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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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mir mehr Vergnügen, als einem jungen Mädchen ein Roman. Es ist für mich
etwas Schreckliches, wenn ich aus Ihren Etats sehen muß, daß Ihre Corps
nicht in ein und derselben Provinz vereinigt sind." Ueberhaupt sind die mili¬
tärischen Lectionen, die der Kaiser seinem Bruder ertheilt, nicht weniger interessant
als die politischen, und nur der große Raum, den sie einnehmen, ist Schuld,
daß sie hier keinen Platz finden können. Wir verweisen jedoch in dieser Hin¬
sicht über den Plan zu Dislocation der in Neapel befindlichen Truppen
(II. Thl. S. 6ö der Uebersetzung), auf die ausführliche Korrespondenz über
die Befestigung verschiedener wichtiger Punkte (Sept. u. Aug. 1806) und
andere. Mitten im Wirbel der wichtigsten Ereignisse entgeht Napoleon selbst
nicht die ordnungswidrige Disposition der kleinsten Truppenabtheilung, und
sein Auge erfaßt das Größte und das Kleinste mit gleicher Schnelligkeit und
Schärfe.

Als Napoleon nach Josephs Einzug in Neapel durch seines Bruders
Proklamationen und Briefe erfuhr, welche Politik der neue König gegen seine
Unterthanen zu befolge" gedachte, entwickelte er seine Ansichten mit größerer
Schroffheit. Sie sind die wahre Quintessenz der Staatskunst eines genialen
Despoten. Er gibt von vornherein jede Hoffnung auf, durch Güte die
Neapolitaner für die französische Dynastie zu gewinnen; der Gedanke Josephs,
Neapel sür die Neapolitaner zu . regieren, erscheint ihm sentimental und fast
lächerlich, und das einzige Regierungömittel, in das er Vertrauen setzt, ist
schonungslose Gewalt. Sein Bruder hatte bei seinem Erscheinen im Lande
den Neapolitanern versprochen, ihnen keine Kriegssteuer aufzuerlegen, das
Privateigenthum zu schönen, ihnen Ordnung, Gerechtigkeit, Friede und Glück
zu bringen. Damit ist der Kaiser sehr unzufrieden. Weit entfernt, das Land
mit Kriegssteuern zu verschonen, verlangt er sie aus Grundsatz, sowol um das
Land zu erschöpfen und ohnmächtiger zum Widerstand zu macheu, als auch
um die Armee zu belohnen. So schreibt er im März: "Mein Bruder/ ich
sehe, daß Sie in einer Ihrer Proclamationen versprechen, keine Kriegssteuer
aufzuerlege.it und den Soldaten verbieten, den Tisch von ihren Wirthen zu
verlangen. Nach meiner Ansicht sind Ihre Maßregeln zu zaghaft. Mit Lieb¬
kosungen gewinnt man die Völker nicht, und mit solchen Maßregeln werden
Sie nie die Mittel erhalten, Ihrer Armee die wohlverdienten Belohnungen zu.
ertheilen. Legen Sie dem Königreich Neapel 30 Millionen Steuern auf;
bezahlen Sie Ihre Armee gut, remontiren Sie Ihre Reiterei und das Fuhr¬
wesen, lassen Sie Schuhe und Kleider machen: alles das kann man nur,'wenn
man Geld hat. Nach meinem Dafürhalten wäre es doch gar zu lächerlich,
wenn die Eroberung von Neapel nicht einmal meiner Armee Wohlsein und
Behagen zum Lohn einbrächte. Sie können unmöglich innerhalb dieser Grenzen
bleiben. Ich hö^. nicht, daß Sie Lazaroniö hätten erschießen lassen, und den-
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mir mehr Vergnügen, als einem jungen Mädchen ein Roman. Es ist für mich
etwas Schreckliches, wenn ich aus Ihren Etats sehen muß, daß Ihre Corps
nicht in ein und derselben Provinz vereinigt sind." Ueberhaupt sind die mili¬
tärischen Lectionen, die der Kaiser seinem Bruder ertheilt, nicht weniger interessant
als die politischen, und nur der große Raum, den sie einnehmen, ist Schuld,
daß sie hier keinen Platz finden können. Wir verweisen jedoch in dieser Hin¬
sicht über den Plan zu Dislocation der in Neapel befindlichen Truppen
(II. Thl. S. 6ö der Uebersetzung), auf die ausführliche Korrespondenz über
die Befestigung verschiedener wichtiger Punkte (Sept. u. Aug. 1806) und
andere. Mitten im Wirbel der wichtigsten Ereignisse entgeht Napoleon selbst
nicht die ordnungswidrige Disposition der kleinsten Truppenabtheilung, und
sein Auge erfaßt das Größte und das Kleinste mit gleicher Schnelligkeit und
Schärfe.

Als Napoleon nach Josephs Einzug in Neapel durch seines Bruders
Proklamationen und Briefe erfuhr, welche Politik der neue König gegen seine
Unterthanen zu befolge» gedachte, entwickelte er seine Ansichten mit größerer
Schroffheit. Sie sind die wahre Quintessenz der Staatskunst eines genialen
Despoten. Er gibt von vornherein jede Hoffnung auf, durch Güte die
Neapolitaner für die französische Dynastie zu gewinnen; der Gedanke Josephs,
Neapel sür die Neapolitaner zu . regieren, erscheint ihm sentimental und fast
lächerlich, und das einzige Regierungömittel, in das er Vertrauen setzt, ist
schonungslose Gewalt. Sein Bruder hatte bei seinem Erscheinen im Lande
den Neapolitanern versprochen, ihnen keine Kriegssteuer aufzuerlegen, das
Privateigenthum zu schönen, ihnen Ordnung, Gerechtigkeit, Friede und Glück
zu bringen. Damit ist der Kaiser sehr unzufrieden. Weit entfernt, das Land
mit Kriegssteuern zu verschonen, verlangt er sie aus Grundsatz, sowol um das
Land zu erschöpfen und ohnmächtiger zum Widerstand zu macheu, als auch
um die Armee zu belohnen. So schreibt er im März: „Mein Bruder/ ich
sehe, daß Sie in einer Ihrer Proclamationen versprechen, keine Kriegssteuer
aufzuerlege.it und den Soldaten verbieten, den Tisch von ihren Wirthen zu
verlangen. Nach meiner Ansicht sind Ihre Maßregeln zu zaghaft. Mit Lieb¬
kosungen gewinnt man die Völker nicht, und mit solchen Maßregeln werden
Sie nie die Mittel erhalten, Ihrer Armee die wohlverdienten Belohnungen zu.
ertheilen. Legen Sie dem Königreich Neapel 30 Millionen Steuern auf;
bezahlen Sie Ihre Armee gut, remontiren Sie Ihre Reiterei und das Fuhr¬
wesen, lassen Sie Schuhe und Kleider machen: alles das kann man nur,'wenn
man Geld hat. Nach meinem Dafürhalten wäre es doch gar zu lächerlich,
wenn die Eroberung von Neapel nicht einmal meiner Armee Wohlsein und
Behagen zum Lohn einbrächte. Sie können unmöglich innerhalb dieser Grenzen
bleiben. Ich hö^. nicht, daß Sie Lazaroniö hätten erschießen lassen, und den-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/59>, abgerufen am 17.06.2024.