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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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unmittelbaren dramatischen Darstellung auf eine Weise gemäßigt, welche ihm
einen allgemeinen Charakter gibt, zugleich aber breiter ausgeführt, so daß sie
in sich abgeschlossene, die Empfindung so voll erschöpfende Kunstwerke sind, wie
dies im Verlaufe des Dramas das einzelne Musikstück nicht sein kann. Die
frühere Ansicht von der Oper gestattete allerdings auch mitunter solche Ruhe¬
punkte, die dem Ausströmen der Musik volle Freiheit gaben -- mit welchem
Recht soll hier nicht untersucht werden --daher in solchen. Opern sich Musik¬
stücke finden, welche für eine Aufführung im Concert ganz geeignet sind. Die Musik
aber, welche wirklich der dramatischen Handlung angehört, muß dem Concertsaal
möglichst fern gehalten werden und wird nur in besonderen Fällen in demselben
Platz finden dürfen. Man wende nicht ein, daß doch am Klavier auch dra¬
matische Musik von einzelnen und im Salon mit Genuß reproducirt werde,
zumal wenn der Zusammenhang aus allbekannten Opern von jedem leicht in
der Vorstellung ergänzt werde. Der künstlerische Zweck des Concerts, die
Mittel, welche für diese Aufführungen verwandt werden, selbst die zahlreiche,
mannigfaltig zusammengesetzte Versammlung bedingen andre Ansprüche und vor
allem, daß die Leistungen ein in sich Selbstständiges, der Bestimmung des Con¬
certs Entsprechendes seien. Wer ein zur Darstellung bestimmtes poetisches
Werk für sich oder mit Freunden liest, genießt dasselbe in eigner Weise und
kann diesen Genuß in verschiedener Weise erhöhen, indem er von der Freiheit
vollen Gebrauch macht, welche ihm die durch keine Rücksicht beschränkte Neigung
des Augenblicks gewährt, er kann je yach Bedürfniß anhalten, wiederholen, ab¬
brechen, abwechseln. Eine öffentliche Aufführung, indem sie auf ähnliche Vor¬
theile verzichtet, befriedigt dagegen höhere, rein künstlerische Ansprüche und gewährt
erst den wahrhaften Genuß des Kunstwerks. Es ist ein ähnliches Verhältniß der
Concertanfführungen zum Musiciren im Privatzimmer; was für einzelne zweckmä¬
ßig und erfreulich sein kann, ist unstatthaft, wo es einen allgemeinen künstlerischen
Zweck gilt. Aus diesem Grunde ist auch der Vortrag von Liedern im Concert
im allgemeinen unzulässig und es ist ein Mißbrauch, daß, seitdem einige geniale
Künstler, die keine Regel bilden, mit Liedern Glück gemacht haben, fast alle
Sänger und Sängerinnen glauben damit auftreten zu müssen, und daß man
es ihnen gestattet. Nicht allein daß in dem großen Raum und gegen die
massenhaften Jnstrumentaleffecte die Lieder schon äußerlich abfallen; viel wich¬
tiger ist es, daß Lieder eine zarte hingebende Aufmerksamkeit, ein Eingehen auf
die Stimmung verlangen, wie diese bei dem großen buutgemischten Concert-
Publicum nicht leicht zu erregen sind, zumal wenn durch großartige und wech¬
selnde Eindrücke die Empfänglichkeit bereits abgestumpft ist. Dazu kommt nun,
daß in der Regel mehre Lieder hintereinander gesungen werden, meistens um
zu reizen, recht verschiedenartige; ein so rascher Wechsel der. Stimmung ist um
so schwieriger und gefährlicher, je feiner und tiefer gehend die Nuancirungen


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unmittelbaren dramatischen Darstellung auf eine Weise gemäßigt, welche ihm
einen allgemeinen Charakter gibt, zugleich aber breiter ausgeführt, so daß sie
in sich abgeschlossene, die Empfindung so voll erschöpfende Kunstwerke sind, wie
dies im Verlaufe des Dramas das einzelne Musikstück nicht sein kann. Die
frühere Ansicht von der Oper gestattete allerdings auch mitunter solche Ruhe¬
punkte, die dem Ausströmen der Musik volle Freiheit gaben — mit welchem
Recht soll hier nicht untersucht werden —daher in solchen. Opern sich Musik¬
stücke finden, welche für eine Aufführung im Concert ganz geeignet sind. Die Musik
aber, welche wirklich der dramatischen Handlung angehört, muß dem Concertsaal
möglichst fern gehalten werden und wird nur in besonderen Fällen in demselben
Platz finden dürfen. Man wende nicht ein, daß doch am Klavier auch dra¬
matische Musik von einzelnen und im Salon mit Genuß reproducirt werde,
zumal wenn der Zusammenhang aus allbekannten Opern von jedem leicht in
der Vorstellung ergänzt werde. Der künstlerische Zweck des Concerts, die
Mittel, welche für diese Aufführungen verwandt werden, selbst die zahlreiche,
mannigfaltig zusammengesetzte Versammlung bedingen andre Ansprüche und vor
allem, daß die Leistungen ein in sich Selbstständiges, der Bestimmung des Con¬
certs Entsprechendes seien. Wer ein zur Darstellung bestimmtes poetisches
Werk für sich oder mit Freunden liest, genießt dasselbe in eigner Weise und
kann diesen Genuß in verschiedener Weise erhöhen, indem er von der Freiheit
vollen Gebrauch macht, welche ihm die durch keine Rücksicht beschränkte Neigung
des Augenblicks gewährt, er kann je yach Bedürfniß anhalten, wiederholen, ab¬
brechen, abwechseln. Eine öffentliche Aufführung, indem sie auf ähnliche Vor¬
theile verzichtet, befriedigt dagegen höhere, rein künstlerische Ansprüche und gewährt
erst den wahrhaften Genuß des Kunstwerks. Es ist ein ähnliches Verhältniß der
Concertanfführungen zum Musiciren im Privatzimmer; was für einzelne zweckmä¬
ßig und erfreulich sein kann, ist unstatthaft, wo es einen allgemeinen künstlerischen
Zweck gilt. Aus diesem Grunde ist auch der Vortrag von Liedern im Concert
im allgemeinen unzulässig und es ist ein Mißbrauch, daß, seitdem einige geniale
Künstler, die keine Regel bilden, mit Liedern Glück gemacht haben, fast alle
Sänger und Sängerinnen glauben damit auftreten zu müssen, und daß man
es ihnen gestattet. Nicht allein daß in dem großen Raum und gegen die
massenhaften Jnstrumentaleffecte die Lieder schon äußerlich abfallen; viel wich¬
tiger ist es, daß Lieder eine zarte hingebende Aufmerksamkeit, ein Eingehen auf
die Stimmung verlangen, wie diese bei dem großen buutgemischten Concert-
Publicum nicht leicht zu erregen sind, zumal wenn durch großartige und wech¬
selnde Eindrücke die Empfänglichkeit bereits abgestumpft ist. Dazu kommt nun,
daß in der Regel mehre Lieder hintereinander gesungen werden, meistens um
zu reizen, recht verschiedenartige; ein so rascher Wechsel der. Stimmung ist um
so schwieriger und gefährlicher, je feiner und tiefer gehend die Nuancirungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/73>, abgerufen am 17.06.2024.