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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Veraltetes, Vergessenes aufzutischen. Wo das letztere geschieht, du ist die
vorgespiegelte Belehrung nichts weiter als ein Betrug.

Diese und andere Gedanken drängten sich mir auf, als ich vor einiger
Zeit in einem der häuslichen Unterhaltung bestimmten Blatte einen Artikel
über "die künstlichen Wohlgerüche", angeblich "von einem Chemiker" fand.
In dem kurzen Raume dieses kleinen Artikels ist soviel Unbekanntschaft mit
der neuern Chemie zusammengedrängt, als eine ausschweifende Phantasie nur
verlangen kann. Abgesehen davon, daß derselbe unter "künstlichen Wohl¬
gerüchen" nur die natürlichen zu verstehen scheint, -- von der Tonkabohne,
deren Cumarin ihm unbekannt zu sein scheint, sagt: "sie riecht steinklecartig
nach Benzoe" -- das Fuselöl für ein flüchtiges Oel hält und es mit dein
Aroma der Branntweine identistcirt, "jenachdem sein Geruch angenehm oder
unangenehm ist", -- den Weingeist aus Wein für besser hält als den aus
andern Stoffen, -- die Ambra für vergessen und wenig werthvoll erklärt --
finden wir an der Stirn dieses Aufsatzes folgenden schönklingenden Passus:
"Woher kommen die künstlichen Wohlgerüche? Es geht unter Laien die Sage,
der chemische, durch die Neuzeit so hochgeförderte Proceß gewönne sie an
Dingen, die mit Blumen und Blüten in keinem Zusammenhang, ja im grade-
sten Gegensatz zu ihnen ständen. Das ist ein Irrthum. Auch die Wohl¬
gerüche, mit denen du dein Zimmer, deine Kleider, deine Haare durchduften
lässest, stammen aus Floras Blumenfüllhorn, sind die wirklichen ätherischen
Seelen der Pflanzenwelt"!!! -- Es offenbart sich in diesem Satze eine so
große Unkenntnis) der Chemie, daß ihn kein Chemiker niedergeschrieben haben
kann oder nur ein solcher, dem, was seit zwanzig Jahren die Wissen¬
schaft erobert hat, eine terra, meoxnilu, ist. Eine kurze Widerlegung wird
umsomehr am Orte sein, als sie dem Leser flüchtigen Einblick in eine der
interessantesten Abtheilungen des großen chemischen Laboratoriums der Welt
gestattet.

Thatsache ist, daß die feinsten, ätherischsten Wohlgerüche grade aus Gegen¬
ständen gewonnen werden, welche sich allerdings zu den Kindern aus "Floras
Blumenfullhorn" in diametralem Gegensatz befinden, und es ist kein geringer
Triumph der Wissenschaft, daß es so ist, wenngleich hie ästhetische Färbung
des Lebens einigermaßen darunter leidet. Jedermann kennt den Steinkohlen¬
theer, welcher als Nebenproduct der Leuchtgaserzeugung gewonnen wird, und
weiß, daß sich wenige Stoffe der Welt an abstoßendem Geruch mit ihm messen
können. Nun -- eben aus diesem Steinkohlentheer wird durch doppelte"
Destillationsproccß und Zusatz vou Salpetersäure (Scheidewasser) ein Stoff,
das Nitrobenzol, gewonnen, welches dem hochgeschätzten Parfüm des Bitter¬
mandelöls so täuschend ähnlich ist, daß der Verbrauch des letzteren selbst in
der Neuzeit ganz aufgehört hat. Das Nitrobenzol, welches in großen Fu-


Veraltetes, Vergessenes aufzutischen. Wo das letztere geschieht, du ist die
vorgespiegelte Belehrung nichts weiter als ein Betrug.

Diese und andere Gedanken drängten sich mir auf, als ich vor einiger
Zeit in einem der häuslichen Unterhaltung bestimmten Blatte einen Artikel
über „die künstlichen Wohlgerüche", angeblich „von einem Chemiker" fand.
In dem kurzen Raume dieses kleinen Artikels ist soviel Unbekanntschaft mit
der neuern Chemie zusammengedrängt, als eine ausschweifende Phantasie nur
verlangen kann. Abgesehen davon, daß derselbe unter „künstlichen Wohl¬
gerüchen" nur die natürlichen zu verstehen scheint, — von der Tonkabohne,
deren Cumarin ihm unbekannt zu sein scheint, sagt: „sie riecht steinklecartig
nach Benzoe" — das Fuselöl für ein flüchtiges Oel hält und es mit dein
Aroma der Branntweine identistcirt, „jenachdem sein Geruch angenehm oder
unangenehm ist", — den Weingeist aus Wein für besser hält als den aus
andern Stoffen, — die Ambra für vergessen und wenig werthvoll erklärt —
finden wir an der Stirn dieses Aufsatzes folgenden schönklingenden Passus:
„Woher kommen die künstlichen Wohlgerüche? Es geht unter Laien die Sage,
der chemische, durch die Neuzeit so hochgeförderte Proceß gewönne sie an
Dingen, die mit Blumen und Blüten in keinem Zusammenhang, ja im grade-
sten Gegensatz zu ihnen ständen. Das ist ein Irrthum. Auch die Wohl¬
gerüche, mit denen du dein Zimmer, deine Kleider, deine Haare durchduften
lässest, stammen aus Floras Blumenfüllhorn, sind die wirklichen ätherischen
Seelen der Pflanzenwelt"!!! — Es offenbart sich in diesem Satze eine so
große Unkenntnis) der Chemie, daß ihn kein Chemiker niedergeschrieben haben
kann oder nur ein solcher, dem, was seit zwanzig Jahren die Wissen¬
schaft erobert hat, eine terra, meoxnilu, ist. Eine kurze Widerlegung wird
umsomehr am Orte sein, als sie dem Leser flüchtigen Einblick in eine der
interessantesten Abtheilungen des großen chemischen Laboratoriums der Welt
gestattet.

Thatsache ist, daß die feinsten, ätherischsten Wohlgerüche grade aus Gegen¬
ständen gewonnen werden, welche sich allerdings zu den Kindern aus „Floras
Blumenfullhorn" in diametralem Gegensatz befinden, und es ist kein geringer
Triumph der Wissenschaft, daß es so ist, wenngleich hie ästhetische Färbung
des Lebens einigermaßen darunter leidet. Jedermann kennt den Steinkohlen¬
theer, welcher als Nebenproduct der Leuchtgaserzeugung gewonnen wird, und
weiß, daß sich wenige Stoffe der Welt an abstoßendem Geruch mit ihm messen
können. Nun — eben aus diesem Steinkohlentheer wird durch doppelte»
Destillationsproccß und Zusatz vou Salpetersäure (Scheidewasser) ein Stoff,
das Nitrobenzol, gewonnen, welches dem hochgeschätzten Parfüm des Bitter¬
mandelöls so täuschend ähnlich ist, daß der Verbrauch des letzteren selbst in
der Neuzeit ganz aufgehört hat. Das Nitrobenzol, welches in großen Fu-


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[0390] Veraltetes, Vergessenes aufzutischen. Wo das letztere geschieht, du ist die vorgespiegelte Belehrung nichts weiter als ein Betrug. Diese und andere Gedanken drängten sich mir auf, als ich vor einiger Zeit in einem der häuslichen Unterhaltung bestimmten Blatte einen Artikel über „die künstlichen Wohlgerüche", angeblich „von einem Chemiker" fand. In dem kurzen Raume dieses kleinen Artikels ist soviel Unbekanntschaft mit der neuern Chemie zusammengedrängt, als eine ausschweifende Phantasie nur verlangen kann. Abgesehen davon, daß derselbe unter „künstlichen Wohl¬ gerüchen" nur die natürlichen zu verstehen scheint, — von der Tonkabohne, deren Cumarin ihm unbekannt zu sein scheint, sagt: „sie riecht steinklecartig nach Benzoe" — das Fuselöl für ein flüchtiges Oel hält und es mit dein Aroma der Branntweine identistcirt, „jenachdem sein Geruch angenehm oder unangenehm ist", — den Weingeist aus Wein für besser hält als den aus andern Stoffen, — die Ambra für vergessen und wenig werthvoll erklärt — finden wir an der Stirn dieses Aufsatzes folgenden schönklingenden Passus: „Woher kommen die künstlichen Wohlgerüche? Es geht unter Laien die Sage, der chemische, durch die Neuzeit so hochgeförderte Proceß gewönne sie an Dingen, die mit Blumen und Blüten in keinem Zusammenhang, ja im grade- sten Gegensatz zu ihnen ständen. Das ist ein Irrthum. Auch die Wohl¬ gerüche, mit denen du dein Zimmer, deine Kleider, deine Haare durchduften lässest, stammen aus Floras Blumenfüllhorn, sind die wirklichen ätherischen Seelen der Pflanzenwelt"!!! — Es offenbart sich in diesem Satze eine so große Unkenntnis) der Chemie, daß ihn kein Chemiker niedergeschrieben haben kann oder nur ein solcher, dem, was seit zwanzig Jahren die Wissen¬ schaft erobert hat, eine terra, meoxnilu, ist. Eine kurze Widerlegung wird umsomehr am Orte sein, als sie dem Leser flüchtigen Einblick in eine der interessantesten Abtheilungen des großen chemischen Laboratoriums der Welt gestattet. Thatsache ist, daß die feinsten, ätherischsten Wohlgerüche grade aus Gegen¬ ständen gewonnen werden, welche sich allerdings zu den Kindern aus „Floras Blumenfullhorn" in diametralem Gegensatz befinden, und es ist kein geringer Triumph der Wissenschaft, daß es so ist, wenngleich hie ästhetische Färbung des Lebens einigermaßen darunter leidet. Jedermann kennt den Steinkohlen¬ theer, welcher als Nebenproduct der Leuchtgaserzeugung gewonnen wird, und weiß, daß sich wenige Stoffe der Welt an abstoßendem Geruch mit ihm messen können. Nun — eben aus diesem Steinkohlentheer wird durch doppelte» Destillationsproccß und Zusatz vou Salpetersäure (Scheidewasser) ein Stoff, das Nitrobenzol, gewonnen, welches dem hochgeschätzten Parfüm des Bitter¬ mandelöls so täuschend ähnlich ist, daß der Verbrauch des letzteren selbst in der Neuzeit ganz aufgehört hat. Das Nitrobenzol, welches in großen Fu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/390>, abgerufen am 17.06.2024.