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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Koran S. 489, gegen die Personifikation des Heiligen auflehnt, so liegt das
nicht blos in dem übertriebenen Glauben an die Erde und ihre Mächte, son¬
dern auch in dem Unglauben an die wirkliche Existenz. Es genügt nicht, wenn
Hafis versichert, kein Bilderstürmer sein zu wollen; unsre Ideale sind keine
bloßen Bilder, sie sind das wahrhaft Eristirende auf dieser Welt. Hafis bleibt
in Hellas ebenso fremd, trotz seiner Bemühung, die Ruinen der alten Tempel,
und Säulen zu durchforschen, als im Christenthum. Nur den arabischen Pro¬
pheten versteht er, und auch von diesem nur eine Seite, die träumerisch phan¬
tastische (vrgl. Hases S. 79); die Größe des Sehers, die seine Religion zu
einer geschichtlichen gemacht hat, bleibt ihm fremd, weil er mit Schrecken eine
Macht des Geistes in ihr wahrnehmen würde. Die griechischen Götterbilder
treten ihm nur ironisch und klagend gegenüber (vrgl. S. -128), weil er in der
Geschichte wie in der Natur gleich Heine nur den bacchantischen Taumel sieht,
nicht das Ideal, welches dem Zeitstrom entrissen gerettet auf den Höhen der
Menschheit bleibt. Eine einzige Gottheit tritt ihm in allen seinen Pilger¬
fahrten gegenüber, in Athen wie in Jerusalem: Eros, aber in einer wunder¬
lichen, fremdartigen, orientalischen Beleuchtung. Die vollständige Abwesenheit
alles historischen Sinns, die wir früher in seinen Novellen nachgewiesen haben,,
spricht sich auch in seinen Liedern aus:

Bei dieser Gleichgiltigkeit des Schönheitsgefühls gegen alle Unterschiede
von Raum und Zeit können ihm auch die Bilder aus der Gegenwart, wo sie
Zustände versinnlichen sollen, nicht gelingen; wenn >-'s aber gilt, den bacchanti¬
schen Zauber der Sinne zu schildern, so findet er oft Farben und Lichter, die
keinem andern Poeten zugebotestehen. So ist die Schilderung der Bajadere
im Koran S. 4 trotz des lächerlichen Schlusses ein reizendes Bild, und selbst
das abscheuliche Gedicht: das Mädchen von Sunem, Hases S. 333, ist mit
einem wahrhaft bewundernswürdigen Talent durchgeführt; aber wie kann ein
Dichter, der auf dem Altare der Schönheit opfert, einen solchen Gegenstand
wählen? Dem alten David wird ein junges frisches Mädchen ins Bett gelegt,
um seine schlaffen und kalten Glieder zu wärmen, und der gekrönte Cyniker
strengt seine Phantasie an, um sich vorzustellen, was die Sinne ihm versagen.
Wenn das ihm wirklich die Rosen von Jerusalem vorgesungen haben, wie eS
uns der Dichter versichert, so muß ein fremder böser Geist in sie gefahren sein,


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Koran S. 489, gegen die Personifikation des Heiligen auflehnt, so liegt das
nicht blos in dem übertriebenen Glauben an die Erde und ihre Mächte, son¬
dern auch in dem Unglauben an die wirkliche Existenz. Es genügt nicht, wenn
Hafis versichert, kein Bilderstürmer sein zu wollen; unsre Ideale sind keine
bloßen Bilder, sie sind das wahrhaft Eristirende auf dieser Welt. Hafis bleibt
in Hellas ebenso fremd, trotz seiner Bemühung, die Ruinen der alten Tempel,
und Säulen zu durchforschen, als im Christenthum. Nur den arabischen Pro¬
pheten versteht er, und auch von diesem nur eine Seite, die träumerisch phan¬
tastische (vrgl. Hases S. 79); die Größe des Sehers, die seine Religion zu
einer geschichtlichen gemacht hat, bleibt ihm fremd, weil er mit Schrecken eine
Macht des Geistes in ihr wahrnehmen würde. Die griechischen Götterbilder
treten ihm nur ironisch und klagend gegenüber (vrgl. S. -128), weil er in der
Geschichte wie in der Natur gleich Heine nur den bacchantischen Taumel sieht,
nicht das Ideal, welches dem Zeitstrom entrissen gerettet auf den Höhen der
Menschheit bleibt. Eine einzige Gottheit tritt ihm in allen seinen Pilger¬
fahrten gegenüber, in Athen wie in Jerusalem: Eros, aber in einer wunder¬
lichen, fremdartigen, orientalischen Beleuchtung. Die vollständige Abwesenheit
alles historischen Sinns, die wir früher in seinen Novellen nachgewiesen haben,,
spricht sich auch in seinen Liedern aus:

Bei dieser Gleichgiltigkeit des Schönheitsgefühls gegen alle Unterschiede
von Raum und Zeit können ihm auch die Bilder aus der Gegenwart, wo sie
Zustände versinnlichen sollen, nicht gelingen; wenn >-'s aber gilt, den bacchanti¬
schen Zauber der Sinne zu schildern, so findet er oft Farben und Lichter, die
keinem andern Poeten zugebotestehen. So ist die Schilderung der Bajadere
im Koran S. 4 trotz des lächerlichen Schlusses ein reizendes Bild, und selbst
das abscheuliche Gedicht: das Mädchen von Sunem, Hases S. 333, ist mit
einem wahrhaft bewundernswürdigen Talent durchgeführt; aber wie kann ein
Dichter, der auf dem Altare der Schönheit opfert, einen solchen Gegenstand
wählen? Dem alten David wird ein junges frisches Mädchen ins Bett gelegt,
um seine schlaffen und kalten Glieder zu wärmen, und der gekrönte Cyniker
strengt seine Phantasie an, um sich vorzustellen, was die Sinne ihm versagen.
Wenn das ihm wirklich die Rosen von Jerusalem vorgesungen haben, wie eS
uns der Dichter versichert, so muß ein fremder böser Geist in sie gefahren sein,


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[0027] Koran S. 489, gegen die Personifikation des Heiligen auflehnt, so liegt das nicht blos in dem übertriebenen Glauben an die Erde und ihre Mächte, son¬ dern auch in dem Unglauben an die wirkliche Existenz. Es genügt nicht, wenn Hafis versichert, kein Bilderstürmer sein zu wollen; unsre Ideale sind keine bloßen Bilder, sie sind das wahrhaft Eristirende auf dieser Welt. Hafis bleibt in Hellas ebenso fremd, trotz seiner Bemühung, die Ruinen der alten Tempel, und Säulen zu durchforschen, als im Christenthum. Nur den arabischen Pro¬ pheten versteht er, und auch von diesem nur eine Seite, die träumerisch phan¬ tastische (vrgl. Hases S. 79); die Größe des Sehers, die seine Religion zu einer geschichtlichen gemacht hat, bleibt ihm fremd, weil er mit Schrecken eine Macht des Geistes in ihr wahrnehmen würde. Die griechischen Götterbilder treten ihm nur ironisch und klagend gegenüber (vrgl. S. -128), weil er in der Geschichte wie in der Natur gleich Heine nur den bacchantischen Taumel sieht, nicht das Ideal, welches dem Zeitstrom entrissen gerettet auf den Höhen der Menschheit bleibt. Eine einzige Gottheit tritt ihm in allen seinen Pilger¬ fahrten gegenüber, in Athen wie in Jerusalem: Eros, aber in einer wunder¬ lichen, fremdartigen, orientalischen Beleuchtung. Die vollständige Abwesenheit alles historischen Sinns, die wir früher in seinen Novellen nachgewiesen haben,, spricht sich auch in seinen Liedern aus: Bei dieser Gleichgiltigkeit des Schönheitsgefühls gegen alle Unterschiede von Raum und Zeit können ihm auch die Bilder aus der Gegenwart, wo sie Zustände versinnlichen sollen, nicht gelingen; wenn >-'s aber gilt, den bacchanti¬ schen Zauber der Sinne zu schildern, so findet er oft Farben und Lichter, die keinem andern Poeten zugebotestehen. So ist die Schilderung der Bajadere im Koran S. 4 trotz des lächerlichen Schlusses ein reizendes Bild, und selbst das abscheuliche Gedicht: das Mädchen von Sunem, Hases S. 333, ist mit einem wahrhaft bewundernswürdigen Talent durchgeführt; aber wie kann ein Dichter, der auf dem Altare der Schönheit opfert, einen solchen Gegenstand wählen? Dem alten David wird ein junges frisches Mädchen ins Bett gelegt, um seine schlaffen und kalten Glieder zu wärmen, und der gekrönte Cyniker strengt seine Phantasie an, um sich vorzustellen, was die Sinne ihm versagen. Wenn das ihm wirklich die Rosen von Jerusalem vorgesungen haben, wie eS uns der Dichter versichert, so muß ein fremder böser Geist in sie gefahren sein, 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/27>, abgerufen am 19.05.2024.