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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Uebrigens soll, namentlich im französischen Lager, äußerst strenge Ordnung gehand-
habt werden. An eine Verpestung der Luft ist nicht mehr zu denken, indem man
seit Monaten allen Unrath mindestens sechs Fuß tief im Boden vergräbt. Hieraus
ist die Lagcrwache auss strengste angewiesen, und zwischen den Zeltreihen herrscht
dieselbe Sauberkeit, die in den Lagern von Boulogne und Paris zu finden
sein mag.

In Hinsicht ans die militärischen Arrangements herrscht in mancher Beziehung
der alte Wirrwarr, indem nichts von Plan und Ueberlegung zu entdecken war,
weiter fort. Zum Beleg dafür können die verschiedenen DiSloeationen der Division
des McneM (Achmed) Pascha dienen. Dieser Hecrkörper wurde im April von
hier nach Enpatoria gesendet, und am 7. v. Mes. dort ausgeschifft. Acht Tage
darnach findet man ihn bereits vor Balaklava. Aus dem Terrain vor Sebastopol
hin- und hergeworfen, ist die Division neuerdings wieder uach Eupatoria eingeschifft
werden, dessen Hut sie allein übernehmen soll, während Omer Pascha seine ganze
Armee mit dem Heer der verbündeten Franzosen und Engländer vor Sebastopol ver¬
einigt. Aus diesen Anordnungen erhellt außerdem, daß man neuerdings seine
Ansichten, in Betreff der Ausnutzung der Position von Enpatoria durchaus ver¬
ändert hat.

Die neuesten Nachrichten aus der Krim haben zwar nicht
die Hoffnungen bestätigt, wonach eine große, entscheidende That im Felde bevorstand;
der Marsch über die Tschernaja ist mit nur 30,000 Mann in Ausführung gekommen,
und aus den sehr dunkel geschriebenen Berichten und den noch um vieles dunklern
Gerüchten ist weder, klar zu ersehen, was. man damit gewonnen hat, noch ob über¬
haupt, die Position, von der es heißt, daß die Russen sie freiwillig geräumt hätten,
behauptet-worden ist: aber nichtsdestoweniger athmen dennoch die neuesten Nachrich¬
ten aus dem Lager der Verbündeten einen frischeren Geist, der nicht sowol unter
dem Einfluß der Kunde von der Wegnahme von Kertsch und Jenikale, als vielmehr
im Bewußtsein, daß mit dem General Pclissier ein energischer Ehcf das Over-
commando ergriffen hat, sich regt. Aufs neue geht die Sage, daß ein Sturman¬
griff auf die Festung vorbereitet werde; indeß ist man hier nach der Seite
nunmehr schon gar zu oft getäuscht worden, als daß man sich entschließen könnte,
an etwas Aehnliches ernstlich zu glauben, bevor man es nicht als erwiesene Thatsache
zu betrachten hat. -- Aeußerst interessant sind die Erzählungen der jüngst aus der
Krim hier angelangten Militärs. Darnach war der Kampf in der Nacht vom
-22. zum 23. ein wahres Schlachten. Hauptfeld war der oft schon genannte Kirch¬
hof. Nach einem Gerücht, welches auch im Journal de Constantinople seinen Aus¬
druck gefunden hat, sollen daselbst schließlich vier russische Bataillone von den er¬
bitterten Siegern niedergestochen worden sein. Es machte sich an diesem Tage die
Rivalität zwischen der französischen Garde und der Linie vornehmlich bemerkbar;
erstere wurde zweimal geworfen, aber dem 7-L-. Regiment vermochte nichts zu
widerstehen.

In Hinsicht aus den Werth der c?in Eingang des asowschen Meeres gemachten
Eroberungen laufen die Urtheile hier sehr auseinander. Man kann es, bei der nnr
äußerst dürftigen Kenntniß jener Gegend vorerst wol nur als eine Muthmaßung be-


Uebrigens soll, namentlich im französischen Lager, äußerst strenge Ordnung gehand-
habt werden. An eine Verpestung der Luft ist nicht mehr zu denken, indem man
seit Monaten allen Unrath mindestens sechs Fuß tief im Boden vergräbt. Hieraus
ist die Lagcrwache auss strengste angewiesen, und zwischen den Zeltreihen herrscht
dieselbe Sauberkeit, die in den Lagern von Boulogne und Paris zu finden
sein mag.

In Hinsicht ans die militärischen Arrangements herrscht in mancher Beziehung
der alte Wirrwarr, indem nichts von Plan und Ueberlegung zu entdecken war,
weiter fort. Zum Beleg dafür können die verschiedenen DiSloeationen der Division
des McneM (Achmed) Pascha dienen. Dieser Hecrkörper wurde im April von
hier nach Enpatoria gesendet, und am 7. v. Mes. dort ausgeschifft. Acht Tage
darnach findet man ihn bereits vor Balaklava. Aus dem Terrain vor Sebastopol
hin- und hergeworfen, ist die Division neuerdings wieder uach Eupatoria eingeschifft
werden, dessen Hut sie allein übernehmen soll, während Omer Pascha seine ganze
Armee mit dem Heer der verbündeten Franzosen und Engländer vor Sebastopol ver¬
einigt. Aus diesen Anordnungen erhellt außerdem, daß man neuerdings seine
Ansichten, in Betreff der Ausnutzung der Position von Enpatoria durchaus ver¬
ändert hat.

Die neuesten Nachrichten aus der Krim haben zwar nicht
die Hoffnungen bestätigt, wonach eine große, entscheidende That im Felde bevorstand;
der Marsch über die Tschernaja ist mit nur 30,000 Mann in Ausführung gekommen,
und aus den sehr dunkel geschriebenen Berichten und den noch um vieles dunklern
Gerüchten ist weder, klar zu ersehen, was. man damit gewonnen hat, noch ob über¬
haupt, die Position, von der es heißt, daß die Russen sie freiwillig geräumt hätten,
behauptet-worden ist: aber nichtsdestoweniger athmen dennoch die neuesten Nachrich¬
ten aus dem Lager der Verbündeten einen frischeren Geist, der nicht sowol unter
dem Einfluß der Kunde von der Wegnahme von Kertsch und Jenikale, als vielmehr
im Bewußtsein, daß mit dem General Pclissier ein energischer Ehcf das Over-
commando ergriffen hat, sich regt. Aufs neue geht die Sage, daß ein Sturman¬
griff auf die Festung vorbereitet werde; indeß ist man hier nach der Seite
nunmehr schon gar zu oft getäuscht worden, als daß man sich entschließen könnte,
an etwas Aehnliches ernstlich zu glauben, bevor man es nicht als erwiesene Thatsache
zu betrachten hat. — Aeußerst interessant sind die Erzählungen der jüngst aus der
Krim hier angelangten Militärs. Darnach war der Kampf in der Nacht vom
-22. zum 23. ein wahres Schlachten. Hauptfeld war der oft schon genannte Kirch¬
hof. Nach einem Gerücht, welches auch im Journal de Constantinople seinen Aus¬
druck gefunden hat, sollen daselbst schließlich vier russische Bataillone von den er¬
bitterten Siegern niedergestochen worden sein. Es machte sich an diesem Tage die
Rivalität zwischen der französischen Garde und der Linie vornehmlich bemerkbar;
erstere wurde zweimal geworfen, aber dem 7-L-. Regiment vermochte nichts zu
widerstehen.

In Hinsicht aus den Werth der c?in Eingang des asowschen Meeres gemachten
Eroberungen laufen die Urtheile hier sehr auseinander. Man kann es, bei der nnr
äußerst dürftigen Kenntniß jener Gegend vorerst wol nur als eine Muthmaßung be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/479>, abgerufen am 17.06.2024.