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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zehrende Anstalten getroffen, sie überall niederzuhalten. Er nahte sich jetzt
dem Zenithpunkt seiner Größe, und hatte berauscht von seinen beispiellosen
Siegen, die ihm bereits halb Europa zu Füßen gelegt hatten, im frevlen
Uebermuth den Plan gemacht, die ganze Welt seiner Größe dienstbar zu machen,
und verfolgte sein Ziel mit olympischer Ruhe, während rings um ihn Reiche
zusammenstürzten und ganze Generationen seinem Ehrgeiz zum Opfer fielen.
Die Rücksichten auf Neapel, die Joseph ihm beständig entgegenstellte, mußten
ihm daher kleinlich erscheinen, und die politischen Vorschriften, die er ihm er¬
theilte, athmen einen ganz andern herbdespotischen Geist. Die Einleitung,
enthalten in den an Joseph während seines Zugs nach Neapel gerichteten
Briefen, klingt noch gemäßigt genug. Er empfiehlt seinem Bruder vor allen
Dingen sehr fest zu sein, die Plünderungen der Generale zu verhindern, und
vor allem sich nicht vor persönlicher Gefahr zu scheuen. Am 31. Jan. schreibt
er: "Wenn es eine Anzahl Vornehmer oder sonst Leute gibt, die Sie geniren,
so schicken Sie sie nach Frankreich. Keine halben Maßregeln; keine Schwäche!
Ich will, daß mein Haus in Neapel solange herrscht, als es in Frankreich
herrschen wird. Das Königreich Neapel ist mir nothwendig." -- "Hören Sie
nicht auf die, welche Sie weit vom Feuer weg halten wollen; Sie haben
nöthig, Ihre Proben zu bestehen, wenn es Gelegenheit gibt. Setzen Sie sich
sichtbar der Gefahr aus; die wahre Gefahr ist im Kriege überall." Dann
etwas später: "Ich bin erstaunt über den schlechten Zustand Ihrer Artillerie
und die geringe Stärke Ihrer Etats. Das kommt daher, wenn die Generale
an nichts denken als ans Stehlen; halten Sie sie fest unter der Hand. Ich
verlange nur eins: seien Sie durchaus der Herr." Die Klagen wegen der
Unterschleife der Generale wiederholte sich noch öfter, und gegen Massena, der
sich als der unersättlichste zeigt, und einen nur mit S. bezeichneten, die zusammen
6,400,000 Franken entwendet haben, kommt es später zu energischen Maßregeln,
in deren Folge Massena 4 Mill. zurückerstattet, worauf er wieder zu Gnaden
angenommen wird. Auch sonst ist noch oft von Verhaftungen und Fortschickungen
von Beamten und andern Offizieren wegen Untcrschleifcn die Rede. Besonders
angelegentlich empfiehlt der Kaiser seinem Brudersorgfältige Ueberwachung des
Bestandes seiner Armee bis in das geringste Detail. Er sagt bei dieser Ge¬
legenheit: "Die Bestandlisten meiner Armee sind für mich die unterhaltendsten
Bücher meiner Bibliothek, und diejenigen, welche ich in meinen Mußestunden
am liebsten lese." Dann ein ander Mal: "Der gute Zustand meiner Armee
kommt daher, daß ich mich täglich ein paar Stunden damit beschäftige, und
wenn man mir jeden Monat die Etats meiner Landtruppen und meiner Flotten
zuschickt, die etwa zwanzig dicke Bände füllen, so lasse ich jede andere Be¬
schäftigung liegen, um sie ganz genau durchzulesen, damit ich den Unterschied
zwischen dem einen und dem andern Monat sehen kann. Diese Lectüre macht


zehrende Anstalten getroffen, sie überall niederzuhalten. Er nahte sich jetzt
dem Zenithpunkt seiner Größe, und hatte berauscht von seinen beispiellosen
Siegen, die ihm bereits halb Europa zu Füßen gelegt hatten, im frevlen
Uebermuth den Plan gemacht, die ganze Welt seiner Größe dienstbar zu machen,
und verfolgte sein Ziel mit olympischer Ruhe, während rings um ihn Reiche
zusammenstürzten und ganze Generationen seinem Ehrgeiz zum Opfer fielen.
Die Rücksichten auf Neapel, die Joseph ihm beständig entgegenstellte, mußten
ihm daher kleinlich erscheinen, und die politischen Vorschriften, die er ihm er¬
theilte, athmen einen ganz andern herbdespotischen Geist. Die Einleitung,
enthalten in den an Joseph während seines Zugs nach Neapel gerichteten
Briefen, klingt noch gemäßigt genug. Er empfiehlt seinem Bruder vor allen
Dingen sehr fest zu sein, die Plünderungen der Generale zu verhindern, und
vor allem sich nicht vor persönlicher Gefahr zu scheuen. Am 31. Jan. schreibt
er: „Wenn es eine Anzahl Vornehmer oder sonst Leute gibt, die Sie geniren,
so schicken Sie sie nach Frankreich. Keine halben Maßregeln; keine Schwäche!
Ich will, daß mein Haus in Neapel solange herrscht, als es in Frankreich
herrschen wird. Das Königreich Neapel ist mir nothwendig." — „Hören Sie
nicht auf die, welche Sie weit vom Feuer weg halten wollen; Sie haben
nöthig, Ihre Proben zu bestehen, wenn es Gelegenheit gibt. Setzen Sie sich
sichtbar der Gefahr aus; die wahre Gefahr ist im Kriege überall." Dann
etwas später: „Ich bin erstaunt über den schlechten Zustand Ihrer Artillerie
und die geringe Stärke Ihrer Etats. Das kommt daher, wenn die Generale
an nichts denken als ans Stehlen; halten Sie sie fest unter der Hand. Ich
verlange nur eins: seien Sie durchaus der Herr." Die Klagen wegen der
Unterschleife der Generale wiederholte sich noch öfter, und gegen Massena, der
sich als der unersättlichste zeigt, und einen nur mit S. bezeichneten, die zusammen
6,400,000 Franken entwendet haben, kommt es später zu energischen Maßregeln,
in deren Folge Massena 4 Mill. zurückerstattet, worauf er wieder zu Gnaden
angenommen wird. Auch sonst ist noch oft von Verhaftungen und Fortschickungen
von Beamten und andern Offizieren wegen Untcrschleifcn die Rede. Besonders
angelegentlich empfiehlt der Kaiser seinem Brudersorgfältige Ueberwachung des
Bestandes seiner Armee bis in das geringste Detail. Er sagt bei dieser Ge¬
legenheit: „Die Bestandlisten meiner Armee sind für mich die unterhaltendsten
Bücher meiner Bibliothek, und diejenigen, welche ich in meinen Mußestunden
am liebsten lese." Dann ein ander Mal: „Der gute Zustand meiner Armee
kommt daher, daß ich mich täglich ein paar Stunden damit beschäftige, und
wenn man mir jeden Monat die Etats meiner Landtruppen und meiner Flotten
zuschickt, die etwa zwanzig dicke Bände füllen, so lasse ich jede andere Be¬
schäftigung liegen, um sie ganz genau durchzulesen, damit ich den Unterschied
zwischen dem einen und dem andern Monat sehen kann. Diese Lectüre macht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/58>, abgerufen am 17.06.2024.