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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Tochter des Marschalls anerkannt, wurde diese mit dem Grafen Horn ver¬
ehelicht. Diese Ehe, die von einer ehelichen Verbindung nur den Namen
hatte, löste sich nach wenigen Jahren durch den Tod des Grafen, der in einem
Duelle fiel. Die Wittwe zog sich in ein Kloster zurück und verließ dasselbe
blos, um die Frau des Herrn Dupin de Francueil, Sohn eines Fermier general,
eines der damaligen Finanzaristokraten, der selbst Generaleinnehmer gewesen, zu
werden. Georges Sand schildert die außerordentlichen Gaben des Großvaters mit
den beredten und verliebten Worten ihrer Großmutter und man kann nicht umhin,
diese echte Gestalt deS achtzehnten Jahrhunderts liebzugewinnen. Aus dieser
Ehe, der Tochter des Marschalls von Sachsen mit dem Sohne des Ge¬
neralpächters entsproß ein einziger Sohn, Moritz Dupin, der Vater von
Georges Sand. Die Mutter der Dichterin war die Tochter eines obscurer
Vogelstellers. Linne Aurore Dupin wurde, wie sie selbst angibt, im Jahre
180z geboren und macht sich also um ein Jahr älter, als ihre Biographen.
Sie wußte eS lange selbst nicht, sowie sie auch über den Ort ihrer Geburt in
Unkenntniß sich befand. Sie glaubte sich in Madrid geboren und erfuhr erst
in spätern Jahren, daß dies eine Schwester gewesen. Gewiß ist, daß ihre
Eltern sich erst nach ihrer Geburt förmlich trauen ließen.

Madame Sand erzählt uns, daß sie von ihrer Mutter, wie diese vom
Vater eine große Zuneigung zu den gefiederten Sängern in den Lüsten und
zugleich eine gewisse harrende Kraftäußerung auf die geflügelte Gesangswelt
ererbte habe. Das Capitel über die Vorzüge der Vögel kann nur ein Poet
und eine gefühlvolle, grundgute Menschenseele wie Georges Sand schreiben.
Niemand wird es lesen, ohne den Dichter zu lieben.

Lucile Aurore wurde bei ihrer Großmutter erzogen, einer Frau von außer¬
ordentlichem Geiste, einem Kind des achtzehnten Jahrhunderts, und die erste Er¬
ziehung des Mädchens geschah nicht nach den Vorschriften unsrer heutigen
Pensionate. . Georges Sand wurde vom Lehrer ihres Vaters unterrichtet, einer
merkwürdigen Persönlichkeit, die uns in den Memoiren als ein komischer und
würdiger Charakter zugleich skizzirt wird und die eine Rolle in der Selbstbio¬
graphie von Georges Sand zu spielen verspricht.

Die Erziehung auf dem Schlosse von Nohaut macht uns manchen später
bemerklich gewordenen Zug erklärlich. Mit fünfzehn Jahren hatte Madame Sand
nebst musikalischen und sonstigen Kenntnissen die Kunst des Reitens und sonstige
männliche Uebungen gründlich inne. Sie erzählt aus ihrer Jugend, daß es
den Gläubigen von La Chatre ein arger Skandal gewesen, wie die junge
Amazone zur Commum'on am Altare niederkniend die Sporen hervorblicken
ließ, die sie beim Reiten stets anzuschnallen pflegte. Die später berühmt ge¬
wordene Männerkleidung von Georges Sand war die bloße Fortsetzung gewisser
Jugendgewohnheiten, die in ihrem Geiste lange nicht die Bedeutung hatten,


Tochter des Marschalls anerkannt, wurde diese mit dem Grafen Horn ver¬
ehelicht. Diese Ehe, die von einer ehelichen Verbindung nur den Namen
hatte, löste sich nach wenigen Jahren durch den Tod des Grafen, der in einem
Duelle fiel. Die Wittwe zog sich in ein Kloster zurück und verließ dasselbe
blos, um die Frau des Herrn Dupin de Francueil, Sohn eines Fermier general,
eines der damaligen Finanzaristokraten, der selbst Generaleinnehmer gewesen, zu
werden. Georges Sand schildert die außerordentlichen Gaben des Großvaters mit
den beredten und verliebten Worten ihrer Großmutter und man kann nicht umhin,
diese echte Gestalt deS achtzehnten Jahrhunderts liebzugewinnen. Aus dieser
Ehe, der Tochter des Marschalls von Sachsen mit dem Sohne des Ge¬
neralpächters entsproß ein einziger Sohn, Moritz Dupin, der Vater von
Georges Sand. Die Mutter der Dichterin war die Tochter eines obscurer
Vogelstellers. Linne Aurore Dupin wurde, wie sie selbst angibt, im Jahre
180z geboren und macht sich also um ein Jahr älter, als ihre Biographen.
Sie wußte eS lange selbst nicht, sowie sie auch über den Ort ihrer Geburt in
Unkenntniß sich befand. Sie glaubte sich in Madrid geboren und erfuhr erst
in spätern Jahren, daß dies eine Schwester gewesen. Gewiß ist, daß ihre
Eltern sich erst nach ihrer Geburt förmlich trauen ließen.

Madame Sand erzählt uns, daß sie von ihrer Mutter, wie diese vom
Vater eine große Zuneigung zu den gefiederten Sängern in den Lüsten und
zugleich eine gewisse harrende Kraftäußerung auf die geflügelte Gesangswelt
ererbte habe. Das Capitel über die Vorzüge der Vögel kann nur ein Poet
und eine gefühlvolle, grundgute Menschenseele wie Georges Sand schreiben.
Niemand wird es lesen, ohne den Dichter zu lieben.

Lucile Aurore wurde bei ihrer Großmutter erzogen, einer Frau von außer¬
ordentlichem Geiste, einem Kind des achtzehnten Jahrhunderts, und die erste Er¬
ziehung des Mädchens geschah nicht nach den Vorschriften unsrer heutigen
Pensionate. . Georges Sand wurde vom Lehrer ihres Vaters unterrichtet, einer
merkwürdigen Persönlichkeit, die uns in den Memoiren als ein komischer und
würdiger Charakter zugleich skizzirt wird und die eine Rolle in der Selbstbio¬
graphie von Georges Sand zu spielen verspricht.

Die Erziehung auf dem Schlosse von Nohaut macht uns manchen später
bemerklich gewordenen Zug erklärlich. Mit fünfzehn Jahren hatte Madame Sand
nebst musikalischen und sonstigen Kenntnissen die Kunst des Reitens und sonstige
männliche Uebungen gründlich inne. Sie erzählt aus ihrer Jugend, daß es
den Gläubigen von La Chatre ein arger Skandal gewesen, wie die junge
Amazone zur Commum'on am Altare niederkniend die Sporen hervorblicken
ließ, die sie beim Reiten stets anzuschnallen pflegte. Die später berühmt ge¬
wordene Männerkleidung von Georges Sand war die bloße Fortsetzung gewisser
Jugendgewohnheiten, die in ihrem Geiste lange nicht die Bedeutung hatten,


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[0221] Tochter des Marschalls anerkannt, wurde diese mit dem Grafen Horn ver¬ ehelicht. Diese Ehe, die von einer ehelichen Verbindung nur den Namen hatte, löste sich nach wenigen Jahren durch den Tod des Grafen, der in einem Duelle fiel. Die Wittwe zog sich in ein Kloster zurück und verließ dasselbe blos, um die Frau des Herrn Dupin de Francueil, Sohn eines Fermier general, eines der damaligen Finanzaristokraten, der selbst Generaleinnehmer gewesen, zu werden. Georges Sand schildert die außerordentlichen Gaben des Großvaters mit den beredten und verliebten Worten ihrer Großmutter und man kann nicht umhin, diese echte Gestalt deS achtzehnten Jahrhunderts liebzugewinnen. Aus dieser Ehe, der Tochter des Marschalls von Sachsen mit dem Sohne des Ge¬ neralpächters entsproß ein einziger Sohn, Moritz Dupin, der Vater von Georges Sand. Die Mutter der Dichterin war die Tochter eines obscurer Vogelstellers. Linne Aurore Dupin wurde, wie sie selbst angibt, im Jahre 180z geboren und macht sich also um ein Jahr älter, als ihre Biographen. Sie wußte eS lange selbst nicht, sowie sie auch über den Ort ihrer Geburt in Unkenntniß sich befand. Sie glaubte sich in Madrid geboren und erfuhr erst in spätern Jahren, daß dies eine Schwester gewesen. Gewiß ist, daß ihre Eltern sich erst nach ihrer Geburt förmlich trauen ließen. Madame Sand erzählt uns, daß sie von ihrer Mutter, wie diese vom Vater eine große Zuneigung zu den gefiederten Sängern in den Lüsten und zugleich eine gewisse harrende Kraftäußerung auf die geflügelte Gesangswelt ererbte habe. Das Capitel über die Vorzüge der Vögel kann nur ein Poet und eine gefühlvolle, grundgute Menschenseele wie Georges Sand schreiben. Niemand wird es lesen, ohne den Dichter zu lieben. Lucile Aurore wurde bei ihrer Großmutter erzogen, einer Frau von außer¬ ordentlichem Geiste, einem Kind des achtzehnten Jahrhunderts, und die erste Er¬ ziehung des Mädchens geschah nicht nach den Vorschriften unsrer heutigen Pensionate. . Georges Sand wurde vom Lehrer ihres Vaters unterrichtet, einer merkwürdigen Persönlichkeit, die uns in den Memoiren als ein komischer und würdiger Charakter zugleich skizzirt wird und die eine Rolle in der Selbstbio¬ graphie von Georges Sand zu spielen verspricht. Die Erziehung auf dem Schlosse von Nohaut macht uns manchen später bemerklich gewordenen Zug erklärlich. Mit fünfzehn Jahren hatte Madame Sand nebst musikalischen und sonstigen Kenntnissen die Kunst des Reitens und sonstige männliche Uebungen gründlich inne. Sie erzählt aus ihrer Jugend, daß es den Gläubigen von La Chatre ein arger Skandal gewesen, wie die junge Amazone zur Commum'on am Altare niederkniend die Sporen hervorblicken ließ, die sie beim Reiten stets anzuschnallen pflegte. Die später berühmt ge¬ wordene Männerkleidung von Georges Sand war die bloße Fortsetzung gewisser Jugendgewohnheiten, die in ihrem Geiste lange nicht die Bedeutung hatten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/221>, abgerufen am 17.06.2024.