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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Anleitung zum eignen Schaffen von I. H. W olff, Professor an der Kur¬
fürstlichen Akademie der bildenden Künste zü Kassel. - Göttingen, Georg
H. Wigand. --

Es gab eine Zeit, wo man sich die Kunst als etwas vom Leben durch¬
aus. Geschiedenes vorstellte und wo man sich den ärgsten Jnvectiven aussetzte,
wenn man den freien Künstler, den Musensohn mit dem Handwerker zu ver¬
gleichen wagte; man stellte sich das Reich der Kunst als ein der Erde ent¬
rücktes dar, dem nur der Geweihte in feierlichen Stunden nahen dürfe, wäh¬
rend die übrige Welt dazu verdammt sei, im Staube des Gemeinen träge und
verdrossen einherzuschleichen. In diesem Jammerthale der Erde fühlte sich jeder
Künstler als ein geborner Märtyrer, der in Noth und Elend leben müsse, um
in geheimen Stunden sich dem Antlitz der Gottheit zu nahen, während das
Handwerk, das nach dem Sprichwort einen goldnen Boden hat, seine günstige
Stellung nur der blinden Unterwerfung unter die Tagesbedürfnisse des Pöbels
verdanke; ja zuletzt wurde das abstracte Kunstgefühl so groß, daß der Künstler
sich schon herabzuwürdigen glaubte, wenn er aus dem Aether seiner reinen
Ideen heraustrat, wenn er wirklich Hand ans Werk legte. In der bildenden
Kunst, wo jeder, der nicht ganz der Sinne beraubt ist, bald einsehen muß,
daß ohne gründliche Technik die höchste poetische Intention verkümmert, wider¬
legte sich dieses Vorurtheil allmälig von selbst; in der Poesie begegnen wir
ihm noch heute und man hat noch jüngst bei den Schillerfesten die deutsche
Nation strenge getadelt, daß sie Schiller, ihren großen Dichter, in Noth und
Elend habe verkommen lassen. Nun. hat zwar Schiller eine sorgenvolle Jugend
durchkämpfen müssen, aber als er mit der Kraft seiner Poesie und mit dem
Ernst seines großen Willens eS dahin gebracht hatte, klar zu wissen, was-er
wollte, als er frei über die Mittel disponirte, wodurch die Kunst dem Volk
verständlich wirb, da hat das Volk ihn auch anerkannt, es hat seine Werke
gekauft und bezahlt und Schiller war im Begriff, ein Vermögen für seine
Kinder zu sammeln, als ein frühzeitiger Tod ihn hinwegraffte. Hätte er zehn
Jahre länger gelebt, so wäre er als wohlbemittelter Mann gestorben. Man
verzeihe uns diese Seitenbemerkung, sie ist nicht unwichtig, da man noch immer
die Wahrheit verkennt, daß der richtiggeleitete Genius auch stets über den Er¬
folg gebietet. Hätte Schiller eine sorgenlosere Jugend gehabt, so bleibt es
fraglich, ob er die Größe, die wir jetzt bewundern, erreicht haben würde.

Die Kunst schwebt nicht auf den Wolkenhöhen des Olymp, sondern sie
steht auf dem festen Boden der Erde. Wenn Goethes Antonio seinen Papst
dem reizbaren Tasso folgendermaßen schildert:


Er schätzt die Kunst, sofern sie ziert, sein Rom
Verherrlicht, und Palast und Tempel

Anleitung zum eignen Schaffen von I. H. W olff, Professor an der Kur¬
fürstlichen Akademie der bildenden Künste zü Kassel. - Göttingen, Georg
H. Wigand. —

Es gab eine Zeit, wo man sich die Kunst als etwas vom Leben durch¬
aus. Geschiedenes vorstellte und wo man sich den ärgsten Jnvectiven aussetzte,
wenn man den freien Künstler, den Musensohn mit dem Handwerker zu ver¬
gleichen wagte; man stellte sich das Reich der Kunst als ein der Erde ent¬
rücktes dar, dem nur der Geweihte in feierlichen Stunden nahen dürfe, wäh¬
rend die übrige Welt dazu verdammt sei, im Staube des Gemeinen träge und
verdrossen einherzuschleichen. In diesem Jammerthale der Erde fühlte sich jeder
Künstler als ein geborner Märtyrer, der in Noth und Elend leben müsse, um
in geheimen Stunden sich dem Antlitz der Gottheit zu nahen, während das
Handwerk, das nach dem Sprichwort einen goldnen Boden hat, seine günstige
Stellung nur der blinden Unterwerfung unter die Tagesbedürfnisse des Pöbels
verdanke; ja zuletzt wurde das abstracte Kunstgefühl so groß, daß der Künstler
sich schon herabzuwürdigen glaubte, wenn er aus dem Aether seiner reinen
Ideen heraustrat, wenn er wirklich Hand ans Werk legte. In der bildenden
Kunst, wo jeder, der nicht ganz der Sinne beraubt ist, bald einsehen muß,
daß ohne gründliche Technik die höchste poetische Intention verkümmert, wider¬
legte sich dieses Vorurtheil allmälig von selbst; in der Poesie begegnen wir
ihm noch heute und man hat noch jüngst bei den Schillerfesten die deutsche
Nation strenge getadelt, daß sie Schiller, ihren großen Dichter, in Noth und
Elend habe verkommen lassen. Nun. hat zwar Schiller eine sorgenvolle Jugend
durchkämpfen müssen, aber als er mit der Kraft seiner Poesie und mit dem
Ernst seines großen Willens eS dahin gebracht hatte, klar zu wissen, was-er
wollte, als er frei über die Mittel disponirte, wodurch die Kunst dem Volk
verständlich wirb, da hat das Volk ihn auch anerkannt, es hat seine Werke
gekauft und bezahlt und Schiller war im Begriff, ein Vermögen für seine
Kinder zu sammeln, als ein frühzeitiger Tod ihn hinwegraffte. Hätte er zehn
Jahre länger gelebt, so wäre er als wohlbemittelter Mann gestorben. Man
verzeihe uns diese Seitenbemerkung, sie ist nicht unwichtig, da man noch immer
die Wahrheit verkennt, daß der richtiggeleitete Genius auch stets über den Er¬
folg gebietet. Hätte Schiller eine sorgenlosere Jugend gehabt, so bleibt es
fraglich, ob er die Größe, die wir jetzt bewundern, erreicht haben würde.

Die Kunst schwebt nicht auf den Wolkenhöhen des Olymp, sondern sie
steht auf dem festen Boden der Erde. Wenn Goethes Antonio seinen Papst
dem reizbaren Tasso folgendermaßen schildert:


Er schätzt die Kunst, sofern sie ziert, sein Rom
Verherrlicht, und Palast und Tempel

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[0348] Anleitung zum eignen Schaffen von I. H. W olff, Professor an der Kur¬ fürstlichen Akademie der bildenden Künste zü Kassel. - Göttingen, Georg H. Wigand. — Es gab eine Zeit, wo man sich die Kunst als etwas vom Leben durch¬ aus. Geschiedenes vorstellte und wo man sich den ärgsten Jnvectiven aussetzte, wenn man den freien Künstler, den Musensohn mit dem Handwerker zu ver¬ gleichen wagte; man stellte sich das Reich der Kunst als ein der Erde ent¬ rücktes dar, dem nur der Geweihte in feierlichen Stunden nahen dürfe, wäh¬ rend die übrige Welt dazu verdammt sei, im Staube des Gemeinen träge und verdrossen einherzuschleichen. In diesem Jammerthale der Erde fühlte sich jeder Künstler als ein geborner Märtyrer, der in Noth und Elend leben müsse, um in geheimen Stunden sich dem Antlitz der Gottheit zu nahen, während das Handwerk, das nach dem Sprichwort einen goldnen Boden hat, seine günstige Stellung nur der blinden Unterwerfung unter die Tagesbedürfnisse des Pöbels verdanke; ja zuletzt wurde das abstracte Kunstgefühl so groß, daß der Künstler sich schon herabzuwürdigen glaubte, wenn er aus dem Aether seiner reinen Ideen heraustrat, wenn er wirklich Hand ans Werk legte. In der bildenden Kunst, wo jeder, der nicht ganz der Sinne beraubt ist, bald einsehen muß, daß ohne gründliche Technik die höchste poetische Intention verkümmert, wider¬ legte sich dieses Vorurtheil allmälig von selbst; in der Poesie begegnen wir ihm noch heute und man hat noch jüngst bei den Schillerfesten die deutsche Nation strenge getadelt, daß sie Schiller, ihren großen Dichter, in Noth und Elend habe verkommen lassen. Nun. hat zwar Schiller eine sorgenvolle Jugend durchkämpfen müssen, aber als er mit der Kraft seiner Poesie und mit dem Ernst seines großen Willens eS dahin gebracht hatte, klar zu wissen, was-er wollte, als er frei über die Mittel disponirte, wodurch die Kunst dem Volk verständlich wirb, da hat das Volk ihn auch anerkannt, es hat seine Werke gekauft und bezahlt und Schiller war im Begriff, ein Vermögen für seine Kinder zu sammeln, als ein frühzeitiger Tod ihn hinwegraffte. Hätte er zehn Jahre länger gelebt, so wäre er als wohlbemittelter Mann gestorben. Man verzeihe uns diese Seitenbemerkung, sie ist nicht unwichtig, da man noch immer die Wahrheit verkennt, daß der richtiggeleitete Genius auch stets über den Er¬ folg gebietet. Hätte Schiller eine sorgenlosere Jugend gehabt, so bleibt es fraglich, ob er die Größe, die wir jetzt bewundern, erreicht haben würde. Die Kunst schwebt nicht auf den Wolkenhöhen des Olymp, sondern sie steht auf dem festen Boden der Erde. Wenn Goethes Antonio seinen Papst dem reizbaren Tasso folgendermaßen schildert: Er schätzt die Kunst, sofern sie ziert, sein Rom Verherrlicht, und Palast und Tempel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/348>, abgerufen am 25.05.2024.