Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schreibt: n'al pas w gon," so erklärt dies ihre beispiellose Wohlthätigkeit.
Mit dem Verstände rechnet unsre Schriftstellerin wie der beste Buchhalter,
aber im Angesichte der leidenden Armuth vergißt sie dieses positive Talent,
sie gibt solange sie hat und in außerordentlichen Fällen mehr als sie hat.

Wieweit weg reißt uns dieses Bild von den Leuen, die man als Con-
terfei von Georges Sand nach allen Gegenden der gebildeten Welt verschickt
hat. Ihre äußere Erscheinung entspricht ebensowenig der Vorstellung, die man
sich gewöhnlich von ihr macht, trotz vieler wohlgetroffener Bildnisse, die vor¬
handen sind. Georges Sand ist eine Frau von kleiner wohlbeleibter Gestalt.
Ihr schwarzes Haar liegt einfach und glatt gescheitelt um die hohe und breite
Stirn, die noch jetzt ohne Falten und klar wie der Spiegel der ruhigen See
ist. Ihr großes Auge blickt mit dem Ausdrucke melancholischer Sanftmuth,
bescheidener Weiblichkeit und man muß mit Vertrauen und Sympathie auf
diesen Blick antworten. Ihre Nase ist etwas groß, sie verleiht ihrem Gesichte
etwas Männliches, das aber durch den mit Grazie, lächelnden Mund, mehr
noch durch das weiche, melodische, mütterlich Klingende ihrer Stimme gemildert
wird. Das Gesicht ist von länglicher'Form und macht den Eindruck großer
Gutmüthigkeit, aber die gewaltigen Schläfe bekunden den mächtigen Gedanken,
der in diesem Kopfe arbeitet. Georges Sand spricht sich selbst Aehnlichkeit mit
einem Lamme zu und hört es gern, wenn ihr vertraute Freunde beistimmen,
daß sie im Grunde ein recht dummes Aussehen habe. Ihre Erscheinung läßt
sich in wenigen Worten bezeichnen: Eine gute, sauste, bescheidene, einfache,
verständige Frau, ausgerüstet mit allen Eigenschaften zarter Weiblichkeit. Daß
sie außerdem sich die Freiheit herausgenommen hat ein großes Genie zu sein,
das merkt man ihrer äußern Erscheinung ans den ersten Anblick nicht an.

So entstellt die Angaben über ihren Charakter wie über ihr Leben sind,
so unrichtig sind auch jene über ihre Familie. Wir können jetzt aus ihren
begonnenen Memoiren ersehen, daß sogar ihr Name verfälscht wurde, sie
heißt nicht Marie Amantine Aurore Dupitt, sondern Amantine Lucile Aurore
Dupin und ihr Manu Franz Düdevant ist kein Baron noch ein alter Colonel.
Er hatte es nie über den Souslieutenant hinaus gebracht und war erst
27 Jahre alt, als er Fräulein Dupin heirathete. Ihre Genealogie ist so
ziemlich treu von ihren Biographen aufgezeichnet, sie stammt väterlicherseits
wirklich von August U. König von Polen ab. Der Marschall Moritz von
Sachsen, der berühmte Sieger von Fontenoy, ein natürlicher Sohn jenes
Königs und der bekannten Gräfin Königsmark, hatte von seinem Vater dessen
Flatterhaftigkeit in Liebessachen geerbt. Eine seiner letzten Liebesneigungen
war ein Fräulein Verrieres, eine Schauspielerin, deren eigentlicher Name Marie
Nintau gewesen. Aus dieser Verbindung ging Marie Aurore hervor. Nach
dem Tode ihrer Mutter und ihres Vaters vom Parlamente als natürliche


schreibt: n'al pas w gon," so erklärt dies ihre beispiellose Wohlthätigkeit.
Mit dem Verstände rechnet unsre Schriftstellerin wie der beste Buchhalter,
aber im Angesichte der leidenden Armuth vergißt sie dieses positive Talent,
sie gibt solange sie hat und in außerordentlichen Fällen mehr als sie hat.

Wieweit weg reißt uns dieses Bild von den Leuen, die man als Con-
terfei von Georges Sand nach allen Gegenden der gebildeten Welt verschickt
hat. Ihre äußere Erscheinung entspricht ebensowenig der Vorstellung, die man
sich gewöhnlich von ihr macht, trotz vieler wohlgetroffener Bildnisse, die vor¬
handen sind. Georges Sand ist eine Frau von kleiner wohlbeleibter Gestalt.
Ihr schwarzes Haar liegt einfach und glatt gescheitelt um die hohe und breite
Stirn, die noch jetzt ohne Falten und klar wie der Spiegel der ruhigen See
ist. Ihr großes Auge blickt mit dem Ausdrucke melancholischer Sanftmuth,
bescheidener Weiblichkeit und man muß mit Vertrauen und Sympathie auf
diesen Blick antworten. Ihre Nase ist etwas groß, sie verleiht ihrem Gesichte
etwas Männliches, das aber durch den mit Grazie, lächelnden Mund, mehr
noch durch das weiche, melodische, mütterlich Klingende ihrer Stimme gemildert
wird. Das Gesicht ist von länglicher'Form und macht den Eindruck großer
Gutmüthigkeit, aber die gewaltigen Schläfe bekunden den mächtigen Gedanken,
der in diesem Kopfe arbeitet. Georges Sand spricht sich selbst Aehnlichkeit mit
einem Lamme zu und hört es gern, wenn ihr vertraute Freunde beistimmen,
daß sie im Grunde ein recht dummes Aussehen habe. Ihre Erscheinung läßt
sich in wenigen Worten bezeichnen: Eine gute, sauste, bescheidene, einfache,
verständige Frau, ausgerüstet mit allen Eigenschaften zarter Weiblichkeit. Daß
sie außerdem sich die Freiheit herausgenommen hat ein großes Genie zu sein,
das merkt man ihrer äußern Erscheinung ans den ersten Anblick nicht an.

So entstellt die Angaben über ihren Charakter wie über ihr Leben sind,
so unrichtig sind auch jene über ihre Familie. Wir können jetzt aus ihren
begonnenen Memoiren ersehen, daß sogar ihr Name verfälscht wurde, sie
heißt nicht Marie Amantine Aurore Dupitt, sondern Amantine Lucile Aurore
Dupin und ihr Manu Franz Düdevant ist kein Baron noch ein alter Colonel.
Er hatte es nie über den Souslieutenant hinaus gebracht und war erst
27 Jahre alt, als er Fräulein Dupin heirathete. Ihre Genealogie ist so
ziemlich treu von ihren Biographen aufgezeichnet, sie stammt väterlicherseits
wirklich von August U. König von Polen ab. Der Marschall Moritz von
Sachsen, der berühmte Sieger von Fontenoy, ein natürlicher Sohn jenes
Königs und der bekannten Gräfin Königsmark, hatte von seinem Vater dessen
Flatterhaftigkeit in Liebessachen geerbt. Eine seiner letzten Liebesneigungen
war ein Fräulein Verrieres, eine Schauspielerin, deren eigentlicher Name Marie
Nintau gewesen. Aus dieser Verbindung ging Marie Aurore hervor. Nach
dem Tode ihrer Mutter und ihres Vaters vom Parlamente als natürliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99072"/>
          <p xml:id="ID_744" prev="#ID_743"> schreibt: n'al pas w gon," so erklärt dies ihre beispiellose Wohlthätigkeit.<lb/>
Mit dem Verstände rechnet unsre Schriftstellerin wie der beste Buchhalter,<lb/>
aber im Angesichte der leidenden Armuth vergißt sie dieses positive Talent,<lb/>
sie gibt solange sie hat und in außerordentlichen Fällen mehr als sie hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_745"> Wieweit weg reißt uns dieses Bild von den Leuen, die man als Con-<lb/>
terfei von Georges Sand nach allen Gegenden der gebildeten Welt verschickt<lb/>
hat. Ihre äußere Erscheinung entspricht ebensowenig der Vorstellung, die man<lb/>
sich gewöhnlich von ihr macht, trotz vieler wohlgetroffener Bildnisse, die vor¬<lb/>
handen sind. Georges Sand ist eine Frau von kleiner wohlbeleibter Gestalt.<lb/>
Ihr schwarzes Haar liegt einfach und glatt gescheitelt um die hohe und breite<lb/>
Stirn, die noch jetzt ohne Falten und klar wie der Spiegel der ruhigen See<lb/>
ist. Ihr großes Auge blickt mit dem Ausdrucke melancholischer Sanftmuth,<lb/>
bescheidener Weiblichkeit und man muß mit Vertrauen und Sympathie auf<lb/>
diesen Blick antworten. Ihre Nase ist etwas groß, sie verleiht ihrem Gesichte<lb/>
etwas Männliches, das aber durch den mit Grazie, lächelnden Mund, mehr<lb/>
noch durch das weiche, melodische, mütterlich Klingende ihrer Stimme gemildert<lb/>
wird. Das Gesicht ist von länglicher'Form und macht den Eindruck großer<lb/>
Gutmüthigkeit, aber die gewaltigen Schläfe bekunden den mächtigen Gedanken,<lb/>
der in diesem Kopfe arbeitet. Georges Sand spricht sich selbst Aehnlichkeit mit<lb/>
einem Lamme zu und hört es gern, wenn ihr vertraute Freunde beistimmen,<lb/>
daß sie im Grunde ein recht dummes Aussehen habe. Ihre Erscheinung läßt<lb/>
sich in wenigen Worten bezeichnen: Eine gute, sauste, bescheidene, einfache,<lb/>
verständige Frau, ausgerüstet mit allen Eigenschaften zarter Weiblichkeit. Daß<lb/>
sie außerdem sich die Freiheit herausgenommen hat ein großes Genie zu sein,<lb/>
das merkt man ihrer äußern Erscheinung ans den ersten Anblick nicht an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_746" next="#ID_747"> So entstellt die Angaben über ihren Charakter wie über ihr Leben sind,<lb/>
so unrichtig sind auch jene über ihre Familie. Wir können jetzt aus ihren<lb/>
begonnenen Memoiren ersehen, daß sogar ihr Name verfälscht wurde, sie<lb/>
heißt nicht Marie Amantine Aurore Dupitt, sondern Amantine Lucile Aurore<lb/>
Dupin und ihr Manu Franz Düdevant ist kein Baron noch ein alter Colonel.<lb/>
Er hatte es nie über den Souslieutenant hinaus gebracht und war erst<lb/>
27 Jahre alt, als er Fräulein Dupin heirathete. Ihre Genealogie ist so<lb/>
ziemlich treu von ihren Biographen aufgezeichnet, sie stammt väterlicherseits<lb/>
wirklich von August U. König von Polen ab. Der Marschall Moritz von<lb/>
Sachsen, der berühmte Sieger von Fontenoy, ein natürlicher Sohn jenes<lb/>
Königs und der bekannten Gräfin Königsmark, hatte von seinem Vater dessen<lb/>
Flatterhaftigkeit in Liebessachen geerbt. Eine seiner letzten Liebesneigungen<lb/>
war ein Fräulein Verrieres, eine Schauspielerin, deren eigentlicher Name Marie<lb/>
Nintau gewesen. Aus dieser Verbindung ging Marie Aurore hervor. Nach<lb/>
dem Tode ihrer Mutter und ihres Vaters vom Parlamente als natürliche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] schreibt: n'al pas w gon," so erklärt dies ihre beispiellose Wohlthätigkeit. Mit dem Verstände rechnet unsre Schriftstellerin wie der beste Buchhalter, aber im Angesichte der leidenden Armuth vergißt sie dieses positive Talent, sie gibt solange sie hat und in außerordentlichen Fällen mehr als sie hat. Wieweit weg reißt uns dieses Bild von den Leuen, die man als Con- terfei von Georges Sand nach allen Gegenden der gebildeten Welt verschickt hat. Ihre äußere Erscheinung entspricht ebensowenig der Vorstellung, die man sich gewöhnlich von ihr macht, trotz vieler wohlgetroffener Bildnisse, die vor¬ handen sind. Georges Sand ist eine Frau von kleiner wohlbeleibter Gestalt. Ihr schwarzes Haar liegt einfach und glatt gescheitelt um die hohe und breite Stirn, die noch jetzt ohne Falten und klar wie der Spiegel der ruhigen See ist. Ihr großes Auge blickt mit dem Ausdrucke melancholischer Sanftmuth, bescheidener Weiblichkeit und man muß mit Vertrauen und Sympathie auf diesen Blick antworten. Ihre Nase ist etwas groß, sie verleiht ihrem Gesichte etwas Männliches, das aber durch den mit Grazie, lächelnden Mund, mehr noch durch das weiche, melodische, mütterlich Klingende ihrer Stimme gemildert wird. Das Gesicht ist von länglicher'Form und macht den Eindruck großer Gutmüthigkeit, aber die gewaltigen Schläfe bekunden den mächtigen Gedanken, der in diesem Kopfe arbeitet. Georges Sand spricht sich selbst Aehnlichkeit mit einem Lamme zu und hört es gern, wenn ihr vertraute Freunde beistimmen, daß sie im Grunde ein recht dummes Aussehen habe. Ihre Erscheinung läßt sich in wenigen Worten bezeichnen: Eine gute, sauste, bescheidene, einfache, verständige Frau, ausgerüstet mit allen Eigenschaften zarter Weiblichkeit. Daß sie außerdem sich die Freiheit herausgenommen hat ein großes Genie zu sein, das merkt man ihrer äußern Erscheinung ans den ersten Anblick nicht an. So entstellt die Angaben über ihren Charakter wie über ihr Leben sind, so unrichtig sind auch jene über ihre Familie. Wir können jetzt aus ihren begonnenen Memoiren ersehen, daß sogar ihr Name verfälscht wurde, sie heißt nicht Marie Amantine Aurore Dupitt, sondern Amantine Lucile Aurore Dupin und ihr Manu Franz Düdevant ist kein Baron noch ein alter Colonel. Er hatte es nie über den Souslieutenant hinaus gebracht und war erst 27 Jahre alt, als er Fräulein Dupin heirathete. Ihre Genealogie ist so ziemlich treu von ihren Biographen aufgezeichnet, sie stammt väterlicherseits wirklich von August U. König von Polen ab. Der Marschall Moritz von Sachsen, der berühmte Sieger von Fontenoy, ein natürlicher Sohn jenes Königs und der bekannten Gräfin Königsmark, hatte von seinem Vater dessen Flatterhaftigkeit in Liebessachen geerbt. Eine seiner letzten Liebesneigungen war ein Fräulein Verrieres, eine Schauspielerin, deren eigentlicher Name Marie Nintau gewesen. Aus dieser Verbindung ging Marie Aurore hervor. Nach dem Tode ihrer Mutter und ihres Vaters vom Parlamente als natürliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/220>, abgerufen am 17.06.2024.