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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Einiges Aufsehen erregte es hier, in dem am 8. Januar erschienenen Jour¬
nal de Konstantinople, bei Gelegenheit der Berichterstattung über ein vom
Jnternuntius (Herrn von Brück) dem türkischen Ministerium gegebenes Festessen,
einen Toast des östreichischen Gesandten erwähnt zu finden, in welchem sich
derselbe in den allerstärksten und feindseligsten Ausdrücken gegen Rußland
ergangen. Bei einem Mann von soviel Reserve wie Herr von Brück, glaubte
man aus dem Ton der Rede auf die Unvermeidlichkeit des Kampfes zwischen
den beiden östlichen Kaiserreichen schließen zu müssen, während von andrer
Seite das ganze Factum in Abrede gestellt wurde. Insofern war diese Ansicht
die gerechtfertigtere, als das heutige Journal de Konstcmtinople mit einer Art
Widerruf auftritt, und den Text eines Toastes mittheilt, der kaum irgendeine
Aehnlichkeit mit dem^ vorher gebrachten hat.

Die Woche ist außerordentlich leer an Nachrichten und Neuigkeiten von
Belang. Nicht ein einziges wichtigeres Vorkommnis;, von dem ich zu berichten
vermöchte. Nach wie vor gehen die für die Krim bestimmten Verstärkungen
hier durch, und ohne Unterlaß kommen von dorther Verwundete und Kranke
in den hiesigen Spitälern an. Die englischen werden auf dem asiatischen Ufer
in Skutari, und die französischen auf dem europäischen gelandet. Dabei steigt
mit jeder Woche der Bedarf an Räumlichkeiten zur Unterbringung der in ärzt¬
licher Behandlung begriffenen Soldaten. Wieviele Kasernen und öffentliche
Gebäude von den Türken auch immerhin schon zu diesem Behufe den englischen
und französischen Militärbehörden überantwortet worden sind: sie reichen nicht
aus! Neuerdings hat die große Kriegsschule ihre Localien räumen und der
französischen Lazarethverwaltung ausliefern müssen. Möglich daß diese Anstalt,
welche nun nach der Schule von Matschka verlegt wurde, letztlich nach Smyrna
translocirt wird.

Die Witterung, welche abwechselnd kalt und warm, feucht und trocken ist,
und ebensohäufig wechselt wie die Richtung des bald aus Süden, bald aus
Norden stehenden Windes, vermehrt die Krankheiten, welche zur gegenwärtigen
Jahreszeit hier zu herrschen Pflegen und steigert im besondern die Opfer des
Typhus, der in den französischen und englischen Lazarethen wüthet. Man
begräbt in Skutari täglich 60--80 englische Soldaten und auf dem diesseitigen
Ufer doppelt soviel französische. Aber auch auf den türkischen, griechischen und
jüdischen Kirchhöfen sieht man täglich, in langen Reihen nebeneinander, die
Gräber sich öffnen, um neue Leichen aufzunehmen. Dabei hängt ein düstrer
melancholischer Himmel über Stadt und Meer und wenn nicht Stürme heulen
und Schneeflocken stieben, fließt der Regen in Ströme" nieder.

Denken sie sich zu dem allen das wirklich zu noch nicht gekannter Höhe
gestiegne Elend der unbemittelten Classen, um ein Bild unsrer Lage sich zu machen-
In den jedem Luftzug offnen hölzernen Häusern, die außerdem kaum genügend


Einiges Aufsehen erregte es hier, in dem am 8. Januar erschienenen Jour¬
nal de Konstantinople, bei Gelegenheit der Berichterstattung über ein vom
Jnternuntius (Herrn von Brück) dem türkischen Ministerium gegebenes Festessen,
einen Toast des östreichischen Gesandten erwähnt zu finden, in welchem sich
derselbe in den allerstärksten und feindseligsten Ausdrücken gegen Rußland
ergangen. Bei einem Mann von soviel Reserve wie Herr von Brück, glaubte
man aus dem Ton der Rede auf die Unvermeidlichkeit des Kampfes zwischen
den beiden östlichen Kaiserreichen schließen zu müssen, während von andrer
Seite das ganze Factum in Abrede gestellt wurde. Insofern war diese Ansicht
die gerechtfertigtere, als das heutige Journal de Konstcmtinople mit einer Art
Widerruf auftritt, und den Text eines Toastes mittheilt, der kaum irgendeine
Aehnlichkeit mit dem^ vorher gebrachten hat.

Die Woche ist außerordentlich leer an Nachrichten und Neuigkeiten von
Belang. Nicht ein einziges wichtigeres Vorkommnis;, von dem ich zu berichten
vermöchte. Nach wie vor gehen die für die Krim bestimmten Verstärkungen
hier durch, und ohne Unterlaß kommen von dorther Verwundete und Kranke
in den hiesigen Spitälern an. Die englischen werden auf dem asiatischen Ufer
in Skutari, und die französischen auf dem europäischen gelandet. Dabei steigt
mit jeder Woche der Bedarf an Räumlichkeiten zur Unterbringung der in ärzt¬
licher Behandlung begriffenen Soldaten. Wieviele Kasernen und öffentliche
Gebäude von den Türken auch immerhin schon zu diesem Behufe den englischen
und französischen Militärbehörden überantwortet worden sind: sie reichen nicht
aus! Neuerdings hat die große Kriegsschule ihre Localien räumen und der
französischen Lazarethverwaltung ausliefern müssen. Möglich daß diese Anstalt,
welche nun nach der Schule von Matschka verlegt wurde, letztlich nach Smyrna
translocirt wird.

Die Witterung, welche abwechselnd kalt und warm, feucht und trocken ist,
und ebensohäufig wechselt wie die Richtung des bald aus Süden, bald aus
Norden stehenden Windes, vermehrt die Krankheiten, welche zur gegenwärtigen
Jahreszeit hier zu herrschen Pflegen und steigert im besondern die Opfer des
Typhus, der in den französischen und englischen Lazarethen wüthet. Man
begräbt in Skutari täglich 60—80 englische Soldaten und auf dem diesseitigen
Ufer doppelt soviel französische. Aber auch auf den türkischen, griechischen und
jüdischen Kirchhöfen sieht man täglich, in langen Reihen nebeneinander, die
Gräber sich öffnen, um neue Leichen aufzunehmen. Dabei hängt ein düstrer
melancholischer Himmel über Stadt und Meer und wenn nicht Stürme heulen
und Schneeflocken stieben, fließt der Regen in Ströme» nieder.

Denken sie sich zu dem allen das wirklich zu noch nicht gekannter Höhe
gestiegne Elend der unbemittelten Classen, um ein Bild unsrer Lage sich zu machen-
In den jedem Luftzug offnen hölzernen Häusern, die außerdem kaum genügend


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[0232] Einiges Aufsehen erregte es hier, in dem am 8. Januar erschienenen Jour¬ nal de Konstantinople, bei Gelegenheit der Berichterstattung über ein vom Jnternuntius (Herrn von Brück) dem türkischen Ministerium gegebenes Festessen, einen Toast des östreichischen Gesandten erwähnt zu finden, in welchem sich derselbe in den allerstärksten und feindseligsten Ausdrücken gegen Rußland ergangen. Bei einem Mann von soviel Reserve wie Herr von Brück, glaubte man aus dem Ton der Rede auf die Unvermeidlichkeit des Kampfes zwischen den beiden östlichen Kaiserreichen schließen zu müssen, während von andrer Seite das ganze Factum in Abrede gestellt wurde. Insofern war diese Ansicht die gerechtfertigtere, als das heutige Journal de Konstcmtinople mit einer Art Widerruf auftritt, und den Text eines Toastes mittheilt, der kaum irgendeine Aehnlichkeit mit dem^ vorher gebrachten hat. Die Woche ist außerordentlich leer an Nachrichten und Neuigkeiten von Belang. Nicht ein einziges wichtigeres Vorkommnis;, von dem ich zu berichten vermöchte. Nach wie vor gehen die für die Krim bestimmten Verstärkungen hier durch, und ohne Unterlaß kommen von dorther Verwundete und Kranke in den hiesigen Spitälern an. Die englischen werden auf dem asiatischen Ufer in Skutari, und die französischen auf dem europäischen gelandet. Dabei steigt mit jeder Woche der Bedarf an Räumlichkeiten zur Unterbringung der in ärzt¬ licher Behandlung begriffenen Soldaten. Wieviele Kasernen und öffentliche Gebäude von den Türken auch immerhin schon zu diesem Behufe den englischen und französischen Militärbehörden überantwortet worden sind: sie reichen nicht aus! Neuerdings hat die große Kriegsschule ihre Localien räumen und der französischen Lazarethverwaltung ausliefern müssen. Möglich daß diese Anstalt, welche nun nach der Schule von Matschka verlegt wurde, letztlich nach Smyrna translocirt wird. Die Witterung, welche abwechselnd kalt und warm, feucht und trocken ist, und ebensohäufig wechselt wie die Richtung des bald aus Süden, bald aus Norden stehenden Windes, vermehrt die Krankheiten, welche zur gegenwärtigen Jahreszeit hier zu herrschen Pflegen und steigert im besondern die Opfer des Typhus, der in den französischen und englischen Lazarethen wüthet. Man begräbt in Skutari täglich 60—80 englische Soldaten und auf dem diesseitigen Ufer doppelt soviel französische. Aber auch auf den türkischen, griechischen und jüdischen Kirchhöfen sieht man täglich, in langen Reihen nebeneinander, die Gräber sich öffnen, um neue Leichen aufzunehmen. Dabei hängt ein düstrer melancholischer Himmel über Stadt und Meer und wenn nicht Stürme heulen und Schneeflocken stieben, fließt der Regen in Ströme» nieder. Denken sie sich zu dem allen das wirklich zu noch nicht gekannter Höhe gestiegne Elend der unbemittelten Classen, um ein Bild unsrer Lage sich zu machen- In den jedem Luftzug offnen hölzernen Häusern, die außerdem kaum genügend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/232>, abgerufen am 17.06.2024.