Maxime, die in den<lb/>
fertigen Formen des Orients nach einer passenden Maske sucht. Der Divan<lb/>
hat nur den Schein eines wirklichen Lebens; der Dichter geht vom Allgemeinen<lb/>
zum Besondern aus, wie das die Weise des Alters ist, und diese Art des<lb/>
Schaffens hat mit wenigen Ausnahmen die ganze moderne Lyrik nachgeahmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_47"> Leopold Schefer konnte sich in der Reihe dieser nachgebornen Dichter um<lb/>
so unbefangener bewegen, da er sich über sein Schaffen keine Illusionen macht.<lb/>
In seinen Gedichten finden wir kaum auch nur den Versuch, individuelles<lb/>
Leben darzustellen; es ist bewußte und gewollte Poesie des Gedankens, in der<lb/>
Weise, wie sie Schiller in den Göttern Griechenlands, in den Künstlern, im<lb/>
Reich der Schatten und in den andern Gedichten ausgeübt hatte, die das<lb/>
deutsche Volk mit einer Mischung von Schreck und Verwunderung anschaute,<lb/>
ohne sich die Mühe zu geben, sie begreifen zu wollen. Aber der Inhalt ist<lb/>
in beiden Dichtern ein entgegengesetzter. Schiller schreibt das Evangelium der<lb/>
Freiheit, Schefer das Evangelium der Natur.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] dingungen behaupten konnte, wie sie augenblicklich vorübergehen mußte, sobald der Sturm und Drang einer wilden Weltbewegung in das stille Heiligthum der Kunst einbrach. Die heiteren, farbenreichen Götterbilder Griechenlands zerflossen in jene dunklen Schattengestalten, wie sie uns die Pandora und die Helena zeigt, und als nach dem Vorüberbrausen der feindlichen Dämonen der Dichter erwachte, fühlte er sich fremd und unheimlich unter den Fratzenbildern der nordischen Phantasie, die ihn in buntem Gedränge umgaukelten. Zum Griechenthum konnte er nicht zurückkehren, denn eine solche Freistätte öffnet sich nur einmal; darum war es eine Rettung für ihn, als man die orienta¬ lische Poesie entdeckte, und als in frischen Farben und Formen das Evangelium der Sinnlichkeit von neuem verkündigt werden konnte. „Diese mahomedanische Religion, Mythologie, Sitte", schreibt er im Mai 1820 an Zelter, „geben Raum einer Poesie, wie sie meinen Jahren ziemt. Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Ueber¬ blick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erden¬ träumens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale ge¬ läutert, sich symbolisch auflösend, was will der Großpapa weiter?" Dieses Geständniß müssen wir in Anschlag-bringen, wenn wir den „West¬ östlichen Divan" richtig würdigen wollen, der auf die Weiterentwicklung der deutschen Poesie einen so unermeßlichen Einfluß ausgeübthat. Goethe gesteht selbst an einer andern Stelle, daß'keins von diesen reizenden Suleikaliedem mit seinem Gemüth innerlich verwachsen war, daß er sie alle als etwas Fremdes betrachten durfte. In der That war auch die Weise seines Schaffens eine seiner griechischen Periode ganz entgegengesetzte. In den griechischen Elegien kleidete sich die unmittelbare individuelle Empfindung in die griechischen Formen, im Westöstlichen Divan dagegen ist es die Reflexion und Maxime, die in den fertigen Formen des Orients nach einer passenden Maske sucht. Der Divan hat nur den Schein eines wirklichen Lebens; der Dichter geht vom Allgemeinen zum Besondern aus, wie das die Weise des Alters ist, und diese Art des Schaffens hat mit wenigen Ausnahmen die ganze moderne Lyrik nachgeahmt. Leopold Schefer konnte sich in der Reihe dieser nachgebornen Dichter um so unbefangener bewegen, da er sich über sein Schaffen keine Illusionen macht. In seinen Gedichten finden wir kaum auch nur den Versuch, individuelles Leben darzustellen; es ist bewußte und gewollte Poesie des Gedankens, in der Weise, wie sie Schiller in den Göttern Griechenlands, in den Künstlern, im Reich der Schatten und in den andern Gedichten ausgeübt hatte, die das deutsche Volk mit einer Mischung von Schreck und Verwunderung anschaute, ohne sich die Mühe zu geben, sie begreifen zu wollen. Aber der Inhalt ist in beiden Dichtern ein entgegengesetzter. Schiller schreibt das Evangelium der Freiheit, Schefer das Evangelium der Natur.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/22>, abgerufen am 26.05.2024.