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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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daß dieselbe später wieder zu erlangen sei. Es wäre wünschenswert!), daß
wenigstens die Gründe einer solchen Verfügung, die gegen alles Herkommen
den musikalischen wie den Wohlthätigkeitssinn der Leipziger verletzt, im Publi-
cum bekannt würden. Wichtig müssen sie sein, da man nicht rechtzeitig ver¬
hindert hatte, daß ein neues Gerüst angeschafft wurde, das im ersten Jahr, da
eS benutzt weiden sollte, durch die Verweigerung völlig unbrauchbar geworden
war und dem Pensivnsfonds, zu dessen Besten dies Concert gegeben wird, einen
erheblichen Schaden zufügte. Und doch ist die Sache nie recht aufgeklärt
worden. Es hieß zwar, die Geistlichen hätten Einsprache gegen diese Aufführung
erhoben, allein dem wurde bestimmt widersprochen. Dann hörte man, der
Schaden, den die Orgel nehmen könne und die Kosten einer öfter vorzuneh¬
menden Reinigung derselben seien der Grund der verweigerten Erlaubniß, obwol
man sich zu einer Entschädigung erboten habe; wiederum erfuhr man von
Wohlunterrichteten, Organist wie Orgelbauer hätten sich gegen die Zulässigkeit
dieses Grundes erklärt. Kurz, die Sache bleibt unklar. Die Paulinerkirche
gehört der Universität an: es ist undenkbar, daß diese einem Unternehmen,
welches Anerkennung und Forderung verdient, man mag auf den Zweck der
Erbauung, der Wohlthätigkeit oder der Kunst sehen, ihre Unterstützung ohne zwin¬
gende Gründe auf die Dauer versagen sollte. Eins der größten musikalischen
Kunstwerke, bestimmt zur Feier des Charfreitags und für Leipzig insbesondere
ein Gegenstand gerechten Stolzes, die große Passion Sebastian Bachs, wirb
schwerlich wieder ansgeführt werden können, wenn die Paulinerkirche ihr ver¬
schlossen bleibt.

Wenn trotz aller dieser Hemmnisse und ungünstiger Zufälle eine Auffüh¬
rung zu Stande kam, welche in den wesentlichen Punkten dem großen Werk
gerecht wurde und die zahlreiche Zuhörerschaft erhob und erfreute, so wird
dadurch nur immer wieder das Bedauern rege, daß ein Ort wie Leipzig
diesen eigentlich höchsten Kunstgenuß: die Aufführung großer Meisterwerke,
welche ein Ganzes bilven, fast ganz entbehrt. , Wie sollte es nicht bei
ernstem Wollen und Streben gelingen, die musikalischen Kräfte, welche sich
für die traditionelle Veranlassung des CharfreitagsconcertS vereinigen lassen,
-so zu concentriren und durch ein bewußtes, aus ein bedeutendes Ziel gerichtetes
Studium so zu beleben, daß eine Reihe von Aufführungen großer Gesangs-
werke eben so einen festen Kern der Abonnementsconcerte bilden, wie die Synfo-
nien für die Instrumentalmusik! Wird doch in viel kleineren Orten, deren
Kräfte und also auch Leistungen den unsrigen weit nachstehen, dem künstle¬
rischen Streben, der Richtung auf das Würdige nach ungleich mehr geleistet,
als bei uns. Und der Eiser der Theilnehmenden kann ja nur wachseir, wenn
sie ihre Kräfte am Größren. und Schönsten üben, wodurch auch Verständniß
und Tüchtigkeit am sichersten gefördert werden. Es wäre eine traurige Wirkung


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daß dieselbe später wieder zu erlangen sei. Es wäre wünschenswert!), daß
wenigstens die Gründe einer solchen Verfügung, die gegen alles Herkommen
den musikalischen wie den Wohlthätigkeitssinn der Leipziger verletzt, im Publi-
cum bekannt würden. Wichtig müssen sie sein, da man nicht rechtzeitig ver¬
hindert hatte, daß ein neues Gerüst angeschafft wurde, das im ersten Jahr, da
eS benutzt weiden sollte, durch die Verweigerung völlig unbrauchbar geworden
war und dem Pensivnsfonds, zu dessen Besten dies Concert gegeben wird, einen
erheblichen Schaden zufügte. Und doch ist die Sache nie recht aufgeklärt
worden. Es hieß zwar, die Geistlichen hätten Einsprache gegen diese Aufführung
erhoben, allein dem wurde bestimmt widersprochen. Dann hörte man, der
Schaden, den die Orgel nehmen könne und die Kosten einer öfter vorzuneh¬
menden Reinigung derselben seien der Grund der verweigerten Erlaubniß, obwol
man sich zu einer Entschädigung erboten habe; wiederum erfuhr man von
Wohlunterrichteten, Organist wie Orgelbauer hätten sich gegen die Zulässigkeit
dieses Grundes erklärt. Kurz, die Sache bleibt unklar. Die Paulinerkirche
gehört der Universität an: es ist undenkbar, daß diese einem Unternehmen,
welches Anerkennung und Forderung verdient, man mag auf den Zweck der
Erbauung, der Wohlthätigkeit oder der Kunst sehen, ihre Unterstützung ohne zwin¬
gende Gründe auf die Dauer versagen sollte. Eins der größten musikalischen
Kunstwerke, bestimmt zur Feier des Charfreitags und für Leipzig insbesondere
ein Gegenstand gerechten Stolzes, die große Passion Sebastian Bachs, wirb
schwerlich wieder ansgeführt werden können, wenn die Paulinerkirche ihr ver¬
schlossen bleibt.

Wenn trotz aller dieser Hemmnisse und ungünstiger Zufälle eine Auffüh¬
rung zu Stande kam, welche in den wesentlichen Punkten dem großen Werk
gerecht wurde und die zahlreiche Zuhörerschaft erhob und erfreute, so wird
dadurch nur immer wieder das Bedauern rege, daß ein Ort wie Leipzig
diesen eigentlich höchsten Kunstgenuß: die Aufführung großer Meisterwerke,
welche ein Ganzes bilven, fast ganz entbehrt. , Wie sollte es nicht bei
ernstem Wollen und Streben gelingen, die musikalischen Kräfte, welche sich
für die traditionelle Veranlassung des CharfreitagsconcertS vereinigen lassen,
-so zu concentriren und durch ein bewußtes, aus ein bedeutendes Ziel gerichtetes
Studium so zu beleben, daß eine Reihe von Aufführungen großer Gesangs-
werke eben so einen festen Kern der Abonnementsconcerte bilden, wie die Synfo-
nien für die Instrumentalmusik! Wird doch in viel kleineren Orten, deren
Kräfte und also auch Leistungen den unsrigen weit nachstehen, dem künstle¬
rischen Streben, der Richtung auf das Würdige nach ungleich mehr geleistet,
als bei uns. Und der Eiser der Theilnehmenden kann ja nur wachseir, wenn
sie ihre Kräfte am Größren. und Schönsten üben, wodurch auch Verständniß
und Tüchtigkeit am sichersten gefördert werden. Es wäre eine traurige Wirkung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/291>, abgerufen am 17.06.2024.