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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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sprechen, diese Scenen mit lüsterner Wollust ausgemalt zu haben. Er schildert
die bestialischer Attentate, nicht um zu reizen, sondern um Abscheu zu erregen.
Wenn er aus der Handlungsweise seiner Heldin einzelne Folgen hervorgehen
läßt, die mit ihrer Absicht keineswegs zusammenhängen, so ist auch hier der
Grund wol erkennbar- er will zeigen, daß in der bedenklichen That noch ein
andrer Inhalt ist, als dk' ursprüngliche Absicht; aber einen Fehler begeht er
dadurch, daß er dem Zufall eine zu große Rolle überläßt und daß er dadurch
den tragischen Eindruck stört. Rahab stiehlt sich aus dem Hause ihrer Eltern
in das Haus ihres Geliebren und läßt das Licht brennen, um ihren kranken
Bruder glauben zu machen, sie sei noch bei ihm. Ihr Geliebter ist ein Böse-
wicht, der sie in einer viehischen Orgie den Mißhandlungen aller seiner Gaste
preisgibt und sie dann nackt und betrunken unter die Sklaven werfen läßt.
Soweit wäre ein Zusammenhang vorhanden. Aber daß auch jenes Licht eine
Rolle spielen muß, daß ihre Hütte davon angezündet wird, und daß die Eltern
auf eine gräßliche Weise verbrennen, das ist ein Spiel des Zufalls, welcher
sich dem Begriff tragischer Nothwendigkeit völlig entzieht, und daher auch
keinen Eindruck macht, denn ein tragisches Geschick muß in tragischer Form
auftreten.

In der Ausführung dieses wunderlichen Problems spricht sich ein unver¬
kennbares poetisches Talent aus. Der Dichter versteht es, schreckliche Gegen¬
stände kräftig und energisch herauszuarbeiten und die Phantasie in Schwung
zu bringen; aber er begeht den Fehler, die ganze Geschichte in grellen Farben
und in gewaltsam gesteigerter Stimmung zu halten. DaS ist gegen die Natur
des epischen Gedichts, gegen das Wesen der Kunst überhaupt. Herr Waldau
hätte einen Dichter, der ihm in dieser Art wildbewegter Darstellung als Vor¬
bild vorschweben mußte, Lord Byron, gründlicher stuviren sollen. Die gewal¬
tigen Empfindungen und Leidenschaften in diesen wilden, aber hinreißenden
Dichtungen wirken darum so wunderbar, weil sie zugleich in der edelsten Ein¬
fachheit dargestellt werden. Lord Byron läßt die Sache wirken und ergreift erst,
wenn die Katastrophe eintritt, daS Gefühl mit der ganzen Macht seines Geistes.
Wenn wir dagegen ein ganzes Epos hindurch von der angestrengtesten Krafl-
sprache gepeinigt werden, so macht das eine Wirkung, die der Absicht wider¬
spricht, es ermüdet uns und stumpft uns ab.

Der Dichter beginnt sein Gedicht mit folgender Schilderung seiner Heldin:

Um zu wandern gerüstet seit lang und in Starrheit gcduidlvs, --
Als wäre versteinert ein unruhznckendcs Leben
Und zeigte für immer gebannt in den ewigen Marmor:
Verbrandete Sturmflut, jetzt noch Wogen verrollend,
Versprühte Gewitter, die jetzt noch Blitze verzischen u. s. w. --

sprechen, diese Scenen mit lüsterner Wollust ausgemalt zu haben. Er schildert
die bestialischer Attentate, nicht um zu reizen, sondern um Abscheu zu erregen.
Wenn er aus der Handlungsweise seiner Heldin einzelne Folgen hervorgehen
läßt, die mit ihrer Absicht keineswegs zusammenhängen, so ist auch hier der
Grund wol erkennbar- er will zeigen, daß in der bedenklichen That noch ein
andrer Inhalt ist, als dk' ursprüngliche Absicht; aber einen Fehler begeht er
dadurch, daß er dem Zufall eine zu große Rolle überläßt und daß er dadurch
den tragischen Eindruck stört. Rahab stiehlt sich aus dem Hause ihrer Eltern
in das Haus ihres Geliebren und läßt das Licht brennen, um ihren kranken
Bruder glauben zu machen, sie sei noch bei ihm. Ihr Geliebter ist ein Böse-
wicht, der sie in einer viehischen Orgie den Mißhandlungen aller seiner Gaste
preisgibt und sie dann nackt und betrunken unter die Sklaven werfen läßt.
Soweit wäre ein Zusammenhang vorhanden. Aber daß auch jenes Licht eine
Rolle spielen muß, daß ihre Hütte davon angezündet wird, und daß die Eltern
auf eine gräßliche Weise verbrennen, das ist ein Spiel des Zufalls, welcher
sich dem Begriff tragischer Nothwendigkeit völlig entzieht, und daher auch
keinen Eindruck macht, denn ein tragisches Geschick muß in tragischer Form
auftreten.

In der Ausführung dieses wunderlichen Problems spricht sich ein unver¬
kennbares poetisches Talent aus. Der Dichter versteht es, schreckliche Gegen¬
stände kräftig und energisch herauszuarbeiten und die Phantasie in Schwung
zu bringen; aber er begeht den Fehler, die ganze Geschichte in grellen Farben
und in gewaltsam gesteigerter Stimmung zu halten. DaS ist gegen die Natur
des epischen Gedichts, gegen das Wesen der Kunst überhaupt. Herr Waldau
hätte einen Dichter, der ihm in dieser Art wildbewegter Darstellung als Vor¬
bild vorschweben mußte, Lord Byron, gründlicher stuviren sollen. Die gewal¬
tigen Empfindungen und Leidenschaften in diesen wilden, aber hinreißenden
Dichtungen wirken darum so wunderbar, weil sie zugleich in der edelsten Ein¬
fachheit dargestellt werden. Lord Byron läßt die Sache wirken und ergreift erst,
wenn die Katastrophe eintritt, daS Gefühl mit der ganzen Macht seines Geistes.
Wenn wir dagegen ein ganzes Epos hindurch von der angestrengtesten Krafl-
sprache gepeinigt werden, so macht das eine Wirkung, die der Absicht wider¬
spricht, es ermüdet uns und stumpft uns ab.

Der Dichter beginnt sein Gedicht mit folgender Schilderung seiner Heldin:

Um zu wandern gerüstet seit lang und in Starrheit gcduidlvs, —
Als wäre versteinert ein unruhznckendcs Leben
Und zeigte für immer gebannt in den ewigen Marmor:
Verbrandete Sturmflut, jetzt noch Wogen verrollend,
Versprühte Gewitter, die jetzt noch Blitze verzischen u. s. w. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/96>, abgerufen am 17.06.2024.