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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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an Schönborn ist in der Sammlung von Jahr. Die Jubelfeier Goethes von
1825, die beiläufig ziemlich uninteressant ist, findet man bereits in übertriebener
Ausführlichkeit in Zelters Briefwechsel. Das Tagebuch der Schauspielerin
Fanny Kemble über das Verhältniß Goethes zu Lotte wird durch das Er¬
scheinen der Kestnerschen Briefe überflüssig gemacht. So bleibt im Grunde
nichts Anderes übrig, als die Unterredung deS Professor Dietmar mit Goethe
1786, die aber im Detail ohne Zweifel ungenau ist. -- Eine hübsche Anekdote
über die Unverschämtheit der Touristen, den berühmten Dichter zu überlaufen,
die uns noch unbekannt war, finden wir S. 133. Der Gatte der Madame
Händel-Schütz, trat einmal bei ihm ein, ohne gemeldet zu sein; da trat Goethe
aus der nächsten Thür und fragte ihn: "wer sind Sie?" Schütz antwortete:
"ich bin der Verfasser von" -- und nun nannte er den Titel einer verscholle¬
nen kleinen Schrift. "Und wer ist denn der?" war die zweite Frage Goethes,
die jener so übelnahm, daß er sich ohne Abschied entfernte. -- Die Geschichte
von der närrischen Adoration Schillers in Lauchstädt durch Hallenser Studenten
1803 haben wir gleichfalls schon gelesen; wahrscheinlich in einer Schrift von
Döring. Aus der Zeit von Schillers Anwesenheit in Berlin 1804 erfahren
wir, daß Schiller von den Söhnen des Thals außerordentlich eingenommen
gewesen ist. -- Ueber Wielands Privatleben erfahren wir mehre recht inter-
essante Curiosa, Am meisten Spaß hat uns die Erzählung vom Zusammen¬
leben Wielands mit Sophie Brentano, 1800, gemacht. Die beiden Herrschaften
sagen sich die erstaunlichsten Zärtlichkeiten, schwärmen miteinander über höhere
Liebe, und dazu liest ihr Wieland -- den Aristipp vor. -- Eine sehr amüsante
Episode aus dem Leben Heinrichs v. Kleist erzählt Peguilhen- Ein paar
Monate vor dem Tode des Dichters versuchte Frau Händel-Schütz ihn in den
höheren Mysterien verschwisterter Seelen u. f. w. zu unterrichten, was den
keuschen Dichter so außer Fassung setzte, daß er ohne Hut aus der Gesellschaft
stürzte und in einen förmlichen Wuthausbruch gerieth. -- Ferner erwähnen wir
die Schilderung von den Gesellschaften der Johanna Schopenhauer in Weimar,
die seit 1806 den Mittelpunkt der schönen Geister bildeten. Sehr erfreut haben
uns die Anekdoten über Chamisso, die uns ihn wieder in seiner vollen Liebens¬
würdigkeit zeigen. Wir führen die eine an. Er unterhielt sich mit Friedrich
Kurth über den Ahasver von Mosen. "Ich kann nicht glauben," sagte er,
"daß er stark gelesen wird, aber es geschieht ihm immer recht, warum geht er
auch an ein Thema, das uns fremd ist! Es ist nicht gut, nicht gut," setzte er
mit Unwillen hinzu, "die Dichter sind alle viel zu stolz, ein Dichter muß nicht
stolz sein und das aufgreifen, was die Zeit ihm gibt und was die Welt haben
will. Der Ahasver, ja was ist der Ahasver, was geht mich der Ahasver an?----
Ein Dichter muß sich nicht suchen, er muß Gott danken, wenn er all das Gefundene
so aussprechen kann, wie er es fühlt! Thema, Thema, Thema ist allenthalben,


an Schönborn ist in der Sammlung von Jahr. Die Jubelfeier Goethes von
1825, die beiläufig ziemlich uninteressant ist, findet man bereits in übertriebener
Ausführlichkeit in Zelters Briefwechsel. Das Tagebuch der Schauspielerin
Fanny Kemble über das Verhältniß Goethes zu Lotte wird durch das Er¬
scheinen der Kestnerschen Briefe überflüssig gemacht. So bleibt im Grunde
nichts Anderes übrig, als die Unterredung deS Professor Dietmar mit Goethe
1786, die aber im Detail ohne Zweifel ungenau ist. — Eine hübsche Anekdote
über die Unverschämtheit der Touristen, den berühmten Dichter zu überlaufen,
die uns noch unbekannt war, finden wir S. 133. Der Gatte der Madame
Händel-Schütz, trat einmal bei ihm ein, ohne gemeldet zu sein; da trat Goethe
aus der nächsten Thür und fragte ihn: „wer sind Sie?" Schütz antwortete:
„ich bin der Verfasser von" — und nun nannte er den Titel einer verscholle¬
nen kleinen Schrift. „Und wer ist denn der?" war die zweite Frage Goethes,
die jener so übelnahm, daß er sich ohne Abschied entfernte. — Die Geschichte
von der närrischen Adoration Schillers in Lauchstädt durch Hallenser Studenten
1803 haben wir gleichfalls schon gelesen; wahrscheinlich in einer Schrift von
Döring. Aus der Zeit von Schillers Anwesenheit in Berlin 1804 erfahren
wir, daß Schiller von den Söhnen des Thals außerordentlich eingenommen
gewesen ist. — Ueber Wielands Privatleben erfahren wir mehre recht inter-
essante Curiosa, Am meisten Spaß hat uns die Erzählung vom Zusammen¬
leben Wielands mit Sophie Brentano, 1800, gemacht. Die beiden Herrschaften
sagen sich die erstaunlichsten Zärtlichkeiten, schwärmen miteinander über höhere
Liebe, und dazu liest ihr Wieland — den Aristipp vor. — Eine sehr amüsante
Episode aus dem Leben Heinrichs v. Kleist erzählt Peguilhen- Ein paar
Monate vor dem Tode des Dichters versuchte Frau Händel-Schütz ihn in den
höheren Mysterien verschwisterter Seelen u. f. w. zu unterrichten, was den
keuschen Dichter so außer Fassung setzte, daß er ohne Hut aus der Gesellschaft
stürzte und in einen förmlichen Wuthausbruch gerieth. — Ferner erwähnen wir
die Schilderung von den Gesellschaften der Johanna Schopenhauer in Weimar,
die seit 1806 den Mittelpunkt der schönen Geister bildeten. Sehr erfreut haben
uns die Anekdoten über Chamisso, die uns ihn wieder in seiner vollen Liebens¬
würdigkeit zeigen. Wir führen die eine an. Er unterhielt sich mit Friedrich
Kurth über den Ahasver von Mosen. „Ich kann nicht glauben," sagte er,
„daß er stark gelesen wird, aber es geschieht ihm immer recht, warum geht er
auch an ein Thema, das uns fremd ist! Es ist nicht gut, nicht gut," setzte er
mit Unwillen hinzu, „die Dichter sind alle viel zu stolz, ein Dichter muß nicht
stolz sein und das aufgreifen, was die Zeit ihm gibt und was die Welt haben
will. Der Ahasver, ja was ist der Ahasver, was geht mich der Ahasver an?----
Ein Dichter muß sich nicht suchen, er muß Gott danken, wenn er all das Gefundene
so aussprechen kann, wie er es fühlt! Thema, Thema, Thema ist allenthalben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/342>, abgerufen am 19.05.2024.