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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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That aus seiner erhabenen Ruhe gewähren läßt. Ferner verspricht Minerva
in der letzten Scene des ersten Acts die Belebung der Bildsäulen, so daß diese
Erscheinung nicht schon vollendet vor uns hintritt und verblüfft, wie es der
Fall sein müßte, wenn das Gedicht ein Drama als Monolog eröffnete.

So, sehen wir, ist im ersten Acte und in des zweiten Acts erster Scene
alles vorbereitet sür den Inhalt des Gedichts, damit es nunmehr als Monolog
Platz ergreifen kann. Der Trotz des Prometheus ist allmälig entschieden und
sammelt sich zu einer Hauptausforderung wider den Herrn der Götter und
Menschen. Aber, so frevelhaft diese ist, so hat uns doch Zeus durch seine
letzten Winke zugleich deu Maßstab gegeben, nach welchem wir diese Empörung
würdigen und sie, ohne darüber empört zu sein, anhören können. Und wenn
zuletzt Prometheus sagt, daß er lebende Menschen forme, so überrascht dies
nicht; denn wir kennen schon Minervens Verheißung.

Aber das Monologgedicht ist an diesem Orte des Dramas nicht blos,erst
gerechtfertigt, sondern hier auch nothwendig; denn die wenigen Zeilen,
welche jetzt in der zweiten Scene des zweiten Acts von Prometheus nach oben
gesprochen werden, sind nicht allein ein zu schroffer Uebergang aus der Göttcr-
nnd Titanenwelt in die Menschenwelt, sind nicht allein zu wenig für einen
das innere Leben des Helden erschließenden Monolog, wie ihn jedes Drama
- braucht, er hier aber noch sehlt, sondern es ist auch -- wie das Drama jetzt
gedruckt ist -- noch eine empfindliche Lücke zwischen dem himmelstürmenden
Trotz des ersten Acts und der Gemüthsweichheit des Prometheus am Schlüsse
des zweiten.

Dies fühlte Goethe unstreitig und schrieb deshalb den größeren Monolog.
Hier wird der schon bekannte Trotz wieder an die Spitze gestellt, aber nur um
gleich darauf seelcngeschichtlich erklärt zu werden: die Hingebung und Dank¬
barkeit des jugendlich glühenden Herzens gegen den Olympier wurde, wie
Prometheus meinte, von diesem nicht geachtet; das verletzte sein empfindungs¬
volles Herz, das verstockte es und machte es trotzig. Nachdem Prometheus so in
seine Geschichte hat blicken lassen, tritt uns die Gefühlfülle gegenüber seiner
Schöpfung nicht mehr befremdend entgegen: wir wissen nunmehr, das Gemüth
beherrscht ihn und ist auch die entschuldbare Quelle seiner Auflehnung. Wir
wenden uns nun nicht mehr von Prometheus als einem widerspruchsvollen
Wesen ab: wir kennen.nun den Mittelpunkt, der die scheinbaren Widersprüche
vereinigt'.

Wenn wir nnn aber das Gedicht "Prometheus" an dem bezeichneten Platze
des Dramas entschieden wollen, so muß es denn doch ein Bedenken erregen,
daß sich darin ein paar Stellen finden, die schon vorher im Drama vorkom¬
men. Die eine ist:


Wer half mir

Wider der Titanen Uebermuth?


That aus seiner erhabenen Ruhe gewähren läßt. Ferner verspricht Minerva
in der letzten Scene des ersten Acts die Belebung der Bildsäulen, so daß diese
Erscheinung nicht schon vollendet vor uns hintritt und verblüfft, wie es der
Fall sein müßte, wenn das Gedicht ein Drama als Monolog eröffnete.

So, sehen wir, ist im ersten Acte und in des zweiten Acts erster Scene
alles vorbereitet sür den Inhalt des Gedichts, damit es nunmehr als Monolog
Platz ergreifen kann. Der Trotz des Prometheus ist allmälig entschieden und
sammelt sich zu einer Hauptausforderung wider den Herrn der Götter und
Menschen. Aber, so frevelhaft diese ist, so hat uns doch Zeus durch seine
letzten Winke zugleich deu Maßstab gegeben, nach welchem wir diese Empörung
würdigen und sie, ohne darüber empört zu sein, anhören können. Und wenn
zuletzt Prometheus sagt, daß er lebende Menschen forme, so überrascht dies
nicht; denn wir kennen schon Minervens Verheißung.

Aber das Monologgedicht ist an diesem Orte des Dramas nicht blos,erst
gerechtfertigt, sondern hier auch nothwendig; denn die wenigen Zeilen,
welche jetzt in der zweiten Scene des zweiten Acts von Prometheus nach oben
gesprochen werden, sind nicht allein ein zu schroffer Uebergang aus der Göttcr-
nnd Titanenwelt in die Menschenwelt, sind nicht allein zu wenig für einen
das innere Leben des Helden erschließenden Monolog, wie ihn jedes Drama
- braucht, er hier aber noch sehlt, sondern es ist auch — wie das Drama jetzt
gedruckt ist — noch eine empfindliche Lücke zwischen dem himmelstürmenden
Trotz des ersten Acts und der Gemüthsweichheit des Prometheus am Schlüsse
des zweiten.

Dies fühlte Goethe unstreitig und schrieb deshalb den größeren Monolog.
Hier wird der schon bekannte Trotz wieder an die Spitze gestellt, aber nur um
gleich darauf seelcngeschichtlich erklärt zu werden: die Hingebung und Dank¬
barkeit des jugendlich glühenden Herzens gegen den Olympier wurde, wie
Prometheus meinte, von diesem nicht geachtet; das verletzte sein empfindungs¬
volles Herz, das verstockte es und machte es trotzig. Nachdem Prometheus so in
seine Geschichte hat blicken lassen, tritt uns die Gefühlfülle gegenüber seiner
Schöpfung nicht mehr befremdend entgegen: wir wissen nunmehr, das Gemüth
beherrscht ihn und ist auch die entschuldbare Quelle seiner Auflehnung. Wir
wenden uns nun nicht mehr von Prometheus als einem widerspruchsvollen
Wesen ab: wir kennen.nun den Mittelpunkt, der die scheinbaren Widersprüche
vereinigt'.

Wenn wir nnn aber das Gedicht „Prometheus" an dem bezeichneten Platze
des Dramas entschieden wollen, so muß es denn doch ein Bedenken erregen,
daß sich darin ein paar Stellen finden, die schon vorher im Drama vorkom¬
men. Die eine ist:


Wer half mir

Wider der Titanen Uebermuth?


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[0031] That aus seiner erhabenen Ruhe gewähren läßt. Ferner verspricht Minerva in der letzten Scene des ersten Acts die Belebung der Bildsäulen, so daß diese Erscheinung nicht schon vollendet vor uns hintritt und verblüfft, wie es der Fall sein müßte, wenn das Gedicht ein Drama als Monolog eröffnete. So, sehen wir, ist im ersten Acte und in des zweiten Acts erster Scene alles vorbereitet sür den Inhalt des Gedichts, damit es nunmehr als Monolog Platz ergreifen kann. Der Trotz des Prometheus ist allmälig entschieden und sammelt sich zu einer Hauptausforderung wider den Herrn der Götter und Menschen. Aber, so frevelhaft diese ist, so hat uns doch Zeus durch seine letzten Winke zugleich deu Maßstab gegeben, nach welchem wir diese Empörung würdigen und sie, ohne darüber empört zu sein, anhören können. Und wenn zuletzt Prometheus sagt, daß er lebende Menschen forme, so überrascht dies nicht; denn wir kennen schon Minervens Verheißung. Aber das Monologgedicht ist an diesem Orte des Dramas nicht blos,erst gerechtfertigt, sondern hier auch nothwendig; denn die wenigen Zeilen, welche jetzt in der zweiten Scene des zweiten Acts von Prometheus nach oben gesprochen werden, sind nicht allein ein zu schroffer Uebergang aus der Göttcr- nnd Titanenwelt in die Menschenwelt, sind nicht allein zu wenig für einen das innere Leben des Helden erschließenden Monolog, wie ihn jedes Drama - braucht, er hier aber noch sehlt, sondern es ist auch — wie das Drama jetzt gedruckt ist — noch eine empfindliche Lücke zwischen dem himmelstürmenden Trotz des ersten Acts und der Gemüthsweichheit des Prometheus am Schlüsse des zweiten. Dies fühlte Goethe unstreitig und schrieb deshalb den größeren Monolog. Hier wird der schon bekannte Trotz wieder an die Spitze gestellt, aber nur um gleich darauf seelcngeschichtlich erklärt zu werden: die Hingebung und Dank¬ barkeit des jugendlich glühenden Herzens gegen den Olympier wurde, wie Prometheus meinte, von diesem nicht geachtet; das verletzte sein empfindungs¬ volles Herz, das verstockte es und machte es trotzig. Nachdem Prometheus so in seine Geschichte hat blicken lassen, tritt uns die Gefühlfülle gegenüber seiner Schöpfung nicht mehr befremdend entgegen: wir wissen nunmehr, das Gemüth beherrscht ihn und ist auch die entschuldbare Quelle seiner Auflehnung. Wir wenden uns nun nicht mehr von Prometheus als einem widerspruchsvollen Wesen ab: wir kennen.nun den Mittelpunkt, der die scheinbaren Widersprüche vereinigt'. Wenn wir nnn aber das Gedicht „Prometheus" an dem bezeichneten Platze des Dramas entschieden wollen, so muß es denn doch ein Bedenken erregen, daß sich darin ein paar Stellen finden, die schon vorher im Drama vorkom¬ men. Die eine ist: Wer half mir Wider der Titanen Uebermuth?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/31>, abgerufen am 26.05.2024.