Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verheirathen, und der Thron soweit befestigt werden, daß er die Anwesenheit
einer französischen Armee entbehren kann."

Als Joseph wenige Monate nach seiner Thronbesteigung frohlockend
schrieb, daß die Stimmung des ganzen Landes, vom Herzog von Ascvli, dem
Polizeiminister Ferdinands, bis zu dem geringsten Lazaroni für ihn sei, daß
sich der Adel des Landes in seine Gardes du Corps dränge, daß die den Dienst
am Hof verrichtenden französischen Gardegenödarmen in hoher Achtung bei den
neapolitanischen Fürsten und Herzogen ständen, zerreißt Napoleon mit rauher
Hand diese zu voreiligen Selbsttäuschungen, indem er ihm am 13. Mai ant¬
wortet: "Mein Bruder, Sie kennen das Volk im allgemeinen nicht, und noch
weniger in Italien. Sie geben viel zu viel auf ihre Demonstrationen; treffen
Sie Ihre Vorsichtsmaßregeln, aber ohne zu beunruhigen; bei der ersten Be¬
wegung, die auf dem Kontinent stattfindet, d. h. in dem Augenblick, wo Sie
die Beweise ihrer Anhänglichkeit bedürften, werden Sie sehen, wiewenig Sie
auf diese Leute zählen können. Ich werde auf das, was Sie von der Garde
du Corps sagen, uicht antworten. Sie trauen mir keine so gänzliche Un-
kenntniß der Stimmung in Europa zu, daß ich glauben sollte, in Neapel sei
die Philosophie dermaßen eingedrungen, daß dort gar kein Vorurtheil der
Geburt mehr stattfinde, und wenn Neapel sich Ihnen in diesem Lichte darstellt,
so stellen sich alle eroberten Völker auf die gleiche Art dar, denn sie verheimlichen
ihre Gesinnungen und ihre Sitten, uno werfen sich ehrfurchtsvoll vor dem¬
jenigen zu Boden, der ihre Güter und ihr Leben in seinen Händen hält . . .
Ich empfehle Ihnen noch einmal: lassen Sie sich durch die Demonstrationen
der Neapolitaner n.icht berauschen. Der Sieg bringt bei allen Völkern dieselbe
Wirkung hervor, die sich gegenwärtig bei den Neapolitanern kundgibt. Sie
zeigen Anhänglichkeit an Sie, weil die entgegengesetzten Leidenschaften schweigen;
aber bei den ersten Unruhen auf dem Continent, wo die 40,000 Mann Fran¬
zosen, die im Königreich Neapel stehen, auf etliche tausend Mann zusammen¬
schmolzen, wo sich die Nachricht verbreitete, daß ich am Jsonzo geschlagen,
daß Venedig gerüstet sei, würden Sie sehen, was aus dieser schönen An¬
hänglichkeit würde. Und wie könnte es auch anders sein? Was haben Sie
für diese Leute gethan? Wie wollen Sie dieselben kennen? Das Volk sieht
die Macht Frankreichs, und weil Sie zum König von Neapel ernannt sind,
so glaubt es, alles sei aus, weil die Natur der Dinge es gebietet, weil es
etwas Neues ist, und weil es keine Mittel dagegen gibt . . . Sie vergleichen
die Anhänglichkeit der Franzosen an meine Person mit der Anhänglichkeit der
Neapolitaner an Sie; dies könnte wie ein Spott erscheinen. Welche Liebe
können Sie voll einem Volk verlangen, sür das Sie gar nichts gethan haben?
Bei welchem Sie nur Kraft des Ervberungsrechts sind, gestützt auf 40- 30,000
fremde Truppen? Wenn Sie keine französische Armee besäßen, und der alte


verheirathen, und der Thron soweit befestigt werden, daß er die Anwesenheit
einer französischen Armee entbehren kann."

Als Joseph wenige Monate nach seiner Thronbesteigung frohlockend
schrieb, daß die Stimmung des ganzen Landes, vom Herzog von Ascvli, dem
Polizeiminister Ferdinands, bis zu dem geringsten Lazaroni für ihn sei, daß
sich der Adel des Landes in seine Gardes du Corps dränge, daß die den Dienst
am Hof verrichtenden französischen Gardegenödarmen in hoher Achtung bei den
neapolitanischen Fürsten und Herzogen ständen, zerreißt Napoleon mit rauher
Hand diese zu voreiligen Selbsttäuschungen, indem er ihm am 13. Mai ant¬
wortet: „Mein Bruder, Sie kennen das Volk im allgemeinen nicht, und noch
weniger in Italien. Sie geben viel zu viel auf ihre Demonstrationen; treffen
Sie Ihre Vorsichtsmaßregeln, aber ohne zu beunruhigen; bei der ersten Be¬
wegung, die auf dem Kontinent stattfindet, d. h. in dem Augenblick, wo Sie
die Beweise ihrer Anhänglichkeit bedürften, werden Sie sehen, wiewenig Sie
auf diese Leute zählen können. Ich werde auf das, was Sie von der Garde
du Corps sagen, uicht antworten. Sie trauen mir keine so gänzliche Un-
kenntniß der Stimmung in Europa zu, daß ich glauben sollte, in Neapel sei
die Philosophie dermaßen eingedrungen, daß dort gar kein Vorurtheil der
Geburt mehr stattfinde, und wenn Neapel sich Ihnen in diesem Lichte darstellt,
so stellen sich alle eroberten Völker auf die gleiche Art dar, denn sie verheimlichen
ihre Gesinnungen und ihre Sitten, uno werfen sich ehrfurchtsvoll vor dem¬
jenigen zu Boden, der ihre Güter und ihr Leben in seinen Händen hält . . .
Ich empfehle Ihnen noch einmal: lassen Sie sich durch die Demonstrationen
der Neapolitaner n.icht berauschen. Der Sieg bringt bei allen Völkern dieselbe
Wirkung hervor, die sich gegenwärtig bei den Neapolitanern kundgibt. Sie
zeigen Anhänglichkeit an Sie, weil die entgegengesetzten Leidenschaften schweigen;
aber bei den ersten Unruhen auf dem Continent, wo die 40,000 Mann Fran¬
zosen, die im Königreich Neapel stehen, auf etliche tausend Mann zusammen¬
schmolzen, wo sich die Nachricht verbreitete, daß ich am Jsonzo geschlagen,
daß Venedig gerüstet sei, würden Sie sehen, was aus dieser schönen An¬
hänglichkeit würde. Und wie könnte es auch anders sein? Was haben Sie
für diese Leute gethan? Wie wollen Sie dieselben kennen? Das Volk sieht
die Macht Frankreichs, und weil Sie zum König von Neapel ernannt sind,
so glaubt es, alles sei aus, weil die Natur der Dinge es gebietet, weil es
etwas Neues ist, und weil es keine Mittel dagegen gibt . . . Sie vergleichen
die Anhänglichkeit der Franzosen an meine Person mit der Anhänglichkeit der
Neapolitaner an Sie; dies könnte wie ein Spott erscheinen. Welche Liebe
können Sie voll einem Volk verlangen, sür das Sie gar nichts gethan haben?
Bei welchem Sie nur Kraft des Ervberungsrechts sind, gestützt auf 40- 30,000
fremde Truppen? Wenn Sie keine französische Armee besäßen, und der alte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98913"/>
          <p xml:id="ID_195" prev="#ID_194"> verheirathen, und der Thron soweit befestigt werden, daß er die Anwesenheit<lb/>
einer französischen Armee entbehren kann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_196" next="#ID_197"> Als Joseph wenige Monate nach seiner Thronbesteigung frohlockend<lb/>
schrieb, daß die Stimmung des ganzen Landes, vom Herzog von Ascvli, dem<lb/>
Polizeiminister Ferdinands, bis zu dem geringsten Lazaroni für ihn sei, daß<lb/>
sich der Adel des Landes in seine Gardes du Corps dränge, daß die den Dienst<lb/>
am Hof verrichtenden französischen Gardegenödarmen in hoher Achtung bei den<lb/>
neapolitanischen Fürsten und Herzogen ständen, zerreißt Napoleon mit rauher<lb/>
Hand diese zu voreiligen Selbsttäuschungen, indem er ihm am 13. Mai ant¬<lb/>
wortet: &#x201E;Mein Bruder, Sie kennen das Volk im allgemeinen nicht, und noch<lb/>
weniger in Italien. Sie geben viel zu viel auf ihre Demonstrationen; treffen<lb/>
Sie Ihre Vorsichtsmaßregeln, aber ohne zu beunruhigen; bei der ersten Be¬<lb/>
wegung, die auf dem Kontinent stattfindet, d. h. in dem Augenblick, wo Sie<lb/>
die Beweise ihrer Anhänglichkeit bedürften, werden Sie sehen, wiewenig Sie<lb/>
auf diese Leute zählen können. Ich werde auf das, was Sie von der Garde<lb/>
du Corps sagen, uicht antworten. Sie trauen mir keine so gänzliche Un-<lb/>
kenntniß der Stimmung in Europa zu, daß ich glauben sollte, in Neapel sei<lb/>
die Philosophie dermaßen eingedrungen, daß dort gar kein Vorurtheil der<lb/>
Geburt mehr stattfinde, und wenn Neapel sich Ihnen in diesem Lichte darstellt,<lb/>
so stellen sich alle eroberten Völker auf die gleiche Art dar, denn sie verheimlichen<lb/>
ihre Gesinnungen und ihre Sitten, uno werfen sich ehrfurchtsvoll vor dem¬<lb/>
jenigen zu Boden, der ihre Güter und ihr Leben in seinen Händen hält . . .<lb/>
Ich empfehle Ihnen noch einmal: lassen Sie sich durch die Demonstrationen<lb/>
der Neapolitaner n.icht berauschen. Der Sieg bringt bei allen Völkern dieselbe<lb/>
Wirkung hervor, die sich gegenwärtig bei den Neapolitanern kundgibt. Sie<lb/>
zeigen Anhänglichkeit an Sie, weil die entgegengesetzten Leidenschaften schweigen;<lb/>
aber bei den ersten Unruhen auf dem Continent, wo die 40,000 Mann Fran¬<lb/>
zosen, die im Königreich Neapel stehen, auf etliche tausend Mann zusammen¬<lb/>
schmolzen, wo sich die Nachricht verbreitete, daß ich am Jsonzo geschlagen,<lb/>
daß Venedig gerüstet sei, würden Sie sehen, was aus dieser schönen An¬<lb/>
hänglichkeit würde. Und wie könnte es auch anders sein? Was haben Sie<lb/>
für diese Leute gethan? Wie wollen Sie dieselben kennen? Das Volk sieht<lb/>
die Macht Frankreichs, und weil Sie zum König von Neapel ernannt sind,<lb/>
so glaubt es, alles sei aus, weil die Natur der Dinge es gebietet, weil es<lb/>
etwas Neues ist, und weil es keine Mittel dagegen gibt . . . Sie vergleichen<lb/>
die Anhänglichkeit der Franzosen an meine Person mit der Anhänglichkeit der<lb/>
Neapolitaner an Sie; dies könnte wie ein Spott erscheinen. Welche Liebe<lb/>
können Sie voll einem Volk verlangen, sür das Sie gar nichts gethan haben?<lb/>
Bei welchem Sie nur Kraft des Ervberungsrechts sind, gestützt auf 40- 30,000<lb/>
fremde Truppen?  Wenn Sie keine französische Armee besäßen, und der alte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] verheirathen, und der Thron soweit befestigt werden, daß er die Anwesenheit einer französischen Armee entbehren kann." Als Joseph wenige Monate nach seiner Thronbesteigung frohlockend schrieb, daß die Stimmung des ganzen Landes, vom Herzog von Ascvli, dem Polizeiminister Ferdinands, bis zu dem geringsten Lazaroni für ihn sei, daß sich der Adel des Landes in seine Gardes du Corps dränge, daß die den Dienst am Hof verrichtenden französischen Gardegenödarmen in hoher Achtung bei den neapolitanischen Fürsten und Herzogen ständen, zerreißt Napoleon mit rauher Hand diese zu voreiligen Selbsttäuschungen, indem er ihm am 13. Mai ant¬ wortet: „Mein Bruder, Sie kennen das Volk im allgemeinen nicht, und noch weniger in Italien. Sie geben viel zu viel auf ihre Demonstrationen; treffen Sie Ihre Vorsichtsmaßregeln, aber ohne zu beunruhigen; bei der ersten Be¬ wegung, die auf dem Kontinent stattfindet, d. h. in dem Augenblick, wo Sie die Beweise ihrer Anhänglichkeit bedürften, werden Sie sehen, wiewenig Sie auf diese Leute zählen können. Ich werde auf das, was Sie von der Garde du Corps sagen, uicht antworten. Sie trauen mir keine so gänzliche Un- kenntniß der Stimmung in Europa zu, daß ich glauben sollte, in Neapel sei die Philosophie dermaßen eingedrungen, daß dort gar kein Vorurtheil der Geburt mehr stattfinde, und wenn Neapel sich Ihnen in diesem Lichte darstellt, so stellen sich alle eroberten Völker auf die gleiche Art dar, denn sie verheimlichen ihre Gesinnungen und ihre Sitten, uno werfen sich ehrfurchtsvoll vor dem¬ jenigen zu Boden, der ihre Güter und ihr Leben in seinen Händen hält . . . Ich empfehle Ihnen noch einmal: lassen Sie sich durch die Demonstrationen der Neapolitaner n.icht berauschen. Der Sieg bringt bei allen Völkern dieselbe Wirkung hervor, die sich gegenwärtig bei den Neapolitanern kundgibt. Sie zeigen Anhänglichkeit an Sie, weil die entgegengesetzten Leidenschaften schweigen; aber bei den ersten Unruhen auf dem Continent, wo die 40,000 Mann Fran¬ zosen, die im Königreich Neapel stehen, auf etliche tausend Mann zusammen¬ schmolzen, wo sich die Nachricht verbreitete, daß ich am Jsonzo geschlagen, daß Venedig gerüstet sei, würden Sie sehen, was aus dieser schönen An¬ hänglichkeit würde. Und wie könnte es auch anders sein? Was haben Sie für diese Leute gethan? Wie wollen Sie dieselben kennen? Das Volk sieht die Macht Frankreichs, und weil Sie zum König von Neapel ernannt sind, so glaubt es, alles sei aus, weil die Natur der Dinge es gebietet, weil es etwas Neues ist, und weil es keine Mittel dagegen gibt . . . Sie vergleichen die Anhänglichkeit der Franzosen an meine Person mit der Anhänglichkeit der Neapolitaner an Sie; dies könnte wie ein Spott erscheinen. Welche Liebe können Sie voll einem Volk verlangen, sür das Sie gar nichts gethan haben? Bei welchem Sie nur Kraft des Ervberungsrechts sind, gestützt auf 40- 30,000 fremde Truppen? Wenn Sie keine französische Armee besäßen, und der alte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/61>, abgerufen am 17.06.2024.