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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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gürtet um den Hafen legte, brannte es zum zweiten Male (1761) ab; und in
dem Momente, als der Frieden zu Frederikshavn seine russische Zukunft fest¬
stellte, sogar zum dritten Male.

Da ists nun russisch wieder auferstanden. Nur landeinwärts ziehen sich
noch Quartiere alten finnischen Gepräges; krumm, winklig, die langgestreckten
Gebäude von Holz, rothbraun vom Theeranstrich, schmucklos anzusehen, aber
glänzend von Sauberkeit. Hier ists noch weit stiller als im Hafenquarticr,
hier sind die Kaufläden seltner und schmuckloser als dort, hier klappert blos
der Webstuhl auf die Straße heraus und nur an Markttagen versperren die
einspännigen zweirädrigen Kästen mit den fahlgrauen schweren Bauerpferden
die Passage. Aber hier in ein Haus zu treten, verlohnt wohl der Mühe.

Es gelingt leicht. Der Kaufmann, bei dem ihr ein paar Mal eingetreten
seid, behandelt euch rasch als alten Bekannten. Russisch spricht er nicht, aber
deutsch und schwedisch, auch finnisch; sein gewöhnlicher Umgangsjargon ist ein
seltsames Gemisch aus allen drei Sprachen. Es ist überhaupt seltsam, daß die
Finnländer, sonst so zäh in Sitten, Gewohnheiten und Glauben, grade an
ihrer schönen Ursprache nur mehr im Innern des Landes unverbrüchlich fest¬
halten. Fester blieben sie dagegen bis zu den höhern Ständen hinauf in
Sitteneinfachheil und jener strengen Sparsamkeit, durch die allein jene ver¬
hältnißmäßig allgemeine Wohlhabenheit ermöglicht ward, die auch im Flach¬
land segnend wirkt und Cultur und Gesittung als schönes Eigenthum Finn¬
lands errang. Es paßt in diesen Charakter, daß der Kaufmann nicht im
Auslegefenster mit seinen edelsten Waaren lockt, sondern diese nur dem nach¬
fragenden Käufer, dann aber in vorzüglicher Güte und mit festen Preisen dar¬
bietet. Das grüne Taumeln eisig, womit Hausflur, Arbeitsstätte und Wohn¬
stube bestreut ist, verhüllt keinen unsauberen Fußboden, sondern duftet auf
glänzendweißer Diele erfrischend durch das ganze Haus. Von prächtigen
Meubles, goldgerahmten Spiegeln, schwellenden Polstern zeigt die Einrichtung
nichts. Aber der weite Schaukelstuhl am großen Mauerofeu fehlt nicht und
die einfach gebohrten Truhen und Schränke sind überfüllt mit solidem Haus¬
rath. Durch das ganze Haus geht dabei ein stiller wohlgeordneter Geist, wie
man ihm schon in den alten Bürgerhäusern Revals begegnete. Man möchte
ihn holländisch-schwedisch nennen. Die Frauen sieht man hier noch seltener
auf der Straße als dort; dagegen sind sie im Hause behaglicher und zutraulicher,
unbefangener und natürlicher, dabei sehr häufig von auffallender Schönheit.
Aber freilich behagts dem modernen Weltkind wenig, einer Rang- und StandeS-
verehrung zu begegnen, die in ihren Formen und Aeußerungen weit in das
vorige Jahrhundert zurückreicht und die Etikette unsrer abgelegensten Land¬
städtchen an Strenge und Steife weit übertrifft. Männliche Bedienung gibt
es kaum. Und dies durchgängige Walten des weiblichen Elements im Hause,


gürtet um den Hafen legte, brannte es zum zweiten Male (1761) ab; und in
dem Momente, als der Frieden zu Frederikshavn seine russische Zukunft fest¬
stellte, sogar zum dritten Male.

Da ists nun russisch wieder auferstanden. Nur landeinwärts ziehen sich
noch Quartiere alten finnischen Gepräges; krumm, winklig, die langgestreckten
Gebäude von Holz, rothbraun vom Theeranstrich, schmucklos anzusehen, aber
glänzend von Sauberkeit. Hier ists noch weit stiller als im Hafenquarticr,
hier sind die Kaufläden seltner und schmuckloser als dort, hier klappert blos
der Webstuhl auf die Straße heraus und nur an Markttagen versperren die
einspännigen zweirädrigen Kästen mit den fahlgrauen schweren Bauerpferden
die Passage. Aber hier in ein Haus zu treten, verlohnt wohl der Mühe.

Es gelingt leicht. Der Kaufmann, bei dem ihr ein paar Mal eingetreten
seid, behandelt euch rasch als alten Bekannten. Russisch spricht er nicht, aber
deutsch und schwedisch, auch finnisch; sein gewöhnlicher Umgangsjargon ist ein
seltsames Gemisch aus allen drei Sprachen. Es ist überhaupt seltsam, daß die
Finnländer, sonst so zäh in Sitten, Gewohnheiten und Glauben, grade an
ihrer schönen Ursprache nur mehr im Innern des Landes unverbrüchlich fest¬
halten. Fester blieben sie dagegen bis zu den höhern Ständen hinauf in
Sitteneinfachheil und jener strengen Sparsamkeit, durch die allein jene ver¬
hältnißmäßig allgemeine Wohlhabenheit ermöglicht ward, die auch im Flach¬
land segnend wirkt und Cultur und Gesittung als schönes Eigenthum Finn¬
lands errang. Es paßt in diesen Charakter, daß der Kaufmann nicht im
Auslegefenster mit seinen edelsten Waaren lockt, sondern diese nur dem nach¬
fragenden Käufer, dann aber in vorzüglicher Güte und mit festen Preisen dar¬
bietet. Das grüne Taumeln eisig, womit Hausflur, Arbeitsstätte und Wohn¬
stube bestreut ist, verhüllt keinen unsauberen Fußboden, sondern duftet auf
glänzendweißer Diele erfrischend durch das ganze Haus. Von prächtigen
Meubles, goldgerahmten Spiegeln, schwellenden Polstern zeigt die Einrichtung
nichts. Aber der weite Schaukelstuhl am großen Mauerofeu fehlt nicht und
die einfach gebohrten Truhen und Schränke sind überfüllt mit solidem Haus¬
rath. Durch das ganze Haus geht dabei ein stiller wohlgeordneter Geist, wie
man ihm schon in den alten Bürgerhäusern Revals begegnete. Man möchte
ihn holländisch-schwedisch nennen. Die Frauen sieht man hier noch seltener
auf der Straße als dort; dagegen sind sie im Hause behaglicher und zutraulicher,
unbefangener und natürlicher, dabei sehr häufig von auffallender Schönheit.
Aber freilich behagts dem modernen Weltkind wenig, einer Rang- und StandeS-
verehrung zu begegnen, die in ihren Formen und Aeußerungen weit in das
vorige Jahrhundert zurückreicht und die Etikette unsrer abgelegensten Land¬
städtchen an Strenge und Steife weit übertrifft. Männliche Bedienung gibt
es kaum. Und dies durchgängige Walten des weiblichen Elements im Hause,


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[0215] gürtet um den Hafen legte, brannte es zum zweiten Male (1761) ab; und in dem Momente, als der Frieden zu Frederikshavn seine russische Zukunft fest¬ stellte, sogar zum dritten Male. Da ists nun russisch wieder auferstanden. Nur landeinwärts ziehen sich noch Quartiere alten finnischen Gepräges; krumm, winklig, die langgestreckten Gebäude von Holz, rothbraun vom Theeranstrich, schmucklos anzusehen, aber glänzend von Sauberkeit. Hier ists noch weit stiller als im Hafenquarticr, hier sind die Kaufläden seltner und schmuckloser als dort, hier klappert blos der Webstuhl auf die Straße heraus und nur an Markttagen versperren die einspännigen zweirädrigen Kästen mit den fahlgrauen schweren Bauerpferden die Passage. Aber hier in ein Haus zu treten, verlohnt wohl der Mühe. Es gelingt leicht. Der Kaufmann, bei dem ihr ein paar Mal eingetreten seid, behandelt euch rasch als alten Bekannten. Russisch spricht er nicht, aber deutsch und schwedisch, auch finnisch; sein gewöhnlicher Umgangsjargon ist ein seltsames Gemisch aus allen drei Sprachen. Es ist überhaupt seltsam, daß die Finnländer, sonst so zäh in Sitten, Gewohnheiten und Glauben, grade an ihrer schönen Ursprache nur mehr im Innern des Landes unverbrüchlich fest¬ halten. Fester blieben sie dagegen bis zu den höhern Ständen hinauf in Sitteneinfachheil und jener strengen Sparsamkeit, durch die allein jene ver¬ hältnißmäßig allgemeine Wohlhabenheit ermöglicht ward, die auch im Flach¬ land segnend wirkt und Cultur und Gesittung als schönes Eigenthum Finn¬ lands errang. Es paßt in diesen Charakter, daß der Kaufmann nicht im Auslegefenster mit seinen edelsten Waaren lockt, sondern diese nur dem nach¬ fragenden Käufer, dann aber in vorzüglicher Güte und mit festen Preisen dar¬ bietet. Das grüne Taumeln eisig, womit Hausflur, Arbeitsstätte und Wohn¬ stube bestreut ist, verhüllt keinen unsauberen Fußboden, sondern duftet auf glänzendweißer Diele erfrischend durch das ganze Haus. Von prächtigen Meubles, goldgerahmten Spiegeln, schwellenden Polstern zeigt die Einrichtung nichts. Aber der weite Schaukelstuhl am großen Mauerofeu fehlt nicht und die einfach gebohrten Truhen und Schränke sind überfüllt mit solidem Haus¬ rath. Durch das ganze Haus geht dabei ein stiller wohlgeordneter Geist, wie man ihm schon in den alten Bürgerhäusern Revals begegnete. Man möchte ihn holländisch-schwedisch nennen. Die Frauen sieht man hier noch seltener auf der Straße als dort; dagegen sind sie im Hause behaglicher und zutraulicher, unbefangener und natürlicher, dabei sehr häufig von auffallender Schönheit. Aber freilich behagts dem modernen Weltkind wenig, einer Rang- und StandeS- verehrung zu begegnen, die in ihren Formen und Aeußerungen weit in das vorige Jahrhundert zurückreicht und die Etikette unsrer abgelegensten Land¬ städtchen an Strenge und Steife weit übertrifft. Männliche Bedienung gibt es kaum. Und dies durchgängige Walten des weiblichen Elements im Hause,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/215>, abgerufen am 17.06.2024.