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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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sich nach Norden hinziehende Steilküste, vor uns aber die Stadt und Festung
Varna. Es war Nacht; der treffliche Quarantäncarzt I)r. Roller kam noch an
Bord, um den Gesundheitspaß zu untersuchen, die Passagiere aber und ich zogen
es vor, auf dem Schiffe zu schlafen.

Am andern Morgen war ich vor Sonnenaufgang auf Deck, um den ge-
rötheten Ost, das allmälige Hellerwerden, die flammende Pracht der Frühstunde
in vollen Zügen zu genießen. Als die Sonne emporkam und daS Vorgebirge
bereits in lichten Umrissen dastand, lag gleichwol noch ein dichter Nebelschleier
über der Stadt Varna und seitwärts von ihr, wo das Thal sich muldet und
der breite Dewnosee seinen Abflußbach über eine flache Wiese hin ins Meer
entsendet.

Die Lage des Hafenplatzes zwischen Landsee und Meer eingeklemmt
beschrieb ich Ihnen bereits bei einer andern Gelegenheit. Varna nimmt sich
von außen her nicht eben großartig aus. Namentlich der, welcher von Süden,
vom Bosporus her kommt und Stambul und seinen magischen Totaleffect noch
im frischen Angedenken hat, wird sich nicht davon überrascht fühlen. Am
Küstenrand ein Steilufer, auf der Höhe desselben eine mit Gewehrschießscharten
durchbrochene weißangestrichne Mauer, Häuser dahinter, im Vordergrunde die
der Consuln mit ihren hohen Flaggenstangen, wie sie im Orient Brauch sind,
und das alles überragt von einer Anzahl nicht eben prächtiger, zum Theil
hölzerner Minarets, -- das ist seinen Grundzügen nach das Gemälde der
Stadt. Aber dennoch liegt in dieser Einfachheit Reiz. Die Berge sind so
dicht bewaldet, der See, welcher sich weit nach dem Hintergrunde hin ausdehnt,
und zuletzt mehr hinter Hügeln verschwindet, als daß man seine Grenze ab¬
zusehen vermöchte, blickt so silbern darein, die Wiese ist so grün, der Bach,
welcher sie durchschneidet, so hell und klar, es schwebt ein so tiefer Frieden über
dem ganzen Bilde, daß man sich angeheimelt und an Deutschland, an die Küste
der Ostsee, an eine jener Städte erinnert fühlt, die von Kiel an bis Memel
das lange Gestade besetzen. Nur die Berge fehlen dort an der norddeutschen
Küste, die hier die Seene umgrenzen und sie gleichzeitig mannigfaltiger machen.

Nach Sonnenaufgang kamen die Boote, mit denen vom Lande her die
Passagiere abgeholt zu werden pflegen, ans Schiff heran und ich bestieg eines
derselben, um mich zur Stadt zu begeben.

Die Festungswerke sind ohne Bedeutung; nichtsdestoweniger hat Varna
eine bewunderungswürdige militärische Lage. Wenn man den Werth einer
Festung nach der Ausdehnung der Sphäre messen kann, welche sie beherrscht,
d. h. in welche hinein sie ihren Einfluß ausdehnt, so hat dieser Platz eine ganz
außerordentliche Wichtigkeit, natürlich nur strategisch, nicht taktisch genommen.
Der Dewnosee, dessen Längenare senkrecht auf die Küste fällt, bestimmt durch
seine Ausdehnung gleichsam den Radius des von Varna dominirten Operations-


sich nach Norden hinziehende Steilküste, vor uns aber die Stadt und Festung
Varna. Es war Nacht; der treffliche Quarantäncarzt I)r. Roller kam noch an
Bord, um den Gesundheitspaß zu untersuchen, die Passagiere aber und ich zogen
es vor, auf dem Schiffe zu schlafen.

Am andern Morgen war ich vor Sonnenaufgang auf Deck, um den ge-
rötheten Ost, das allmälige Hellerwerden, die flammende Pracht der Frühstunde
in vollen Zügen zu genießen. Als die Sonne emporkam und daS Vorgebirge
bereits in lichten Umrissen dastand, lag gleichwol noch ein dichter Nebelschleier
über der Stadt Varna und seitwärts von ihr, wo das Thal sich muldet und
der breite Dewnosee seinen Abflußbach über eine flache Wiese hin ins Meer
entsendet.

Die Lage des Hafenplatzes zwischen Landsee und Meer eingeklemmt
beschrieb ich Ihnen bereits bei einer andern Gelegenheit. Varna nimmt sich
von außen her nicht eben großartig aus. Namentlich der, welcher von Süden,
vom Bosporus her kommt und Stambul und seinen magischen Totaleffect noch
im frischen Angedenken hat, wird sich nicht davon überrascht fühlen. Am
Küstenrand ein Steilufer, auf der Höhe desselben eine mit Gewehrschießscharten
durchbrochene weißangestrichne Mauer, Häuser dahinter, im Vordergrunde die
der Consuln mit ihren hohen Flaggenstangen, wie sie im Orient Brauch sind,
und das alles überragt von einer Anzahl nicht eben prächtiger, zum Theil
hölzerner Minarets, — das ist seinen Grundzügen nach das Gemälde der
Stadt. Aber dennoch liegt in dieser Einfachheit Reiz. Die Berge sind so
dicht bewaldet, der See, welcher sich weit nach dem Hintergrunde hin ausdehnt,
und zuletzt mehr hinter Hügeln verschwindet, als daß man seine Grenze ab¬
zusehen vermöchte, blickt so silbern darein, die Wiese ist so grün, der Bach,
welcher sie durchschneidet, so hell und klar, es schwebt ein so tiefer Frieden über
dem ganzen Bilde, daß man sich angeheimelt und an Deutschland, an die Küste
der Ostsee, an eine jener Städte erinnert fühlt, die von Kiel an bis Memel
das lange Gestade besetzen. Nur die Berge fehlen dort an der norddeutschen
Küste, die hier die Seene umgrenzen und sie gleichzeitig mannigfaltiger machen.

Nach Sonnenaufgang kamen die Boote, mit denen vom Lande her die
Passagiere abgeholt zu werden pflegen, ans Schiff heran und ich bestieg eines
derselben, um mich zur Stadt zu begeben.

Die Festungswerke sind ohne Bedeutung; nichtsdestoweniger hat Varna
eine bewunderungswürdige militärische Lage. Wenn man den Werth einer
Festung nach der Ausdehnung der Sphäre messen kann, welche sie beherrscht,
d. h. in welche hinein sie ihren Einfluß ausdehnt, so hat dieser Platz eine ganz
außerordentliche Wichtigkeit, natürlich nur strategisch, nicht taktisch genommen.
Der Dewnosee, dessen Längenare senkrecht auf die Küste fällt, bestimmt durch
seine Ausdehnung gleichsam den Radius des von Varna dominirten Operations-


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[0274] sich nach Norden hinziehende Steilküste, vor uns aber die Stadt und Festung Varna. Es war Nacht; der treffliche Quarantäncarzt I)r. Roller kam noch an Bord, um den Gesundheitspaß zu untersuchen, die Passagiere aber und ich zogen es vor, auf dem Schiffe zu schlafen. Am andern Morgen war ich vor Sonnenaufgang auf Deck, um den ge- rötheten Ost, das allmälige Hellerwerden, die flammende Pracht der Frühstunde in vollen Zügen zu genießen. Als die Sonne emporkam und daS Vorgebirge bereits in lichten Umrissen dastand, lag gleichwol noch ein dichter Nebelschleier über der Stadt Varna und seitwärts von ihr, wo das Thal sich muldet und der breite Dewnosee seinen Abflußbach über eine flache Wiese hin ins Meer entsendet. Die Lage des Hafenplatzes zwischen Landsee und Meer eingeklemmt beschrieb ich Ihnen bereits bei einer andern Gelegenheit. Varna nimmt sich von außen her nicht eben großartig aus. Namentlich der, welcher von Süden, vom Bosporus her kommt und Stambul und seinen magischen Totaleffect noch im frischen Angedenken hat, wird sich nicht davon überrascht fühlen. Am Küstenrand ein Steilufer, auf der Höhe desselben eine mit Gewehrschießscharten durchbrochene weißangestrichne Mauer, Häuser dahinter, im Vordergrunde die der Consuln mit ihren hohen Flaggenstangen, wie sie im Orient Brauch sind, und das alles überragt von einer Anzahl nicht eben prächtiger, zum Theil hölzerner Minarets, — das ist seinen Grundzügen nach das Gemälde der Stadt. Aber dennoch liegt in dieser Einfachheit Reiz. Die Berge sind so dicht bewaldet, der See, welcher sich weit nach dem Hintergrunde hin ausdehnt, und zuletzt mehr hinter Hügeln verschwindet, als daß man seine Grenze ab¬ zusehen vermöchte, blickt so silbern darein, die Wiese ist so grün, der Bach, welcher sie durchschneidet, so hell und klar, es schwebt ein so tiefer Frieden über dem ganzen Bilde, daß man sich angeheimelt und an Deutschland, an die Küste der Ostsee, an eine jener Städte erinnert fühlt, die von Kiel an bis Memel das lange Gestade besetzen. Nur die Berge fehlen dort an der norddeutschen Küste, die hier die Seene umgrenzen und sie gleichzeitig mannigfaltiger machen. Nach Sonnenaufgang kamen die Boote, mit denen vom Lande her die Passagiere abgeholt zu werden pflegen, ans Schiff heran und ich bestieg eines derselben, um mich zur Stadt zu begeben. Die Festungswerke sind ohne Bedeutung; nichtsdestoweniger hat Varna eine bewunderungswürdige militärische Lage. Wenn man den Werth einer Festung nach der Ausdehnung der Sphäre messen kann, welche sie beherrscht, d. h. in welche hinein sie ihren Einfluß ausdehnt, so hat dieser Platz eine ganz außerordentliche Wichtigkeit, natürlich nur strategisch, nicht taktisch genommen. Der Dewnosee, dessen Längenare senkrecht auf die Küste fällt, bestimmt durch seine Ausdehnung gleichsam den Radius des von Varna dominirten Operations-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/274>, abgerufen am 17.06.2024.