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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Zu Wunderwerken dieser Erde macht. .
In seiner Nähe darf nichts müßig sem:
Was gelten soll, muß wirken und muß dienen.

so stellt uns diese Schilderung nicht einen Ausnahmefall dar, sondern sie gibt
uns die Regel für die ganze Kunstgeschichte. Wo irgend die Kunst geblüht hat,
nicht sporadisch in einem vereinzelten Gemüth, sondern in glänzender Fülle,
da hat sie dem Bedürfniß gedient, sie hat den Sinn des wirklichen Lebens
ausgesprochen. So war es in der Zeit deö Perikles, der Mediceer, der Königin
Elisabeth, Philipps Hi. u> s. w.; so war es, wenn auch im geringern Maße,
im Mittelalter, wo der Künstler sich nicht herabzuwürdigen glaubte, wenn er
zugleich ein Handwerker war und so muß es wieder werden, wenn sich die
Kunst noch einmal einer gesunden, aus dem Leben der Nation hervorquellen¬
den Blüte erfreuen soll.

Wie häufig hat man die Kantische Erklärung mißverstanden: schön sei,
was ohne Interesse gefalle. Kant meinte damit das gemeine, thierische Inter¬
esse, den Egoismus deö Besitzes; aber es war nicht seine Ansicht, was die
spätern Nachbeter gelehrt haben, als ob die Kunst sich nur an Gegenständen
ausüben solle, die von den realen Interessen getrennt werden. Nicht blos
das, was dem Zusammenhang des wirklichen Lebens entzogen ist, nicht blos
das Spiel kann schön sein; es gibt in der Wirklichkeit nichts, was sich den
bildenden Händen der Musen und Grazien entzöge. Hier kommt nun in der
menschlichen Natur ein Trieb zu Hilfe, den man häufig gelästert hat, der aber
eigentlich doch erst die Vermittlung zwischen der Kunst und dem Leben aus¬
macht, das Bedürfniß des Lurus, des Ueberflusses. Der Einzelne muß sorgen¬
frei sein, um an das Ueberslüsstgc zu denken; aber auch in dem ärmsten und
gedrücktesten Gemüth finden sich Augenblicke, wo es frei aufathmet und wenn
der arme Buchdruckcrlehrling, wenn er aus der schwülen Atmosphäre seiner
Werkstatt kommt, eine noch so bescheidene Nelke vor sein Fenster stellt, so folgt
er demselben Triebe, der den Reichen zu Prachtwohnungen, zu Parks und
dergleichen veranlaßt. Hier tritt nun in günstigen Zeiten die allgemeine Bil¬
dung vermittelnd ein, indem sie lehrt, mit bescheidenen Mitteln Großes zu
wirken, denn nur der Wilde, nur der Barbar jagt dem rohen Stoffe nach,
der Gebildete erfreut sich an der Form. In der Blüte des Sarmatenreichö
waren die Wohnungen in barbarischer, ungemüthlicher Rohheit ausgeführt,
dafür zeigte man massenweise Gold und Edelsteine vor, um dem Bedürfniß
des Lurus zu genügen. Bei den Griechen hatte jeder Handarbeiter sein zier¬
liches, geschmackvolles Gefäß, zwar nur aus bescheidnen Thon geformt, aber
mit dem Gepräge des Genius bezeichnet. Der Genius zeigt sich nicht blos,
wie krankhafte Träumer sich einbilden, in einigen inspirirter Gemüthern, sondern
er durchgeistigt ganze Völker und diese allgemeine Durchgeistigung, diese


Zu Wunderwerken dieser Erde macht. .
In seiner Nähe darf nichts müßig sem:
Was gelten soll, muß wirken und muß dienen.

so stellt uns diese Schilderung nicht einen Ausnahmefall dar, sondern sie gibt
uns die Regel für die ganze Kunstgeschichte. Wo irgend die Kunst geblüht hat,
nicht sporadisch in einem vereinzelten Gemüth, sondern in glänzender Fülle,
da hat sie dem Bedürfniß gedient, sie hat den Sinn des wirklichen Lebens
ausgesprochen. So war es in der Zeit deö Perikles, der Mediceer, der Königin
Elisabeth, Philipps Hi. u> s. w.; so war es, wenn auch im geringern Maße,
im Mittelalter, wo der Künstler sich nicht herabzuwürdigen glaubte, wenn er
zugleich ein Handwerker war und so muß es wieder werden, wenn sich die
Kunst noch einmal einer gesunden, aus dem Leben der Nation hervorquellen¬
den Blüte erfreuen soll.

Wie häufig hat man die Kantische Erklärung mißverstanden: schön sei,
was ohne Interesse gefalle. Kant meinte damit das gemeine, thierische Inter¬
esse, den Egoismus deö Besitzes; aber es war nicht seine Ansicht, was die
spätern Nachbeter gelehrt haben, als ob die Kunst sich nur an Gegenständen
ausüben solle, die von den realen Interessen getrennt werden. Nicht blos
das, was dem Zusammenhang des wirklichen Lebens entzogen ist, nicht blos
das Spiel kann schön sein; es gibt in der Wirklichkeit nichts, was sich den
bildenden Händen der Musen und Grazien entzöge. Hier kommt nun in der
menschlichen Natur ein Trieb zu Hilfe, den man häufig gelästert hat, der aber
eigentlich doch erst die Vermittlung zwischen der Kunst und dem Leben aus¬
macht, das Bedürfniß des Lurus, des Ueberflusses. Der Einzelne muß sorgen¬
frei sein, um an das Ueberslüsstgc zu denken; aber auch in dem ärmsten und
gedrücktesten Gemüth finden sich Augenblicke, wo es frei aufathmet und wenn
der arme Buchdruckcrlehrling, wenn er aus der schwülen Atmosphäre seiner
Werkstatt kommt, eine noch so bescheidene Nelke vor sein Fenster stellt, so folgt
er demselben Triebe, der den Reichen zu Prachtwohnungen, zu Parks und
dergleichen veranlaßt. Hier tritt nun in günstigen Zeiten die allgemeine Bil¬
dung vermittelnd ein, indem sie lehrt, mit bescheidenen Mitteln Großes zu
wirken, denn nur der Wilde, nur der Barbar jagt dem rohen Stoffe nach,
der Gebildete erfreut sich an der Form. In der Blüte des Sarmatenreichö
waren die Wohnungen in barbarischer, ungemüthlicher Rohheit ausgeführt,
dafür zeigte man massenweise Gold und Edelsteine vor, um dem Bedürfniß
des Lurus zu genügen. Bei den Griechen hatte jeder Handarbeiter sein zier¬
liches, geschmackvolles Gefäß, zwar nur aus bescheidnen Thon geformt, aber
mit dem Gepräge des Genius bezeichnet. Der Genius zeigt sich nicht blos,
wie krankhafte Träumer sich einbilden, in einigen inspirirter Gemüthern, sondern
er durchgeistigt ganze Völker und diese allgemeine Durchgeistigung, diese


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[0349] Zu Wunderwerken dieser Erde macht. . In seiner Nähe darf nichts müßig sem: Was gelten soll, muß wirken und muß dienen. so stellt uns diese Schilderung nicht einen Ausnahmefall dar, sondern sie gibt uns die Regel für die ganze Kunstgeschichte. Wo irgend die Kunst geblüht hat, nicht sporadisch in einem vereinzelten Gemüth, sondern in glänzender Fülle, da hat sie dem Bedürfniß gedient, sie hat den Sinn des wirklichen Lebens ausgesprochen. So war es in der Zeit deö Perikles, der Mediceer, der Königin Elisabeth, Philipps Hi. u> s. w.; so war es, wenn auch im geringern Maße, im Mittelalter, wo der Künstler sich nicht herabzuwürdigen glaubte, wenn er zugleich ein Handwerker war und so muß es wieder werden, wenn sich die Kunst noch einmal einer gesunden, aus dem Leben der Nation hervorquellen¬ den Blüte erfreuen soll. Wie häufig hat man die Kantische Erklärung mißverstanden: schön sei, was ohne Interesse gefalle. Kant meinte damit das gemeine, thierische Inter¬ esse, den Egoismus deö Besitzes; aber es war nicht seine Ansicht, was die spätern Nachbeter gelehrt haben, als ob die Kunst sich nur an Gegenständen ausüben solle, die von den realen Interessen getrennt werden. Nicht blos das, was dem Zusammenhang des wirklichen Lebens entzogen ist, nicht blos das Spiel kann schön sein; es gibt in der Wirklichkeit nichts, was sich den bildenden Händen der Musen und Grazien entzöge. Hier kommt nun in der menschlichen Natur ein Trieb zu Hilfe, den man häufig gelästert hat, der aber eigentlich doch erst die Vermittlung zwischen der Kunst und dem Leben aus¬ macht, das Bedürfniß des Lurus, des Ueberflusses. Der Einzelne muß sorgen¬ frei sein, um an das Ueberslüsstgc zu denken; aber auch in dem ärmsten und gedrücktesten Gemüth finden sich Augenblicke, wo es frei aufathmet und wenn der arme Buchdruckcrlehrling, wenn er aus der schwülen Atmosphäre seiner Werkstatt kommt, eine noch so bescheidene Nelke vor sein Fenster stellt, so folgt er demselben Triebe, der den Reichen zu Prachtwohnungen, zu Parks und dergleichen veranlaßt. Hier tritt nun in günstigen Zeiten die allgemeine Bil¬ dung vermittelnd ein, indem sie lehrt, mit bescheidenen Mitteln Großes zu wirken, denn nur der Wilde, nur der Barbar jagt dem rohen Stoffe nach, der Gebildete erfreut sich an der Form. In der Blüte des Sarmatenreichö waren die Wohnungen in barbarischer, ungemüthlicher Rohheit ausgeführt, dafür zeigte man massenweise Gold und Edelsteine vor, um dem Bedürfniß des Lurus zu genügen. Bei den Griechen hatte jeder Handarbeiter sein zier¬ liches, geschmackvolles Gefäß, zwar nur aus bescheidnen Thon geformt, aber mit dem Gepräge des Genius bezeichnet. Der Genius zeigt sich nicht blos, wie krankhafte Träumer sich einbilden, in einigen inspirirter Gemüthern, sondern er durchgeistigt ganze Völker und diese allgemeine Durchgeistigung, diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/349>, abgerufen am 17.06.2024.