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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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welche an diese erinnert:

Die andre Stelle des Gedichts:

steht theils fast wörtlich in des Prometheus Antwort an Merkur:

theils gleich darauf im weiteren Laufe des Gesprächs, wo Prometheus an Mer¬
kur Fragen richtet, deren Sinn eben auch nur ist: könnt ihr mich zu dem
machen, was ich sein will? Er schließt:


Vermöge Ihr mich auszudehnen
Zu einer Welt?

Merkur.

Das Schicksal!

Anerkennst du seine Macht?
Ich auch! --
Geh, ich diene nicht Vasallen!***)

Prometheus.

Sind wir nun berechtigt, diese Reminiscenzen zu vertilgen, wenn wir das
Drama im Sinne Goethes ergänzen wollen? Dürfen'wir ein Wort streichen,
ohne die Pietät gegen den Dichter und sein Werk zu verletzen?

An sich habe ich den Muth, mit Ja zu antworten. Als Goethe das Ge¬
dicht niederschrieb, hatte er das Drama schon aus den Händen gegeben; die
prometheischen Gedanken schwebten ihm noch zu mannigfaltig im Kopfe umher,
als daß er sich hätte besinnen mögen, was er davon schon ins Drama aufge¬
nommen hatte und so geschah es, daß er sich unabsichtlich wiederholte. Zu
streichen ist also ohne Scheu und es fragt sich nur wo?

Den ersten Doppelgänger, den Bezug auf den Titanenkamps, bin ich ge¬
neigt zu belassen. Die Wiederholung ist nicht genau wörtlich und schlüpft mit
durch; beide Male ist die Stelle nicht wol entbehrlich und die Ehrfurcht ge¬
bietet aufrechtzuerhalten, was möglich ist.

Aber so leicht geht es nicht beim andern Selbstplagiat: dieses würde an¬
stößig sein. Das erste Vorkommen der betreffenden Stelle ließe sich nun aber
gar nicht einfach streichen, es müßte dort vielmehr eine völlige Umarbeitung
vorgenommen werden' und davon darf freilich die Rede nicht sein. Also wir
haben Hand an den einzuschiebenden Monolog zu legen. Und hier können die





*) A. a. O. S. 232.
Ebenda.
A. a. O. S. 232 fg-

welche an diese erinnert:

Die andre Stelle des Gedichts:

steht theils fast wörtlich in des Prometheus Antwort an Merkur:

theils gleich darauf im weiteren Laufe des Gesprächs, wo Prometheus an Mer¬
kur Fragen richtet, deren Sinn eben auch nur ist: könnt ihr mich zu dem
machen, was ich sein will? Er schließt:


Vermöge Ihr mich auszudehnen
Zu einer Welt?

Merkur.

Das Schicksal!

Anerkennst du seine Macht?
Ich auch! —
Geh, ich diene nicht Vasallen!***)

Prometheus.

Sind wir nun berechtigt, diese Reminiscenzen zu vertilgen, wenn wir das
Drama im Sinne Goethes ergänzen wollen? Dürfen'wir ein Wort streichen,
ohne die Pietät gegen den Dichter und sein Werk zu verletzen?

An sich habe ich den Muth, mit Ja zu antworten. Als Goethe das Ge¬
dicht niederschrieb, hatte er das Drama schon aus den Händen gegeben; die
prometheischen Gedanken schwebten ihm noch zu mannigfaltig im Kopfe umher,
als daß er sich hätte besinnen mögen, was er davon schon ins Drama aufge¬
nommen hatte und so geschah es, daß er sich unabsichtlich wiederholte. Zu
streichen ist also ohne Scheu und es fragt sich nur wo?

Den ersten Doppelgänger, den Bezug auf den Titanenkamps, bin ich ge¬
neigt zu belassen. Die Wiederholung ist nicht genau wörtlich und schlüpft mit
durch; beide Male ist die Stelle nicht wol entbehrlich und die Ehrfurcht ge¬
bietet aufrechtzuerhalten, was möglich ist.

Aber so leicht geht es nicht beim andern Selbstplagiat: dieses würde an¬
stößig sein. Das erste Vorkommen der betreffenden Stelle ließe sich nun aber
gar nicht einfach streichen, es müßte dort vielmehr eine völlige Umarbeitung
vorgenommen werden' und davon darf freilich die Rede nicht sein. Also wir
haben Hand an den einzuschiebenden Monolog zu legen. Und hier können die





*) A. a. O. S. 232.
Ebenda.
A. a. O. S. 232 fg-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/32>, abgerufen am 26.05.2024.