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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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während der Mann eben nur seinen Geschäften nachgeht, dafür jedoch in den
Feierstunden auch vollkommen feiert, gibt wol dem ganzen Leben jenen an¬
muthigen Anhauch, welcher die kleinen ungewohnten Ecken sobald vergessen
läßt. Mit dem ganzen Norden theilt Finnland die schöne Gastfreundschaft;
aber der Fremde wird sich schwerlich irgendwo so vollkommen heimisch behagen,
als in einem gastfreien finnischen Hause.

Daß bei einem so entschieden nach dem Innern gewendeten Leben die
eigentliche Hausgeselligkeit auch ziemlich streng in ihren Forderungen an die
Bekannten der Familie ist, bedarf eigentlich kaum der Erwähnung. Eine ver¬
säumte Gratulations- oder Condolenzvisite wird nicht so leicht vergessen; und
> wer nach einer Gesellschaft die Dankvisite verzögert, gilt für einen ausgemachten
Grobian. Indessen leistet man hinsichtlich dieser Etikettenstrenge auch in Deutsch¬
land Erstaunliches und erleichtert dem Besucher seine Pflichterfüllung keines¬
wegs gleichermaßen wie in Finnland. Dort hängt nämlich vor jeder Thür
eine I.aclg, t"r visit-Kork, in welche die Visitenkarte im Vorübergehen geworfen
wird; und damit ists abgethan.

Es ist nur wie zur Vertheidigung, des eigenthümlichen Wesens gegen die
Ueberfluthung durch Fremdes, daß solche Förmlichkeiten grade dort am strengsten
beobachtet werden, wo das Russische sich der Herrschaft bemächtigt. Solch eine
Grenzbreite ist aber Helsingfors. So hängt es auch damit zusammen, daß sich
die Gesellschaft in eine ganze Menge von enggeschlossenen Kreisen und Kreischen
abcirkelt, deren gegenseitiger Zusammenhang sich nicht weiter als auf einen
Gruß beim Begegnen an öffentlichen Orten erstreckt. Aber selbst diese öffentlichen
Gesellschaften sind keineswegs allgemein, sondern umfassen fast immer blos
ven einen oder den andern Theil der Gesellschaft. Für die vornehmern Nüssen,
besonders Russinnen, ist das Durchwandern der Kaufläden am Hafen in den
Mittagsstunden das eigentliche Rendezvous; den gesellschaftlichen Vereinigungs¬
punkt der Fremden und Seebadegäste bildet ein kolossales Sociätet-Hus, welches
von der Regierung gebaut und mit allem Lurus der Couversationshäuser in
großen Badeorten ausgestattet ist. Charakteristisch erscheint es nun, daß die
hier heimischen Russen, die Offiziere und Beamten das Societätshaus ebenfalls
zahlreich besuchen, während der eigentliche Helsingforser nur bis zu dem Boule¬
vard vordringt, der vom Hafen zum Theater läuft. Mit den Fremden würde
er wol gern verkehren -- das beweist die Gastfreundschaft gegen ihn -- aber
vom Verkehr im Hafenquartier scheucht ihn das Uebergewicht des Petersburger
Elements zurück.

In gewisser Art erkennt man diese gegenseitige Abstoßung auch im Theater.
Früher, als Helstngfors äußerlich viel weniger elegant, doch auch viel weniger
überschwemmt von Petersburger Elementen war, bestand nur ein dunkles,
enges Schauspielhaus. Aber die Gesellschaft, welche gewöhnlich einen Theil


während der Mann eben nur seinen Geschäften nachgeht, dafür jedoch in den
Feierstunden auch vollkommen feiert, gibt wol dem ganzen Leben jenen an¬
muthigen Anhauch, welcher die kleinen ungewohnten Ecken sobald vergessen
läßt. Mit dem ganzen Norden theilt Finnland die schöne Gastfreundschaft;
aber der Fremde wird sich schwerlich irgendwo so vollkommen heimisch behagen,
als in einem gastfreien finnischen Hause.

Daß bei einem so entschieden nach dem Innern gewendeten Leben die
eigentliche Hausgeselligkeit auch ziemlich streng in ihren Forderungen an die
Bekannten der Familie ist, bedarf eigentlich kaum der Erwähnung. Eine ver¬
säumte Gratulations- oder Condolenzvisite wird nicht so leicht vergessen; und
> wer nach einer Gesellschaft die Dankvisite verzögert, gilt für einen ausgemachten
Grobian. Indessen leistet man hinsichtlich dieser Etikettenstrenge auch in Deutsch¬
land Erstaunliches und erleichtert dem Besucher seine Pflichterfüllung keines¬
wegs gleichermaßen wie in Finnland. Dort hängt nämlich vor jeder Thür
eine I.aclg, t»r visit-Kork, in welche die Visitenkarte im Vorübergehen geworfen
wird; und damit ists abgethan.

Es ist nur wie zur Vertheidigung, des eigenthümlichen Wesens gegen die
Ueberfluthung durch Fremdes, daß solche Förmlichkeiten grade dort am strengsten
beobachtet werden, wo das Russische sich der Herrschaft bemächtigt. Solch eine
Grenzbreite ist aber Helsingfors. So hängt es auch damit zusammen, daß sich
die Gesellschaft in eine ganze Menge von enggeschlossenen Kreisen und Kreischen
abcirkelt, deren gegenseitiger Zusammenhang sich nicht weiter als auf einen
Gruß beim Begegnen an öffentlichen Orten erstreckt. Aber selbst diese öffentlichen
Gesellschaften sind keineswegs allgemein, sondern umfassen fast immer blos
ven einen oder den andern Theil der Gesellschaft. Für die vornehmern Nüssen,
besonders Russinnen, ist das Durchwandern der Kaufläden am Hafen in den
Mittagsstunden das eigentliche Rendezvous; den gesellschaftlichen Vereinigungs¬
punkt der Fremden und Seebadegäste bildet ein kolossales Sociätet-Hus, welches
von der Regierung gebaut und mit allem Lurus der Couversationshäuser in
großen Badeorten ausgestattet ist. Charakteristisch erscheint es nun, daß die
hier heimischen Russen, die Offiziere und Beamten das Societätshaus ebenfalls
zahlreich besuchen, während der eigentliche Helsingforser nur bis zu dem Boule¬
vard vordringt, der vom Hafen zum Theater läuft. Mit den Fremden würde
er wol gern verkehren — das beweist die Gastfreundschaft gegen ihn — aber
vom Verkehr im Hafenquartier scheucht ihn das Uebergewicht des Petersburger
Elements zurück.

In gewisser Art erkennt man diese gegenseitige Abstoßung auch im Theater.
Früher, als Helstngfors äußerlich viel weniger elegant, doch auch viel weniger
überschwemmt von Petersburger Elementen war, bestand nur ein dunkles,
enges Schauspielhaus. Aber die Gesellschaft, welche gewöhnlich einen Theil


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[0216] während der Mann eben nur seinen Geschäften nachgeht, dafür jedoch in den Feierstunden auch vollkommen feiert, gibt wol dem ganzen Leben jenen an¬ muthigen Anhauch, welcher die kleinen ungewohnten Ecken sobald vergessen läßt. Mit dem ganzen Norden theilt Finnland die schöne Gastfreundschaft; aber der Fremde wird sich schwerlich irgendwo so vollkommen heimisch behagen, als in einem gastfreien finnischen Hause. Daß bei einem so entschieden nach dem Innern gewendeten Leben die eigentliche Hausgeselligkeit auch ziemlich streng in ihren Forderungen an die Bekannten der Familie ist, bedarf eigentlich kaum der Erwähnung. Eine ver¬ säumte Gratulations- oder Condolenzvisite wird nicht so leicht vergessen; und > wer nach einer Gesellschaft die Dankvisite verzögert, gilt für einen ausgemachten Grobian. Indessen leistet man hinsichtlich dieser Etikettenstrenge auch in Deutsch¬ land Erstaunliches und erleichtert dem Besucher seine Pflichterfüllung keines¬ wegs gleichermaßen wie in Finnland. Dort hängt nämlich vor jeder Thür eine I.aclg, t»r visit-Kork, in welche die Visitenkarte im Vorübergehen geworfen wird; und damit ists abgethan. Es ist nur wie zur Vertheidigung, des eigenthümlichen Wesens gegen die Ueberfluthung durch Fremdes, daß solche Förmlichkeiten grade dort am strengsten beobachtet werden, wo das Russische sich der Herrschaft bemächtigt. Solch eine Grenzbreite ist aber Helsingfors. So hängt es auch damit zusammen, daß sich die Gesellschaft in eine ganze Menge von enggeschlossenen Kreisen und Kreischen abcirkelt, deren gegenseitiger Zusammenhang sich nicht weiter als auf einen Gruß beim Begegnen an öffentlichen Orten erstreckt. Aber selbst diese öffentlichen Gesellschaften sind keineswegs allgemein, sondern umfassen fast immer blos ven einen oder den andern Theil der Gesellschaft. Für die vornehmern Nüssen, besonders Russinnen, ist das Durchwandern der Kaufläden am Hafen in den Mittagsstunden das eigentliche Rendezvous; den gesellschaftlichen Vereinigungs¬ punkt der Fremden und Seebadegäste bildet ein kolossales Sociätet-Hus, welches von der Regierung gebaut und mit allem Lurus der Couversationshäuser in großen Badeorten ausgestattet ist. Charakteristisch erscheint es nun, daß die hier heimischen Russen, die Offiziere und Beamten das Societätshaus ebenfalls zahlreich besuchen, während der eigentliche Helsingforser nur bis zu dem Boule¬ vard vordringt, der vom Hafen zum Theater läuft. Mit den Fremden würde er wol gern verkehren — das beweist die Gastfreundschaft gegen ihn — aber vom Verkehr im Hafenquartier scheucht ihn das Uebergewicht des Petersburger Elements zurück. In gewisser Art erkennt man diese gegenseitige Abstoßung auch im Theater. Früher, als Helstngfors äußerlich viel weniger elegant, doch auch viel weniger überschwemmt von Petersburger Elementen war, bestand nur ein dunkles, enges Schauspielhaus. Aber die Gesellschaft, welche gewöhnlich einen Theil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/216>, abgerufen am 17.06.2024.