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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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hoher und riesiger, blickt der Gipfel des Berges Athos auf das griechische Jnsel-
meer hernieder.

Als das Cap hinter uns lag, hatte ich das Bewußtsein, in einen andern
Weltkreis eingetreten zu sein. Was nordwärts davon liegt ist thatsächlich nicht
mehr Morgenland, und nur infolge eines Uebergreifens über die naturberech¬
tigte Machtsphäre ist es geschehen, wenn in früheren Zeiten das griechische, by¬
zantinische Reich, in späterer Zeit und jetzt die Türken hier herrschen. Deutsch¬
land, wenn es seinen großen Beruf im Osten energisch erfaßte, könnte ganz
füglich dereinst bis hierher reichen; möglich, daß seine Farben dann aus hoher
Warte von dem'Vorgebirge herniederwehcn, das die Natur scheinbar so massen¬
haft und gewaltig in die See hinausgethürmt hat, um Grenzpunkt zweier größen
Völkergebiete und zweier Culturen zu sein.

An sich ist das Cap Emineh nicht der Grund, weshalb längs dem Pontus
keine ähnliche Küstenstraße entstanden ist, wie sie sich dicht am nordwärtigen
Gestade des Marmorameeres hinzieht. Eigentlicher Anlaß, weshalb dieselbe
nie zustandegekommen, sind die vielen andern, allerdings niedrigeren, aber
ihrer Zahl wegen unendlich schwer zu überbauenden Vorgebirge, welche die
ganze eurinische Küste Bulgariens wie Rumeliens besetzt halten. Dazu kommt,
baß die Ufer vielfach steil und schroff abstürzend sind. Nichtsdestoweniger ist
eine solche Straße eine Bedingung für die einheitliche Cultur der ganzen Küsten¬
strecke. Wie groß die Verbindungsfähigkeit des Meeres auch immerhin sein
mag, und in wie hohem Maße derjenigen aller Landwege überlegen: den con-
tinuirlichen Zusammenhang vermag es in Bezug auf den kleinen Verkehr,
welcher immer und allerwärs Grundlage des späteren großen ist, nicht zu
schaffen. An einer richtig angelegten, wohlgeführten Straße längs der Küste
von den Mündungen der Donau bis zum Bosporus würden Städtchen und
Dörfer sich wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht haben, was wiederum nach
rückwärts wirkend von unzumessender Wichtigkeit gewesen sein würde, denn nicht
mit Unrecht sind die Gestade in Bezug auf die binnenwärtige Ländermasse den
Lungen zu vergleichen, durch welche der Athmungsproceß, was hierauf ange¬
wendet der auswärtige Verkehr ist, vor sich geht.

Die Sonne war untergegangen und die Schatten der Küste fielen breit
hin über das Meer. Der Capitän sagte, und ich hatte es vorher schon aus
einigen Kennzeichen in Betreff der Formation der Küste geschlossen, daß wir
uns in der Nähe von Varna befänden, und noch in der Nacht auf der Rhede
ankern würden.


Varna.

Um elf Uhr fielen die Anker in sieben Faden Tiefe auf Kiesgerölle; links
lag uns das weitvorragende Cap Galata (Galata Burnu) und rechts eine


Grenjboten. I. 3t

hoher und riesiger, blickt der Gipfel des Berges Athos auf das griechische Jnsel-
meer hernieder.

Als das Cap hinter uns lag, hatte ich das Bewußtsein, in einen andern
Weltkreis eingetreten zu sein. Was nordwärts davon liegt ist thatsächlich nicht
mehr Morgenland, und nur infolge eines Uebergreifens über die naturberech¬
tigte Machtsphäre ist es geschehen, wenn in früheren Zeiten das griechische, by¬
zantinische Reich, in späterer Zeit und jetzt die Türken hier herrschen. Deutsch¬
land, wenn es seinen großen Beruf im Osten energisch erfaßte, könnte ganz
füglich dereinst bis hierher reichen; möglich, daß seine Farben dann aus hoher
Warte von dem'Vorgebirge herniederwehcn, das die Natur scheinbar so massen¬
haft und gewaltig in die See hinausgethürmt hat, um Grenzpunkt zweier größen
Völkergebiete und zweier Culturen zu sein.

An sich ist das Cap Emineh nicht der Grund, weshalb längs dem Pontus
keine ähnliche Küstenstraße entstanden ist, wie sie sich dicht am nordwärtigen
Gestade des Marmorameeres hinzieht. Eigentlicher Anlaß, weshalb dieselbe
nie zustandegekommen, sind die vielen andern, allerdings niedrigeren, aber
ihrer Zahl wegen unendlich schwer zu überbauenden Vorgebirge, welche die
ganze eurinische Küste Bulgariens wie Rumeliens besetzt halten. Dazu kommt,
baß die Ufer vielfach steil und schroff abstürzend sind. Nichtsdestoweniger ist
eine solche Straße eine Bedingung für die einheitliche Cultur der ganzen Küsten¬
strecke. Wie groß die Verbindungsfähigkeit des Meeres auch immerhin sein
mag, und in wie hohem Maße derjenigen aller Landwege überlegen: den con-
tinuirlichen Zusammenhang vermag es in Bezug auf den kleinen Verkehr,
welcher immer und allerwärs Grundlage des späteren großen ist, nicht zu
schaffen. An einer richtig angelegten, wohlgeführten Straße längs der Küste
von den Mündungen der Donau bis zum Bosporus würden Städtchen und
Dörfer sich wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht haben, was wiederum nach
rückwärts wirkend von unzumessender Wichtigkeit gewesen sein würde, denn nicht
mit Unrecht sind die Gestade in Bezug auf die binnenwärtige Ländermasse den
Lungen zu vergleichen, durch welche der Athmungsproceß, was hierauf ange¬
wendet der auswärtige Verkehr ist, vor sich geht.

Die Sonne war untergegangen und die Schatten der Küste fielen breit
hin über das Meer. Der Capitän sagte, und ich hatte es vorher schon aus
einigen Kennzeichen in Betreff der Formation der Küste geschlossen, daß wir
uns in der Nähe von Varna befänden, und noch in der Nacht auf der Rhede
ankern würden.


Varna.

Um elf Uhr fielen die Anker in sieben Faden Tiefe auf Kiesgerölle; links
lag uns das weitvorragende Cap Galata (Galata Burnu) und rechts eine


Grenjboten. I. 3t
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[0273] hoher und riesiger, blickt der Gipfel des Berges Athos auf das griechische Jnsel- meer hernieder. Als das Cap hinter uns lag, hatte ich das Bewußtsein, in einen andern Weltkreis eingetreten zu sein. Was nordwärts davon liegt ist thatsächlich nicht mehr Morgenland, und nur infolge eines Uebergreifens über die naturberech¬ tigte Machtsphäre ist es geschehen, wenn in früheren Zeiten das griechische, by¬ zantinische Reich, in späterer Zeit und jetzt die Türken hier herrschen. Deutsch¬ land, wenn es seinen großen Beruf im Osten energisch erfaßte, könnte ganz füglich dereinst bis hierher reichen; möglich, daß seine Farben dann aus hoher Warte von dem'Vorgebirge herniederwehcn, das die Natur scheinbar so massen¬ haft und gewaltig in die See hinausgethürmt hat, um Grenzpunkt zweier größen Völkergebiete und zweier Culturen zu sein. An sich ist das Cap Emineh nicht der Grund, weshalb längs dem Pontus keine ähnliche Küstenstraße entstanden ist, wie sie sich dicht am nordwärtigen Gestade des Marmorameeres hinzieht. Eigentlicher Anlaß, weshalb dieselbe nie zustandegekommen, sind die vielen andern, allerdings niedrigeren, aber ihrer Zahl wegen unendlich schwer zu überbauenden Vorgebirge, welche die ganze eurinische Küste Bulgariens wie Rumeliens besetzt halten. Dazu kommt, baß die Ufer vielfach steil und schroff abstürzend sind. Nichtsdestoweniger ist eine solche Straße eine Bedingung für die einheitliche Cultur der ganzen Küsten¬ strecke. Wie groß die Verbindungsfähigkeit des Meeres auch immerhin sein mag, und in wie hohem Maße derjenigen aller Landwege überlegen: den con- tinuirlichen Zusammenhang vermag es in Bezug auf den kleinen Verkehr, welcher immer und allerwärs Grundlage des späteren großen ist, nicht zu schaffen. An einer richtig angelegten, wohlgeführten Straße längs der Küste von den Mündungen der Donau bis zum Bosporus würden Städtchen und Dörfer sich wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht haben, was wiederum nach rückwärts wirkend von unzumessender Wichtigkeit gewesen sein würde, denn nicht mit Unrecht sind die Gestade in Bezug auf die binnenwärtige Ländermasse den Lungen zu vergleichen, durch welche der Athmungsproceß, was hierauf ange¬ wendet der auswärtige Verkehr ist, vor sich geht. Die Sonne war untergegangen und die Schatten der Küste fielen breit hin über das Meer. Der Capitän sagte, und ich hatte es vorher schon aus einigen Kennzeichen in Betreff der Formation der Küste geschlossen, daß wir uns in der Nähe von Varna befänden, und noch in der Nacht auf der Rhede ankern würden. Varna. Um elf Uhr fielen die Anker in sieben Faden Tiefe auf Kiesgerölle; links lag uns das weitvorragende Cap Galata (Galata Burnu) und rechts eine Grenjboten. I. 3t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/273>, abgerufen am 26.05.2024.