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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Niemen her die Stirn zu bieten. Allem Vermuthen nach würde er bis hinter
jenen Strom zurückgehen und damit Weichselpolen räumen, indem er uns
einzig und allein auferlegte, seine Festungen Neu-Gevrgiewsk, Prag", Sierock,
Jwangorod, Brese-Lilewski und Zamoscz zu bezwingen. Hielte er im Dreieck
von Motum aus, so würde man eS prenßischerseits aller Wahrscheinlichkeit nach
vorzuziehen haben, durch eine strenge Cernirung ihn auszuhungern, anstatt mit
Gewalt in diesen Defensivraum einzubrechen. Die Bahnen in Schlesien und
Preußen geben uns die Mittel an die Hand, um bis zu 400,000 Mann im
Inneren von Polen zu ernähren. Der Feind aber wird schwerlich darauf ein¬
gerichtet sein, aus den Magazinen der drei erstgenannten Plätze eine auch, nur
halb so starke Macht zu verpflegen -- nicht auf Wochen, geschweige denn auf
Monate, wenn alle Zufuhr abgeschnitten ist.

Oestreichs Beitritt, wie gesagt, würde die Chancen der Kriegführung gün¬
stiger gestalten: ob die politischen, lasse ich dahingestellt sein. Man könnte
alsdann Großrußland selbst angreifen, indem es für diesen Fall kaum einem
Zweifel unterliegt, daß Nußland den Kampf an der Grenze nicht annehmen
und seine Kräfte nach dem Innern zurücknehmen würde.




Achmed Pascha.

Die allgemeine Aufmerksamkeit dürfte sich ehestens auf Achmed Pascha
richten, welcher jüngst vom Ferik zum Müschir (vom Generallieutenant zum
Marschall) aufgerückt ist, und zur Zeit der Gardeordu als Hvchstcommandirender
vvrstehr, ehestens aber, nach Omer Paschas Abgang zur Krimarmee, dessen Nach¬
folger im Commando der Donauarmee werden dürfte. '

Der in Rede stehende osmanische Heerführer wird von vielen für einen
mittleren Dreißiger gehalten. Indeß hat er, wenn ich recht berichtet worden
bin, die vierzig schon erreicht. Er gehört zu den im Auslande erzogenen
türkischen Offizieren, war etwa 10 Jahre in Wien, behufs seiner Ausbildung
und eignete sich daselbst eine vollkommene Kenntniß der deutschen Sprache an,
die er correct und geläufig spricht, auch ziemlich gut liest und selbst schreibt,
wenn auch nicht so gut wie Omer Pascha, der bekanntlich die deutsche Sprache,
welche nicht seine Muttersprache ist, am besten von allen andern k^und.

Gleich nach seiner Rückkehr aus Wien scheint Achmed Pascha unter den
kaiserlichen Hofstaat aufgenommen worden zu sein und mehre Jahre hindurch
als Kammerherr functionirt zu haben. Später erst wurde er, und zwar als
er bereits Generalsrang bekleidete, Director der großen militärischen Bildungs-
anstalt? welche unter dem Namen Harbiö-Melech oder Kriegsschule (Hard soviel
als Krieg und Melech Schule) den ersten Rang unter den osmanischen Er-


Niemen her die Stirn zu bieten. Allem Vermuthen nach würde er bis hinter
jenen Strom zurückgehen und damit Weichselpolen räumen, indem er uns
einzig und allein auferlegte, seine Festungen Neu-Gevrgiewsk, Prag«, Sierock,
Jwangorod, Brese-Lilewski und Zamoscz zu bezwingen. Hielte er im Dreieck
von Motum aus, so würde man eS prenßischerseits aller Wahrscheinlichkeit nach
vorzuziehen haben, durch eine strenge Cernirung ihn auszuhungern, anstatt mit
Gewalt in diesen Defensivraum einzubrechen. Die Bahnen in Schlesien und
Preußen geben uns die Mittel an die Hand, um bis zu 400,000 Mann im
Inneren von Polen zu ernähren. Der Feind aber wird schwerlich darauf ein¬
gerichtet sein, aus den Magazinen der drei erstgenannten Plätze eine auch, nur
halb so starke Macht zu verpflegen — nicht auf Wochen, geschweige denn auf
Monate, wenn alle Zufuhr abgeschnitten ist.

Oestreichs Beitritt, wie gesagt, würde die Chancen der Kriegführung gün¬
stiger gestalten: ob die politischen, lasse ich dahingestellt sein. Man könnte
alsdann Großrußland selbst angreifen, indem es für diesen Fall kaum einem
Zweifel unterliegt, daß Nußland den Kampf an der Grenze nicht annehmen
und seine Kräfte nach dem Innern zurücknehmen würde.




Achmed Pascha.

Die allgemeine Aufmerksamkeit dürfte sich ehestens auf Achmed Pascha
richten, welcher jüngst vom Ferik zum Müschir (vom Generallieutenant zum
Marschall) aufgerückt ist, und zur Zeit der Gardeordu als Hvchstcommandirender
vvrstehr, ehestens aber, nach Omer Paschas Abgang zur Krimarmee, dessen Nach¬
folger im Commando der Donauarmee werden dürfte. '

Der in Rede stehende osmanische Heerführer wird von vielen für einen
mittleren Dreißiger gehalten. Indeß hat er, wenn ich recht berichtet worden
bin, die vierzig schon erreicht. Er gehört zu den im Auslande erzogenen
türkischen Offizieren, war etwa 10 Jahre in Wien, behufs seiner Ausbildung
und eignete sich daselbst eine vollkommene Kenntniß der deutschen Sprache an,
die er correct und geläufig spricht, auch ziemlich gut liest und selbst schreibt,
wenn auch nicht so gut wie Omer Pascha, der bekanntlich die deutsche Sprache,
welche nicht seine Muttersprache ist, am besten von allen andern k^und.

Gleich nach seiner Rückkehr aus Wien scheint Achmed Pascha unter den
kaiserlichen Hofstaat aufgenommen worden zu sein und mehre Jahre hindurch
als Kammerherr functionirt zu haben. Später erst wurde er, und zwar als
er bereits Generalsrang bekleidete, Director der großen militärischen Bildungs-
anstalt? welche unter dem Namen Harbiö-Melech oder Kriegsschule (Hard soviel
als Krieg und Melech Schule) den ersten Rang unter den osmanischen Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/79>, abgerufen am 17.06.2024.