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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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uns aber jetzt daraus erklären, daß Waldau in ein enges Verhältniß zu dem
Dichter Leopold Schefer getreten ist, seine Werke durchsieht und herausgibt >:c.
Die Aufhebung der Schuld in einen Schein, die uns in Schefers Novellen
häufig so unangenehm berührt, wiederholt sich auch im Schluß der Rahab. In
der folgenden Schilderung von der Gemüthsbeschaffenheit der Heldin könnte
jeder Zug von L. Schefer sein. , '

Sie sondert sich selbst von den Greueln im Traum" und betrachtet
Theilnehmenden Blicks, doch als Fremde, das riesige Unheil;
Sie bcscufzt das vernichtende Schreiten des waltenden Schicksals
Und könnte mit allen den Jammernden selber anch jammern,
Und könnte geliebte Gestorbne mit Thränen begießen.
Ihr kommt ein Gefühl wie bewegtest gewährte Verzeihung,
Ein dämmernd Vergessen nnsühnbar grauser Verwüstung,
Ein Schultentsagen, ein Schauer von menschlicher Andacht, '
Der wieder -- zum Leide", zur Sühne, Verlorenes heiligt:
-- Denn immer an Wahnwitz wandert vorüber das Schicksal,
Geduldig erharrt das Verhängniß die passende Stunde,
Und nur in bereite Gemüther, in waches Verständniß, -
Um voll auch empfunden zu sein, lobt nieder der Blitzstrahl.

Und so erscheint.sie zum Schluß in einer Art magnetischen Doppellebens,
oder bestimmter ausgedrückt, in einem geistigen Opiumrausch, der sie dem Zu¬
sammenhang mit der wirklichen Welt völlig entreißt und wie eine Wiederher¬
stellung ihrer kindlichen Unschuld aussieht, ganz ähnlich wie in Schefers
"Osternacht." Diese Verflüchtigung der sittlichen Gesetze, der Bestimmungen
der Freiheit in eine pantheistische Welt unbestimmter Naturbeziehungen ist weder "
von dem höheren Standpunkt der Kunst zu rechtfertigen, der sich nur mit dem
Glauben an die menschliche Freiheit verträgt, noch erfüllt er seinen Zweck; denn
das Tragische, welches man von der Tafel des Gedächtnisses wegwischen kann,
Hort aus, uns Mitleid oder Furcht einzuflößen.




Neue historische Schriften.
Geschichte-der deutschen Freiheitskriege in den Jahren 18-13 und 1814.
Von Major Heinrich Beitzke. -I. Bd. Berlin, Duncker u. Humblot. --
Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Von Wilhelm Giesebrecht. -I. Bd.,
1. Abthl. Braunschweig, Schwetschke n. Sohn. --
Diplomatisches Handbuch. Sammlung der wichtigsten europäischen Friedens¬
schlüsse, Cvngreßacten und sonstiger Staatsnrknuden vom westfälischen
Frieden bis auf die neueste Zeit.- Mit kurzen geschichtlichen Einleitungen,
herausgegeben von Vr. Ghillany. -I. Thl. Nördlingen, Beck. --

uns aber jetzt daraus erklären, daß Waldau in ein enges Verhältniß zu dem
Dichter Leopold Schefer getreten ist, seine Werke durchsieht und herausgibt >:c.
Die Aufhebung der Schuld in einen Schein, die uns in Schefers Novellen
häufig so unangenehm berührt, wiederholt sich auch im Schluß der Rahab. In
der folgenden Schilderung von der Gemüthsbeschaffenheit der Heldin könnte
jeder Zug von L. Schefer sein. , '

Sie sondert sich selbst von den Greueln im Traum» und betrachtet
Theilnehmenden Blicks, doch als Fremde, das riesige Unheil;
Sie bcscufzt das vernichtende Schreiten des waltenden Schicksals
Und könnte mit allen den Jammernden selber anch jammern,
Und könnte geliebte Gestorbne mit Thränen begießen.
Ihr kommt ein Gefühl wie bewegtest gewährte Verzeihung,
Ein dämmernd Vergessen nnsühnbar grauser Verwüstung,
Ein Schultentsagen, ein Schauer von menschlicher Andacht, '
Der wieder — zum Leide», zur Sühne, Verlorenes heiligt:
— Denn immer an Wahnwitz wandert vorüber das Schicksal,
Geduldig erharrt das Verhängniß die passende Stunde,
Und nur in bereite Gemüther, in waches Verständniß, -
Um voll auch empfunden zu sein, lobt nieder der Blitzstrahl.

Und so erscheint.sie zum Schluß in einer Art magnetischen Doppellebens,
oder bestimmter ausgedrückt, in einem geistigen Opiumrausch, der sie dem Zu¬
sammenhang mit der wirklichen Welt völlig entreißt und wie eine Wiederher¬
stellung ihrer kindlichen Unschuld aussieht, ganz ähnlich wie in Schefers
„Osternacht." Diese Verflüchtigung der sittlichen Gesetze, der Bestimmungen
der Freiheit in eine pantheistische Welt unbestimmter Naturbeziehungen ist weder «
von dem höheren Standpunkt der Kunst zu rechtfertigen, der sich nur mit dem
Glauben an die menschliche Freiheit verträgt, noch erfüllt er seinen Zweck; denn
das Tragische, welches man von der Tafel des Gedächtnisses wegwischen kann,
Hort aus, uns Mitleid oder Furcht einzuflößen.




Neue historische Schriften.
Geschichte-der deutschen Freiheitskriege in den Jahren 18-13 und 1814.
Von Major Heinrich Beitzke. -I. Bd. Berlin, Duncker u. Humblot. —
Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Von Wilhelm Giesebrecht. -I. Bd.,
1. Abthl. Braunschweig, Schwetschke n. Sohn. —
Diplomatisches Handbuch. Sammlung der wichtigsten europäischen Friedens¬
schlüsse, Cvngreßacten und sonstiger Staatsnrknuden vom westfälischen
Frieden bis auf die neueste Zeit.- Mit kurzen geschichtlichen Einleitungen,
herausgegeben von Vr. Ghillany. -I. Thl. Nördlingen, Beck. —

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[0098] uns aber jetzt daraus erklären, daß Waldau in ein enges Verhältniß zu dem Dichter Leopold Schefer getreten ist, seine Werke durchsieht und herausgibt >:c. Die Aufhebung der Schuld in einen Schein, die uns in Schefers Novellen häufig so unangenehm berührt, wiederholt sich auch im Schluß der Rahab. In der folgenden Schilderung von der Gemüthsbeschaffenheit der Heldin könnte jeder Zug von L. Schefer sein. , ' Sie sondert sich selbst von den Greueln im Traum» und betrachtet Theilnehmenden Blicks, doch als Fremde, das riesige Unheil; Sie bcscufzt das vernichtende Schreiten des waltenden Schicksals Und könnte mit allen den Jammernden selber anch jammern, Und könnte geliebte Gestorbne mit Thränen begießen. Ihr kommt ein Gefühl wie bewegtest gewährte Verzeihung, Ein dämmernd Vergessen nnsühnbar grauser Verwüstung, Ein Schultentsagen, ein Schauer von menschlicher Andacht, ' Der wieder — zum Leide», zur Sühne, Verlorenes heiligt: — Denn immer an Wahnwitz wandert vorüber das Schicksal, Geduldig erharrt das Verhängniß die passende Stunde, Und nur in bereite Gemüther, in waches Verständniß, - Um voll auch empfunden zu sein, lobt nieder der Blitzstrahl. Und so erscheint.sie zum Schluß in einer Art magnetischen Doppellebens, oder bestimmter ausgedrückt, in einem geistigen Opiumrausch, der sie dem Zu¬ sammenhang mit der wirklichen Welt völlig entreißt und wie eine Wiederher¬ stellung ihrer kindlichen Unschuld aussieht, ganz ähnlich wie in Schefers „Osternacht." Diese Verflüchtigung der sittlichen Gesetze, der Bestimmungen der Freiheit in eine pantheistische Welt unbestimmter Naturbeziehungen ist weder « von dem höheren Standpunkt der Kunst zu rechtfertigen, der sich nur mit dem Glauben an die menschliche Freiheit verträgt, noch erfüllt er seinen Zweck; denn das Tragische, welches man von der Tafel des Gedächtnisses wegwischen kann, Hort aus, uns Mitleid oder Furcht einzuflößen. Neue historische Schriften. Geschichte-der deutschen Freiheitskriege in den Jahren 18-13 und 1814. Von Major Heinrich Beitzke. -I. Bd. Berlin, Duncker u. Humblot. — Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Von Wilhelm Giesebrecht. -I. Bd., 1. Abthl. Braunschweig, Schwetschke n. Sohn. — Diplomatisches Handbuch. Sammlung der wichtigsten europäischen Friedens¬ schlüsse, Cvngreßacten und sonstiger Staatsnrknuden vom westfälischen Frieden bis auf die neueste Zeit.- Mit kurzen geschichtlichen Einleitungen, herausgegeben von Vr. Ghillany. -I. Thl. Nördlingen, Beck. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/98>, abgerufen am 17.06.2024.