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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Und es wäre gut, wenn alle nur das schrieben, was sie müssen! .... Man
muß hier nicht immer von der Zeit sprechen; auch individuelle Zustände sind
voll Kraft und Leben, der Stoff muß immer den Dichter bewältigen, dann
sieh zu, wie du fertig wirst! Und wems Gott gegeben, der wird schon fertig!"
-- Wichtig sind serner die Beiträge zum Leben von Zachan'as Werner; sie
finden sich weder in der Biographie von Hitzig, noch in der nach unsrer Ansicht
ungleich wichtigeren von Stephan Schütze. Es werden uns darin die Be¬
ziehungen Werners zu zwei eigenthümlichen Menschen, Raphael Bock und Chri¬
stian Mayr, auseinandergesetzt. Der erste, den Werner 1803 auf einer Reise
nach Königsberg kennen lernte, trat bald darauf zur katholischen Kirche über,
sehr gegen die damalige Ansicht Werners, der von seinem maurerischen Geheim¬
bund das Heil der Welt erwartete, wurde Mönch, sand aber darin keine Be¬
friedigung und kehrte zum Protestantismus zurück. Fichte sand Anlagen zur
Philosophie in diesem Mann, was denjenigen, die den wackeren Secretär der
Königsberger Bibliothek persönlich gekannt haben, ziemlich wunderbar vorkommen
muß. -- Einflußreicher war die Erscheinung Mayrs, der eine Zeitlang Ge-
heimsecretär bei Wöllner war. Mayrs äußere Erscheinung war außerordentlich
zu nennen: ein kleiner, krummer Mann, schielend, glatzköpfig, schwache Kinder-
beinchen, auf denen ein breiter Rumpf und ausgedehnter Schädel ruhte, sein
Gang schleichend, die Stirn hochgewölbt, vielfach von feinem blauem Geäder
durchzogen; sein Staatsanzug beim Besuch der Freimaurerlogen, und wenn er
nicht als Prediger fungirte, höchst sonderbar: Schuhe mit großen blitzenden
Schnallen, schwarzseidene Strümpfe, schwarzatlasne Beinkleider und Weste, ein
orangenfarbener Leibrock mit großen schwarzen Knöpfen besetzt. Um ein Gesicht
aus der Apokalypse zu verwirklichen, verschlang er den größten Theil eines
Bibeleremplars, trug aber statt der gehofften Erleichterung ein hitziges Fieber
davon. Er verfiel durch das Nachsinnen über das Geheimniß der Trinität in
Geistesverrückung, schoß mit Pistolen von der Kanzel und verwundete wirklich
einen bei seiner Predigt eingeschlafenen Mann, .auf den er mit den Worten
schoß: "Dich will ich wecken." Alles erfaßte er materiell: beim Abendmahl
wollte er wirkliches Fleisch und Blut hervorbringen; alle Religionsformen mischte
er, hörte oft an einem Tage des Morgens Messe, auf seinem Angesicht liegend,
Predigte dann in seiner Kirche und ertheilte die Communion und endete den
Tag mit dem Besuch der Mennonitengemeinde, der Synagoge und der Frei¬
maurerloge. Alle diese Geschichten müssen demjenigen unbegreiflich vorkommen,
der nicht noch den Bodensatz der alten Schönherrschen Sekte in Königsberg
gekannt hat, einer Sekte, an welcher Mitglieder der höchsten Aristokratie bethei¬
ligt waren. Dieser Mann nun stand nach den vorliegenden Mittheilungen mit
den "Kreuzesbrüdern im Orient" in Verbindung, und ihre Korrespondenz ging
über Bukarest. Diesen Brüdern wollte er seinen Freund Werner zuführen.


Und es wäre gut, wenn alle nur das schrieben, was sie müssen! .... Man
muß hier nicht immer von der Zeit sprechen; auch individuelle Zustände sind
voll Kraft und Leben, der Stoff muß immer den Dichter bewältigen, dann
sieh zu, wie du fertig wirst! Und wems Gott gegeben, der wird schon fertig!"
— Wichtig sind serner die Beiträge zum Leben von Zachan'as Werner; sie
finden sich weder in der Biographie von Hitzig, noch in der nach unsrer Ansicht
ungleich wichtigeren von Stephan Schütze. Es werden uns darin die Be¬
ziehungen Werners zu zwei eigenthümlichen Menschen, Raphael Bock und Chri¬
stian Mayr, auseinandergesetzt. Der erste, den Werner 1803 auf einer Reise
nach Königsberg kennen lernte, trat bald darauf zur katholischen Kirche über,
sehr gegen die damalige Ansicht Werners, der von seinem maurerischen Geheim¬
bund das Heil der Welt erwartete, wurde Mönch, sand aber darin keine Be¬
friedigung und kehrte zum Protestantismus zurück. Fichte sand Anlagen zur
Philosophie in diesem Mann, was denjenigen, die den wackeren Secretär der
Königsberger Bibliothek persönlich gekannt haben, ziemlich wunderbar vorkommen
muß. — Einflußreicher war die Erscheinung Mayrs, der eine Zeitlang Ge-
heimsecretär bei Wöllner war. Mayrs äußere Erscheinung war außerordentlich
zu nennen: ein kleiner, krummer Mann, schielend, glatzköpfig, schwache Kinder-
beinchen, auf denen ein breiter Rumpf und ausgedehnter Schädel ruhte, sein
Gang schleichend, die Stirn hochgewölbt, vielfach von feinem blauem Geäder
durchzogen; sein Staatsanzug beim Besuch der Freimaurerlogen, und wenn er
nicht als Prediger fungirte, höchst sonderbar: Schuhe mit großen blitzenden
Schnallen, schwarzseidene Strümpfe, schwarzatlasne Beinkleider und Weste, ein
orangenfarbener Leibrock mit großen schwarzen Knöpfen besetzt. Um ein Gesicht
aus der Apokalypse zu verwirklichen, verschlang er den größten Theil eines
Bibeleremplars, trug aber statt der gehofften Erleichterung ein hitziges Fieber
davon. Er verfiel durch das Nachsinnen über das Geheimniß der Trinität in
Geistesverrückung, schoß mit Pistolen von der Kanzel und verwundete wirklich
einen bei seiner Predigt eingeschlafenen Mann, .auf den er mit den Worten
schoß: „Dich will ich wecken." Alles erfaßte er materiell: beim Abendmahl
wollte er wirkliches Fleisch und Blut hervorbringen; alle Religionsformen mischte
er, hörte oft an einem Tage des Morgens Messe, auf seinem Angesicht liegend,
Predigte dann in seiner Kirche und ertheilte die Communion und endete den
Tag mit dem Besuch der Mennonitengemeinde, der Synagoge und der Frei¬
maurerloge. Alle diese Geschichten müssen demjenigen unbegreiflich vorkommen,
der nicht noch den Bodensatz der alten Schönherrschen Sekte in Königsberg
gekannt hat, einer Sekte, an welcher Mitglieder der höchsten Aristokratie bethei¬
ligt waren. Dieser Mann nun stand nach den vorliegenden Mittheilungen mit
den „Kreuzesbrüdern im Orient" in Verbindung, und ihre Korrespondenz ging
über Bukarest. Diesen Brüdern wollte er seinen Freund Werner zuführen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/343>, abgerufen am 10.06.2024.